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Ausgabe:

Januar/2021

Spalte:

39–41

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Chan, Michael J.

Titel/Untertitel:

The Wealth of Nations. A Tradition-Historical Study.

Verlag:

Tübingen Mohr Siebeck 2017. XVI, 273 S. = Forschungen zum Alten Testament. 2. Reihe, 93. Kart. EUR 89,00. ISBN 9783161540981.

Rezensent:

Beate Ego

Die Dissertationsschrift, die hier in überarbeiteter Form vorliegt, entstand an der Emory University unter der Betreuung von Brent Strawn und Martti Nissinen. Der Titel »The Wealth of Nations« bezieht sich auf die in der biblischen Überlieferung sowie im gesamten Alten Orient (dort sowohl literarisch als auch in der bildenden Kunst) belegte Tradition, wonach die Völker ihren Reichtum einer königlichen Figur in einem Akt der Huldigung, Ehre und Unterwerfung darbringen (abgekürzt als WNT) (23.197). Mi­chael J. Chan identifiziert dieses Motiv in Passagen in 1Kön, Jes, Zef, 1/2Chr und den Psalmen (siehe unten).
Kapitel 1 (1–22) enthält methodologische Ausführungen. Als Spezifikum seines Zugangs reklamiert Ch., dass er hier eine Synthese zwischen Traditionsgeschichte und Kunstgeschichte vorlegen möchte. Wenngleich die alttestamentliche Wissenschaft in den letzten Jahren häufig auf bildliche Darstellungen zurückgegriffen habe, so sei die methodische Reflexion, wie solche bildlichen Darstellungen zu interpretieren sind, doch ein unerforschtes Gebiet (3).
Das Ziel der Arbeit bestehe vor diesem Hintergrund darin, die Durchführbarkeit einer multimedialen Theorie der Traditionsgeschichte aufzuweisen sowie die Entwicklung des WNT-Motivs in der Hebräischen Bibel im Hinblick auf Inhalt, Genre und »Sitz im Leben« zu untersuchen. Die Studie hat somit den Anspruch, sowohl in methodologischer als auch in inhaltlicher Hinsicht einen substantiellen Forschungsbeitrag zu leisten.
Kapitel 2 (23–148) wendet sich vor diesem Hintergrund zunächst den biblischen Belegen zu. Ch. untersucht die von ihm identifizierten WNT-Texte, in kanonischer Reihenfolge angeordnet, im Hinblick auf folgende Kriterien: a) Geber der Gaben, b) um welche Gaben handelt es sich, c) Terminologie der Gabendarbringung, d) Empfänger der Gaben, e) Textgattung und f) auf Datierung (23). Die Einzelergebnisse fasst Ch. dann am Ende dieses über 120 Seiten langen Kapitels tabellarisch zusammen und ordnet das Material chronologisch (siehe unten).
Kapitel 3 (149–196) untersucht die Traditionen aus der so ge­nannten Umwelt Israels und der Eisenzeit IIA–III. Materialiter sind dies: a) aus Mesopotamien: Tributrelief von Raum D des Nordwest-Palastes von Assurnasirpal II. (883–859 v. Chr.) aus Kalhu/ Nimrud; die Tamu-Tempel-Tore von Assurnasirpal II. von Balawat (Imgur-Enlil), der Schwarze Obelisk von Salmanassar III. (858–824 v. Chr.) sowie die Elfenbeindarstellungen vom Nabû-Tempel in Kalhu/ Nimrud; b: Persien: die Apadana-Reliefs aus Persepolis; c) Levante: keine Belege; d) Ägypten: Siegesstele von Piya (747–716 v. Chr.). Alle einschlägigen Exponate werden sowohl einer allgemeinen Be­schreibung als auch einer ikonographischen und funktionalen Analyse unterzogen; jeder Abschnitt endet mit einer ikonographischen Interpretation. Daran schließt sich eine Darstellung der literarischen Belege aus den betreffenden Regionen an (so u. a. die