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Ausgabe:

April/2000

Spalte:

415–418

Kategorie:

Autor/Hrsg.:

Sterr, Martin

Titel/Untertitel:

Lobbyisten Gottes - Die Christian Right in den USA von 1980 bis 1996. Zwischen Aktion, Reaktion und Wandel.

Verlag:

Berlin: Duncker & Humblot 1999. 407 S. m. Abb. gr.8 = Ordo Politicus, 33. Kart. DM 128,-. ISBN 3-428-09165-5.

Rezensent:

Erich Geldbach

Die 1996 von der Philosophischen Fakultät der Albert-Ludwig-Universität in Freiburg angenommene Dissertation zerfällt in vier Kapitel. Der erste Teil (13-97) befaßt sich mit methodischen Fragen. Das zweite Kapitel (98-148) informiert über den geschichtlichen Prozess von der "alten" religiösen Rechten zur Christian Right (CR) in den Jahren 1920-1979. Im dritten Abschnitt (149-270) werden die 80er Jahre unter dem Aspekt von Aktion und Transformation der CR dargestellt, während Kontinuität und Wandel die Stichworte abgeben, um die Transformation der CR in den 90er Jahren im letzten Kapitel zu untersuchen. Ein Literaturverzeichnis und Register (367-407) beschließen das Buch.

Zunächst fallen vier negative Sachverhalte auf:

1. Der Vf. benötigt einen langen Anmarsch - immerhin 148 von 356 Seiten Text -, um zu seinem Thema vorzustoßen.

2. Trotz begrifflicher Klärungsversuche gelingt es dem Vf. nicht, klare Abgrenzungen vorzunehmen. So z. B. schreibt er: "Oft werden die Begriffe fundamentalistisch und evangelisch als Synonym gebraucht" (87), wobei hier und an vielen anderen Stellen "evangelisch" im Sinne von "evangelikal" gemeint ist. Es ist offensichtlich, daß der Vf. sprachliche und theologische Sachverhalte nicht genau kennt, wenn er z. B. von der Stadt "auf dem Hügel" (statt "Berg", 100) oder von "überregionalen Bekehrungserlebnissen" statt von Erweckungsbewegungen (101) spricht. Auf S. 103 führt er "die strikte räumliche Trennung von Israel" an, wenn die zeitliche Abfolge von "dispensations" gemeint ist. S. 105 Anm. 14 und S. 107 Anm. 21 schreibt er "evangelism" statt "evangelicalism". S. 108 und S. 141 Anm. 95 wird von "zweiter Wiederkunft" Christi gesprochen oder S. 112 von Verkündigung der Evangelien statt des Evangeliums.

Auch schreibt der Vf. stets das Englische "born again", so als gäbe es im Deutschen nicht das Wort Wiedergeburt. S. 120 und S. 126 heißt es "Holy Churches" statt Holiness Churches. S. 146 ist von "Fernsehpriestern", S. 256 von einer evangelischen Priesterschaft (wobei Priesterschaft noch falsch geschrieben ist) die Rede. S. 163 wird ökomenisch statt ökumenisch geschrieben. S. 238 wird die Zeitschrift Sojourners als "liberal" bezeichnet. In Wirklichkeit versteht sich der Herausgeber Jim Wallis als "linker Evangelikaler". Diese feinen Nuancen kennt der Vf. nicht. Dass sich Präsident Bush "vehement für die Abtreibung" eingesetzt habe (277), ist natürlich blanker Unsinn. Außerdem: S. 113 wird der Name des ehemaligen Außenministers William J. Bryan zweimal falsch geschrieben, S. 115 richtig; entgegen der Behauptung S. 119 Anm. 44 erfreut sich Billy Graham schon seit Jahren nicht bester Gesundheit; S. 111 Anm. 29 "Ericson" statt Erickson; S. 134 McIntyre statt McIntire; S. 161 Bat statt Pat Boone; S. 232 Oral Robertson statt Roberts.

3. Wenn der Vf. die von ihm aufgezeichneten Interviews wiedergibt, ist unverkennbar, dass er mit der englischen Sprache arg auf Kriegsfuß steht.

