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Ausgabe:

Januar/2021

Spalte:

51–52

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Herzer, Jens

Titel/Untertitel:

Pontius Pilatus. Henker und Heiliger.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2020. 276 S. m. 26 Abb. = Biblische Gestalten, 32. Kart. EUR 20,00. ISBN 9783374060634.

Rezensent:

Stefan Krauter

Die Reihe »Biblische Gestalten« der Evangelischen Verlagsanstalt ist inzwischen auf 32 Bände angewachsen. Ihre Besonderheit ist es, dass die jeweils behandelte Person als historische und/oder literarische Figur in der Bibel und in anderen Texten bzw. Quellen von der Antike bis in die Gegenwart nachverfolgt wird. So entsteht, allgemeinverständlich und doch fachlich fundiert, ein überaus facettenreiches Bild – gerade auch im Bereich der außerbiblischen Vor- oder Nachgeschichte oft mit überraschenden neuen Perspektiven. Dieses Programm setzt im neuesten Band Jens Herzer für Pontius Pilatus um.
Dementsprechend rekonstruiert er zunächst, was man über den römischen Präfekten von Judäa historisch wissen kann (26–89), analysiert dann das Pilatusbild bei Philon von Alexandria und Josephus (89–132). Es folgt wiederum die historische Rekonstruktion der Rolle des Pilatus bei der Hinrichtung Jesu (133–172) und dann die literarische Untersuchung des Pilatusbildes der neutestamentlichen Evangelien (172–211) sowie – oft vernachlässigt – in der Paulustradition (211–216). Die Wirkungsgeschichte wird für die antike christliche Literatur ausführlicher (217–238), für das beinahe uferlose Thema »Pilatus in Kunst, Literatur und Film« schlaglichtartig dargestellt (238–260).
Grundlegend für die Herangehensweise H.s ist, dass er die Analyse der Pilatusbilder und die historische Rekonstruktion und in diesen beiden Bereichen jeweils Darstellung und Bewertung zwar nicht trennt – weil das ja gar nicht möglich ist –, aber doch sorgfältig differenziert. Gerade bei einer Figur, die zugleich als »Henker« verurteilt und als »Heiliger« verehrt wird, ist dies hilfreich. Denn so gelingt es ihm, verständlich zu machen, warum einige Texte Pilatus als unfähig und verbrecherisch hinstellen (insbesondere Philo), während andere ihn positiv bewerten (insbesondere manche christlichen Texte). Bei seiner eigenen historischen Rekonstruk-tion will er dementsprechend sowohl das traditionell positive (und antijüdische) christliche Pilatusbild als auch das (als gegenläufige Überreaktion erklärbare?) negative Zerrbild des Pilatus in der neutestamentlichen Forschung des späteren 20. Jh.s überwinden und zu einer »fairen« Beurteilung kommen: Pilatus war – im antiken Kontext – ein politisch klug und eher umsichtig und verantwortungsvoll agierender Amtsträger. Sein Verhalten im Zusammenhang mit der Hinrichtung Jesu war – nach römischen Maßstäben – korrekt und erwartbar.
Im Einzelnen sind die Abschnitte, die sich der Analyse von Pilatusbildern widmen, besonders gelungen. Es gelingt H. z. B., nachvollziehbar zu machen, welche Ziele Philo mit seiner negativen Darstellung verfolgt oder warum die Evangelien zunehmend Pilatus von der Schuld am Tod Jesu entlasten, ohne freilich (jedenfalls in den kanonisch gewordenen Evangelien) sie »allen« Juden zuzuschieben. Der letzte Abschnitt, so skizzenhaft er aufgrund der Vorgaben der Reihe bleiben muss, bietet einige sehr interessante und reizvolle Beispiele aus der Rezeptionsgeschichte (bis hin zur Trivialliteratur) und gute Hinweise, wo man mehr erfahren könnte.
Was die historische Rekonstruktion angeht, bewegt man sich – insbesondere bei »Prozess« und Hinrichtung Jesu – natürlich auf unsicherem und höchst umstrittenem Terrain. Man könnte da-her sicherlich zu vielem, was H. schreibt, alternative Meinungen finden, z. B. in den Teilen der Geschichtswissenschaft und der Bi­belwissenschaft, die der römischen imperialen Herrschaft gegenüber grundsätzlich kritischer eingestellt sind als er. Seine Posi-tion ist aber jedenfalls immer gut begründet, differenziert und vertretbar.
Im Lateinischen sind ein paar Versehen stehen geblieben (27: equites ordo publico, 28: legio decimanus). Die Karte auf S. 46 ist arg handgemacht und unscharf. Doch ansonsten ist der Band sorgfältig und mit zahlreichen instruktiven Abbildungen auch ansprechend gestaltet. Unter Theologen und in einem breiteren Publikum kann man ihm weite Verbreitung und Erfolg wünschen – und auf weitere Bände in der Reihe »Biblische Gestalten« hoffen.