Ninurta-Tempelinschriften Assurnasirpal II., die Inschriften-Zy­linder Merodach-Baladan II. oder der Kyros-Zylinder). Deutlich wird, dass die WNT am häufigsten in Texten aus Mesopotamien und Persien zu finden ist, wobei das neuassyrische Material eine ganz besondere Rolle spielt: »This trend is unsurprising, since the Assyrian and Persian Empires were the largest and lon-gest lasting ancient Near Eastern empires prior to Alexander the Great. The WNT’s widespread use suggests that it, much like images of lion-slaying, temple-building/renovation, and deity veneration, ap-parently belonged to the ›canon‹ of ancient Near Eastern imperial imagery« (195). Da das Motiv jedoch so weit verbreitet war, lassen die altorientalischen Belege keine Schlüsse für die Datierung der biblischen Texte zu (196).
Das vierte und letzte Kapitel des Buches (197–214) fasst die Einzelbeobachtungen zusammen. Ch. schlägt folgende Datierung der Texte vor: 1Kön 10,1–10,13//2Chr 9,1–9,12 (in einer mündlichen Form?) gehören in das 10. Jh. v. Chr. (Eisenzeit IIA); für Eisenzeit IIB und IIIB gibt es keine Belege; 1Kön 10,1–10//2Chr 9,1–9,12 (schriftliche Form) sowie 1Kön 10,15//2 Chr 9,14; 1Kön 10,23–25//2Chr 9,22–24; Jes 18,7; Zef 3,10; Ps 72,10 sind in die neubabylonisch-persische Zeit zu datieren. Konkret in die Perserzeit gehören Ps 96,7–8//1Chr 16,28–29; Jes 45,14; 60,4–17; 61,5–6; 66,12; 2Chr 32,23; undatierbar sind Ps 68,19a; 29–32; 76,12, dass das biblische Material vor allem in die neubabylonische und persische Zeit nach der Niederlage und dem Sturz der judaeischen Monarchie zu datieren ist: »Defeat and exile, it would seem, proved to be a generative time for the WNT« (199).
Ch. entwickelt dann folgende Entwicklungsschritte der Tradi-tion: 1.) Ps 72,10; 2Chr 9,1–9,12//2Chr 9,22–24 und 2Chr 32,23 verherrlichen einen judäischen König, indem sie ihn als Empfänger ausländischen Reichtums und Gaben beschreiben. 2.) Eine Anzahl von Texten verändern dieses Basismotiv: 1Kön 10,1–10,13,15; 1Kön 10, 23–25 haben einen ironischen Unterton und stehen im Dienst der dtr Kritik des Königs Salomo. Eine weitere Veränderung ist sichtbar, wenn JHWH als Empfänger der Gaben erscheint (Ps 68, 19a.30–32; 76,12; 96,7–8//1Chr 16,28–29; Jes 18,7; 60,4–17; Zeph 3,10; 2Chr 32,23). Überhaupt erscheint JHWH generell am häufigsten als Gabenempfänger, alle Texte, soweit sie datierbar sind, gehören in die neubabylonische oder persische Zeit (201 f.). Ps 68,19a.29–32 und 76,12 könnten auch älter sein, so dass Ch. postuliert, dass dieser Aspekt des Gottesbildes in der nachmonarchischen Zeit nicht neu war. In dieser Epoche hat es jedoch die Aufgabe übernommen, JHWHs universale Herrschaft über die Völker darzustellen: »… ancient Judahites were given theological grounds for hope for a time when governance would manifest itself plainly in historical events« (203).
Für Deutero- und Trito-Jesaja ist es typisch, dass das WNT auch auf die Bewohner Zions ausgedehnt werden kann. Dies entspricht der Tendenz, die auch sonst in der nachexilischen Zeit belegt ist, Vorstellungen der Königsideologie auf das Volk allgemein zu beziehen. Da das Motiv ja zeitgleich in der persischen Königsideologie eine wichtige Rolle spielt, hat es durchaus auch einen subversiven Charakter.
