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Ausgabe:

Dezember/1998

Spalte:

1192–1194

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Kieffer, René, et Jan Bergman (Ed.)

Titel/Untertitel:

La Main de Dieu. Die Hand Gottes.

Verlag:

Tübingen: Mohr 1997. XIV, 212 S. gr.8 = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 94. Lw. DM 148,-. ISBN 3-16-146715-9.

Rezensent:

Helga Weippert

Der Sammelband enthält elf Beiträge zum Motiv der Hand bzw. der Hände Gottes im Alten Ägypten, im Alten Vorderen Orient, im Alten und Neuen Testament, in der frühjüdischen sowie frühchristlichen Literatur und Ikonographie. Texte und Bilder aus annähernd zweieinhalb Jahrtausenden (2. Jt. v. bis 1. Hälfte des 1. Jt.s n. Chr.) sind damit auf zwar engem Raum (1-188), aber in dennoch erstaunlicher Breite erfaßt und gedeutet. Die nach Textbelegen, Stichwörtern und zitierten Autoren geordneten Indices (190-212) belegen dies eindrücklich. Wieder einmal ist es den theologischen Fakultäten von Straßburg, Tübingen und Uppsala gelungen, im Rahmen eines Kolloquiums (Uppsala, 14.-17. September 1995) ein fächerübergreifendes Thema vorzüglich zu behandeln und in Buchform einem weiteren Kreis zugänglich zu machen.

Die erarbeitete Zusammenschau literarischer und ikonographischer Zeugnisse aus einer längeren Zeitspanne hat ganz wesentlich zum Erfolg des Unternehmens beigetragen. Beispielhaft ist dafür gleich die erste Studie von J. Bergman (Darstellungen und Vorstellungen von Götterhänden im Alten Ägypten, 1-18) über die in der Regel paarweise, selten (Amarna-Zeit) in einer Vielzahl vorkommenden Götterarme und -hände in der ägyptischen Kunst. Wie Vor- und Darstellungen parallel verlaufen, demonstriert Bergman am Beispiel des ägyptischen Wortes für "Hand/Arm". Entgegen der Auskunft der Lexika bezeichne diese Vokabel nicht auch "Klaue/Tatze", sondern sei, wie Bilder von Tieren mit Händen belegten, an den entsprechenden Stellen als Metapher aufzufassen (1 f.). Wie lohnend das genaue Hinsehen und Lesen, also das Beachten des Kontextes ist, demonstriert S. Mittmann mustergültig (Das Symbol der Hand in der altorientalischen Ikonographie, 19-47). Er geht von der nach abwärts gerichteten Hand unter einer Grabinschrift in Hirbet el-Ko-m aus, die er kontextbezogen als "die segnend schützende und rettend eingreifende Hand Jahwes" erklärt (44). Diese Deutung sei freilich nicht generell auf das vieldeutige Handmotiv übertragbar; vielmehr müsse in jedem Einzelfall überprüft werden, für welche Aktion und für welchen Akteur (göttlich oder menschlich) die Hand stehe. Methodisch folgt Mittmann hierbei R. M. Boehmer, der für die altbabylonische Glyptik eine Tendenz zur "Abbreviatur", zur "Beschränkung auf das Essentielle" nachgewiesen hat (22). Daß dieses Deutungsmuster sich für die altorientalische Ikonographie insgesamt eignet, hat Mittmann in seinem Beitrag glänzend vor Augen geführt. Nützlich sind sodann die von S. Norin (Die Hand Gottes im Alten Testament, 49-63) bei der Sichtung der alttestamentlichen Belege angewandten Unterscheidungen zwischen "toten" (austauschbaren) und lebendigen (anthropomorphen) Metaphern sowie zwischen aktiver und statischer, durch die Hand ausgedrückter Macht. Wie frühjüdische Texte die Hand Gottes der alttestamentlichen Überlieferung durch Engel ersetzen oder auch spiritualisieren, zeichnet Anna Maria Schwemer anschaulich nach (Gottes Hand und die Propheten. Zum Wandel der Metapher "Hand Gottes" in frühjüdischer Zeit, 65-85). Die Ikonographie mache diesen Wechsel freilich nicht mit; hier behaupte sich das Handmotiv (78). Diese gute Beobachtung regt zum Nachdenken an. Ist die zeichenhafte Welt der Bilder festgelegter, konservativer als die der Buchstaben? Oder fehlen ihr Differenzierungsmöglichkeiten, über die das Wort verfügt?

M. Hengels (Der Finger und die Herrschaft Gottes in Lk 11,20, 87-106) Deutung des Fingers Gottes in Lk 11,20 verläuft nicht in den von Mt 12,28 angelegten "christlichen" Bahnen, wonach der Finger mit dem Geist Gottes gleichzusetzen wäre (89). Hengel versteht das ihm zufolge ursprüngliche Jesuswort als Rückbezug auf Ex 8,15, zieht dessen Deutungen im Targum, Midrasch und im hellenistischen Judentum bei und gelangt so zu der These, der Finger stehe für die Allmacht Gottes, für die Gottesherrschaft. Wie sich die Hand Gottes des Alten Testaments im vierten Evangelium zur heilbringenden Hand Jesu verlängert oder in diese verwandelt, stellt R. Kieffer anhand von Joh 3,35; 10,27-29; 13,3 dar (La main du Père et du Fils dans le quatrième évangile, 107-116). Der Rückgriff auf das Alte Testament, und zwar auf Joel 3,1-5, bestimmt auch die Ausführungen von Chr. Grappe (Main de Dieu et mains des apôtres. Réflexions à partir d’Actes 4,30 et 5,12, 117-134); denn er zeigt, wie die Hände Gottes und der Apostel trotz gegnerischer Hände so zusammenwirken, daß die Weissagung von Joel 3,1-5 Wirklichkeit werden kann.