4. Auch sonst fallen merkwürdige Sätze auf. Was soll z. B. der Satz, dass "einer der eindrucksvollsten Aspekte des (!) amerikanischen Glaubens (!) seine Unveränderbarkeit" ist (104)? Wie kann man sagen, daß der Anti-Katholizismus "seit den Tagen der Reformation" ein wichtiges Charakteristikum des amerikanischen Protestantismus gewesen sei (115, Anm. 37)? Dann wird behauptet, dass sich "Kontinuitäten eines fundamentalistischen Engagements von den Anfängen des Jahrhunderts bis heute" "ohne Mühe" nachzeichnen lassen (145), obwohl das zweite Kapitel dies alles andere als deutlich werden lässt, weil hier die Begriffe fundamentalistisch, evangelikal und evangelisch wild durcheinander gebraucht werden und die Kontinuität gerade nicht, auch nicht in der Zusammenfassung S. 146, nachgewiesen wird. Es wird auch nicht klar, wo etwa eine Grenze zwischen Fundamentalismus und Evangelikalismus gezogen werden könnte. Wie Pfingstler und Charismatiker einzuordnen sind, wird ebenfalls verschwiegen.

In den beiden Kapiteln, die im Titel des Buches als eigentliches Thema angekündigt sind, wird anhand von sechs Klassifikationskriterien (Träger, Ressourcen, Ideologie, Themen, Mobilisierung, Aktionen) gezeigt, wie sich die CR von einer zumeist durch Fernsehprediger geleiteten Honoratiorenorganisation über eine religiös-politische Bewegung zu einer politischen Interessengruppe und dann zu einer gemeindeorientierten Bewegung transformierte. Interessant ist der Hinweis, daß die Ideologiegeber aus dem Umfeld Barry Goldwaters kamen. Kristallisationskern der christlichen Rechten war die von dem Fernsehprediger Jerry Falwell geleitete "moral majority".

Sie war aber bei weitem nicht die einzige Organisation. Verdienstvollerweise hat der Vf. auf S. 160 und S. 171 Tabellen mit den wichtigsten Organisationen der CR und der Mehrfachmitgliedschaft von Schlüsselpersonen zusammengestellt, was zeigt, wie sich die Organisationen und die Organisatoren überlappen. Die Aktivierung von konservativen Wählern - ob christlich oder nicht - konzentrierte sich auf Bereiche, die als "traditional values" benannt werden. Was die Fernsehprediger in die Organisationen der CR einbrachten, war nicht nur eine christlich-politische Ideologie, sondern auch Logistik, wie Computer-Datenbanken, direct mail und die Fähigkeit, größere Geldsummen von Sympathisanten einzuwerben.

Der Erfolg der CR wird mit Recht zurückgeführt auf ein fest umrissenes politisches Programm mit klaren Zielen, das ein sich politisch bedroht fühlendes sozio-moralisches Milieu ansprach und mobilisierte (175). Die Mobilisierung brachte bei den Wahlen 1980 spürbare Ergebnisse (Ronald Reagan, Stimmenmehrheit im Senat, Zuwächse im Repräsentantenhaus). Dies schrieben sich die Propagandisten der CR zugute, während Wahlanalysen weitaus vorsichtiger sind. Der Vf. zeigt eindrucksvoll, wie die Kernbereiche Schulgebet, Abtreibung und Steuererleichterung für Konfessionschulen die konstanten Themen blieben, bei denen man trotz unermüdlicher Lobbyarbeit sowohl im Kongress als auch im Weißen Haus nichts bewegen konnte. Die CR erschien in der Öffentlichkeit immer mehr als eine extremistische Bewegung, zumal die Themen an Zugkraft verloren und außenpolitische Themen sich für die CR als kontraproduktiv erwiesen, weil insbesondere Jerry Falwell Positionen zu Südafrika, Taiwan und den Philippinen vertrat, die in der allgemeinen Öffentlichkeit, auch bei christlich motivierten Wählern, Kopfschütteln erzeugten. Die auseinander strebenden Teile der christlichen Rechten als einer sozialen Bewegung konnten nicht zusammengehalten werden, so dass der Vf. mit Recht von der Agonie der CR (243 ff.) spricht. Mehrere Lobbyorganisationen, vor allem die "moralische Mehrheit", brachen zusammen. - Fortan war vor allem der Fernsehevangelist Pat Robertson mit seinem "700 Club" (nicht: Club 700) im Mittelpunkt, nicht zuletzt wegen seiner Kandidatur für die Präsidentschaft. Als er scheiterte, konzentrierte man sich auf die lokale Ebene in einer zweifachen Weise - und dies ist eine der besonderen Transformationen der CR: Man versuchte, bei den Wahlen zu den lokalen "school boards" eigene Kandidaten aufzustellen, um so Einfluss zu nehmen auf das Schulprogramm, insbesondere auch auf die Auswahl der Schulbücher. Zum anderen konzentrierte man sich auf die Basisarbeit innerhalb der Republikanischen Partei, so dass man relativ viele Delegierte bei dem Parteikongress der Republikaner stellen konnte, was besonders in Houston 1992 deutlich wurde, wo man die Wahlkampfplattform mitzubestimmen wusste.