Angesichts der Tatsache, dass die Vorstellung als solche bereits jahrhundertelang vorher bekannt vorlag, stellt sich die Frage, warum gerade in der Perserzeit eine solche Rezeption so eine bedeutende Rolle spielt. Ch. kommt zu dem Schluss, dass die Zerstörung Jerusalems, die Deportation bestimmter Bevölkerungsteile und die allmähliche Rückkehr einiger Exilanten nach Jerusalem eine Reihe komplexer Prozesse in Gang gesetzt haben, die letztlich zu grundlegenden Veränderungen des WNT führten. Diese Veränderungen heben besonders die globale Herrschaft von JHWH und den königlichen Status von Zion und seiner Bevölkerung hervor (210). Während das Motiv in den altorientalischen Zeugnissen seinen Sitz im Leben fast durchgehend in Zeugnissen der Königsideologie hat, entstammen die meisten Belege der Hebräischen Bibel einer Zeit, in der das judäische Königtum bereits untergegangen war. »This fact makes the WNT one of the clearest examples of how tradition, under the right circumstances, can continue to function in society, even though its originating social situation no longer exists« (213). Außerdem handelt es sich in der biblischen Überlieferung um Texte, die eine klare Zukunftshoffnung artikulieren.
Die Arbeit schließt mit Ausführungen zum Verhältnis von Bilddarstellung und Text. Ch. kann hier darauf verweisen, dass die kunsthistorischen Belege den Befund der literarischen Zeugnisse bestätigen. Ein wichtiger Aspekt der Bildbelege liegt allerdings darin, dass diese Zeugnisse auch Menschen mit der Botschaft der WNT erreichen, die nicht zur Literaten-Elite gehörten. Besucher der Apadana z. B. konnten beim Besuch des Königs auf den Reliefs ihr eigenes Schicksal sehen. »As social agents meant to establish and affirm a king’s hold over his subjects, the visual forms of the WNT would have an immediacy that the textual instantiations of the tradition lack.« (214) Ein Appendix versammelt wichtige bildliche Darstellungen (215–221) und die Arbeit schließt mit einer ausführlichen Bibliographie (223–254) sowie den einschlägigen Registern (255–273).
Ch. gibt insgesamt einen guten Überblick über den Stoff. Das Ergebnis als solches ist wenig überraschend, insofern die Darlegungen Ch.s letztlich bestätigen, was auch bereits frühere Studien auf weitaus weniger Seiten zu dieser Thematik aufgezeigt haben. Ein Blick in die deutsche Forschungsliteratur mit ihren neueren Arbeiten wäre hier hilfreich gewesen. Manche Ausführungen Ch.s wirken schon fast banal, z. B. dass Traditionen häufig nicht frei erfunden, sondern rezipiert und transformiert werden, oder dass die RNT im Kontext der Königsideologie steht. Enttäuschend ist, dass Ch. letztlich keinen Bezug zwischen den Quellen der Umwelt und den biblischen Texten aufzuweisen vermag; dies überrascht insofern, als in der Einleitung ja angekündigt wurde, dass hier neue Wege in der Einbeziehung des altorientalischen Bildmaterials beschritten werden sollen. Es gäbe m. E. durchaus Ansatzpunkte, die Bereiche aufeinander zu beziehen. So könnte man die Veränderung der altorientalischen Tradition in Persien mit in den Blick nehmen, wo die Gabenbringer dem König zujubeln (vgl. die Arbeit von M. Cool Root); von hier wäre es dann durchaus möglich, eine L inie zu Ps 68,32 zu ziehen. Dennoch ist Ch. für die umsichtige Zusammenstellung des Materials, insbesondere der altorientalischen Quellen, zu danken.