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Ausgabe:

April/2000

Spalte:

412 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Heutger, Nicolaus

Titel/Untertitel:

Die evangelischen Frauenstifte und -klöster in Niedersachsen. Ein Beitrag zur Frauenforschung und zur EXPO 2000.

Verlag:

Braunschweig: Reichold 1998. 174 S. m. 57 Abb. gr. 8 = Forschungen zur niedersächsischen Ordensgeschichte, 3. Geb. DM 29,80. ISBN 3-930459-21-3.

Rezensent:

Inge Mager

Nicolaus Heutger hat sich seit mehr als 4 Jahrzehnten mit dem mittelalterlichen und nachreformatorischen Klosterwesen in Niedersachsen beschäftigt. Seine 1961 erschienene Dissertation über "Evangelische Konvente in den welfischen Landen und in der Grafschaft Schaumburg" war lange Zeit die einzige Untersuchung über die norddeutsche Besonderheit des Fortbestehens evangelischer Klosterkonvente. Mit der vorliegenden Veröffentlichung legt Vf. den überarbeiteten und bis in die Gegenwart fortgeführten zweiten Teil seiner Münsteraner Doktorarbeit vor. Sie ist nicht nur ein Spiegel des fortgesetzten Interesses am nachreformatorischen Monasmus, sondern dokumentiert auch die intensive persönliche Verwobenheit mit dem niedersächsischen Kloster- und Stiftswesen. Seit 1972 versieht er das Amt des Stiftsgeistlichen von Bassum.

Einleitend wird dargelegt, dass im Bereich des heutigen Niedersachsen trotz der reformatorischen Kritik an den Mönchsgelübden eine ganze Reihe von Frauenstiften und Frauenklöstern konventsmäßig erhalten blieben und in immer wieder neuen Klosterordnungen Richtlinien für ihren Fortbestand unter evangelischer Prämisse erhielten, während ihr nicht säkularisiertes Vermögen gesondert verwaltet und bis heute von der 1818 bestätigten "Closter-Cammer zu Hannover" bzw. vom 1832 reorganisierten Braunschweigischen Vereinigten Kloster- und Studienfonds, zwei Stiftungen des öffentlichen Rechts, verwaltet wird. Die Hannoversche Klosterkammer betreut gegenwärtig vier Stifte (Bassum, Börstel, Fischbeck und Obernkirchen) und elf Klöster (sechs Lüneburger und fünf Calenberger Klöster); die Braunschweigische Schwesterinstitution ist für zwei Klöster verantwortlich. Nach einer historischen Kurzporträtierung aller noch bestehenden Stifte und Klöster geht der Vf. systematisch vor, indem er Nachrichten aus allen Einrichtungen in lockerer chronologischer Reihenfolge über Bezeichnung, Aufnahme, Pflichten und Rechte der Konventualinnen zusammenträgt, Einführung, Pflichten und Rechte der Äbtissin beschreibt und sich zuletzt dem alltäglichen, liturgischen und geistlichen Leben in den Konventen widmet, deren gesellschaftlicher Beitrag über die eigene Versorgung hinaus vornehmlich in erzieherischer, sozialer und kultureller Arbeit bestanden hat und z. T. bis heute besteht.

Die weithin unbekannten Nachrichten insbesondere über das fromme Leben in den Stiften und Klöstern vermittelt den Eindruck, dass die ev. Chanoinessen oder Konventualinnen noch lange Zeit als Angehörige des geistlichen Standes angesehen wurden und sich auch meist so fühlten. Der Vf. hat dankenswerterweise eine ganze Reihe eindrücklicher Zeugnisse von zeitweilig intensivem geistigem und geistlichem Leben in den Konventen zusammengetragen. Er benennt sogar einige Äbtissinnen, die sich künstlerisch oder schriftstellerisch betätigten. Auch wenn Ende des 17. Jh.s der gemeinsame Tisch und Ende des 18. Jh.s das mehrmalige Chorgebet abbrachen, galten die Stifte und Klöster doch weiterhin als Orte vertiefter Frömmigkeit und Fürbitte insbesondere für die Landesobrigkeit. Heute sind sie Teil ihrer Kirchengemeinden und beleben diese gelegentlich. Im Übrigen widmen sie sich vorrangig der Pflege und Präsentation der aus dem Mittelalter erhaltenen Kunstschätze und sind auf der Suche nach neuen, gesellschaftlich und kirchlich relevanten Betätigungen.

Das Buch ist abgesehen von kleineren Flüchtigkeiten flüssig und verständlich geschrieben. Viele Zitate und Mitteilungen aus der gedruckten oder archivalischen Überlieferung sind nachgewiesen. Einiges jedoch bleibt unbelegt. Die Stärke des vorliegenden Buches ist nicht die erschöpfende Belehrung, sondern die Impulsgebung und interessante Unterhaltung. Letzterem dienen auch die vielen Bilder - Außen- und Innenansichten von Klöstern und Kirchen, Porträts, Kunstobjekte. Insofern nimmt diese Veröffentlichung weiterhin eine wichtige Platzhalterfunktion ein, bis wir eines Tages eine gründliche niedersächsische evangelische Klostergeschichte - vielleicht als Gemeinschaftsopus - haben. Da schon eine ganze Reihe von neueren Einzeluntersuchungen dazu vorliegen, dürfte einer Verwirklichung dieses Desiderates nicht allzuviel im Wege stehen.