Dies wird im letzten Kapitel geschildert; es geht um die Reform der CR in den 90er Jahren "an Haupt und Gliedern". Aus mehreren von "Honoratioren" und von Elementen einer sozialen Bewegung bestimmten Organisationen wurde eine in der Republikanischen Partei verankerte und also parteigebundene Interessengruppe. Diese Transformation "säkularisierte" die CR einerseits und machte sie "politisch versierter" (273). Programmatisch aber hat sich - Transformation hin oder her - nicht viel verändert. Die "klassischen" Themen, die sogenannten "big five" sind geblieben: Bildung, Pornographie, Abtreibung, Schulgebet und Homosexualität.

Es bleibt nach wie vor umstritten, inwiefern die CR der Republikanischen Partei eine Hilfe oder ein Hindernis ist. Die Grand Old Party ist auf die CR angewiesen, wie diese auf die GOP, weil man weiß, daß eine eigenständige dritte CR-Partei überhaupt keine Chancen bei Wahlen hätte (313). Die Wahlen 1996 zeigten, daß die CR nicht das Potential hat, die politische Tagesordnung in Washington oder auch vor Ort zu dominieren. Eine neue Konstellation ergab sich, als Ralph Reed in das von Pat Robertson dominierte Imperium eintrat und die "Christian Coalition" (CC) als Geschäftsführer leitete. Er wird von dem Vf. zu Recht als "Realo" bezeichnet, der nach neuen Koalitionspartnern Ausschau hielt, um das Image des Extremismus abzuschütteln und um eine realistische Chance zu haben, politische Entscheidungen in Washington mitbestimmen zu können. Er ist aber 1997 als Geschäftsführer ausgestiegen, so dass man im Augenblick nicht überschauen kann, wohin sowohl die CC als auch CR insgesamt steuert. Auf dem fundamentalistischen Flügel des amerikanischen Protestantismus gibt es immer neue Bewegungen, so z. B. erwähnt der Vf. die Promise Keepers, die plötzlich auftauchten und für großen Wirbel sorgten, im letzten Jahr aber fast pleite gingen. Solche Organisationen, die kommen und gehen, sind für eine Kontinuität im politischen Bereich nicht gerade förderlich. Der CR ist es außerdem nicht gelungen, in neue Bereiche vorzustoßen. Mit Recht sieht der Vf. Potential innerhalb der Schwarzen, der orthodoxen Juden und der konservativen Katholiken. Dies aber würde die CR insgesamt erheblich verändern.

Es ist oft gut, wenn religiöse Phänomene von einer anderen als einer theologischen Warte aus betrachtet werden, weil andere Zugangswege auch neue Einsichten versprechen. Im vorliegenden Falle scheint eine Transferleistung nur geringe Resultate hervorgebracht zu haben. Der Vf. kennt zu wenig den amerikanischen Fundamentalismus, und die langen methodischen Ausführungen im ersten Teil finden nur in geringem Ausmaß in den Ausführungen des Themas ihren Niederschlag. Schade ist auch, dass eine so wichtige Einrichtung wie das Council for National Policy nur S. 174 Anm. 60 erwähnt wird.

Für die Zeit nach 1996, also nach Fertigstellung der Dissertation und vor Drucklegung, greift der Vf. auf Homepages zurück. Das führt natürlich zu der Frage, wie man diese zitiert. In der vorliegenden Form sind sie nicht nachprüfbar - aber das ist ein allgemeines Problem, was über die Arbeit hinausreicht.