Den durch beide Hände Gottes zum Ausdruck gebrachten Dualismus behandelt M. Philonenko (Main gauche et Main droite de Dieu, 135-140) ausgehend von den Fresken in der Synagoge in Dura Europos (245-256 n. Chr.). Sie stellten gleichsam eine "Bilderbibel" dar, deren Textverständnis vom Targum geprägt sei. So seien in der Szene vom Durchzug der Israeliten durch das Rote Meer die beiden vom Himmel herabkommenden Hände Gottes entsprechend targumischer Textauslegung angeordnet: Rettend erscheine die Rechte über den Israeliten, strafend die Linke über den dem Untergang geweihten Ägyptern. Analoge, mit beiden Gotteshänden verbundene Vorstellungen in den Homilien der Pseudo-Clementinen und in den Institutiones Divinae des Lactanz gingen noch einen Schritt weiter. So identifiziere Lactanz Gottes rechte und linke Hand mit dem guten und dem bösen Geist und rücke damit in die Nähe des aus den Qumran-Schriften bekannten Dualismus. Dessen Ursprung sei entsprechend den beigebrachten Belegen im jüdischen und jüdisch-christlichen Milieu zu suchen. Die Relation zwischen Texten und Bildern liefert auch P. Prigent den Schlüssel für das Verständnis frühchristlicher Darstellungen der Gotteshand (La main de Dieu dans l’iconographie du paléo-christianisme, 141-155). Während auf dem Fresko, das in Dura-Europos die Totenerweckung bzw. -auferstehung illustriere, gleich fünf Gotteshände abgebildet seien (vgl. Philonenko, 135), kämen vierzehn christliche Darstellungen derselben Szene ohne Gotteshand aus. An ihre Stelle sei Christus getreten, was völlig mit der Auslegung von Ez 37 durch Hieronymus übereinstimme: Manus Domini, hoc est, Dominus atque Salvator (153). Bilder und patristische Texte begegneten sich folglich, gehörten aber, so Prigent, dennoch unterschiedlichen Welten an (154). Im Leben der Kirche, im Kult und in den Gebeten, überschnittenen sich beide freilich. Die Bildszenen in ihrer frühjüdischen wie in ihrer frühchristlichen Ausprägung erklärt Prigent dementsprechend als Echo der von Menschen gesprochenen Gebete (ebd.). Für die Identifizierung der Hände Gottes mit dem Sohn und dem Heiligen Geist führt P. Marval eine Vielzahl von Belegen aus der patristischen Literatur an, die sich auf die uranfänglichen Weltschöpfung wie auf die individuelle Schöpfung eines jeden Menschen beziehen (Les mains de Dieu dans la création. Quelques interprétations patristiques d’une image biblique, 157-169). Wenn er abschließend eine Passage aus den Katechesen des Kyrillos von Jerusalem zitiert, in der die ans Kreuz genagelten Hände Jesu als die ausgestreckten Arme verstanden sind, die die ganze Welt umfassen (168), darf man sich an eine der ägyptischen Darstellungen im Beitrag Bergmans erinnern (5 Abb. 3): Auf ihr halten mehrere göttliche Armpaare den ganzen Kosmos fest. Die Metapher des Hieronymus und das ägyptische Bild gleichen sich in manchem, obwohl zwischen ihnen Welten liegen. Derartige Querverbindungen vor Augen zu führen, ist nicht das kleinste Verdienst des faszinierenden Sammelbandes. Er findet im Beitrag von Beate Ego sein angemessenes Ende (Trauer und Erlösung. Zum Motiv der Hand Gottes in 3 Hen §§ 68-70, 171-188).

3Hen § 63 beschreibt, wie Gott auf seinem Thron sitzt und seine Rechte hinter seinem Rücken verbirgt. Ego deutet diese Körperhaltung als Trauergestus, den Gott wegen der Zerstörung Jerusalems ausführe. Der Verweis auf den Midrasch EkhR 2,6 mit seiner Auslegung vom Lam 2,3 und auf weitere Texte (176 f. mit Anm. 30) spricht aber eher dafür, daß Gott parallel zur Gefangenschaft seines Volkes im Exil seine Rechte wie ein Gefesselter auf dem Rücken hat. Der Textfortgang in 3Hen § 68 mit der Erwähnung der weinenden Rechten Gottes widerspricht dieser Deutung nicht (vgl. Ps 137,1), und wenn schließlich von der Errettung von Gottes Hand die Rede ist, so paßt dies besser zu einer vorausgegangenen Gefangenschaft als zu einem Trauergestus.

Trotz dieses Einwands im Detail hat Ego vorzüglich "Gottes Immanenz", das "Mit-Leiden Gottes am Geschehen der Welt" in 3 Hen §§ 68-70 dargestellt und die rabbinische Verwurzelung dieser Vorstellungen nachgewiesen (181).

Ungern legt man diesen gelungenen Sammelband zur Seite, aber gerne wünscht man ihm viele Leserinnen und Leser.