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Ausgabe:

April/2000

Spalte:

408–410

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schmidl, Martin

Titel/Untertitel:

Jesus und Nikodemus: Gespräch zur johanneischen Christologie. Joh 3 in schichtenspezifischer Sicht.

Verlag:

Regensburg: Pustet 1998. XIX, 490 S. m. 1 Abb. 8 = Biblische Untersuchungen, 28. Kart. DM 68,-. ISBN 3-7917-1625-5.

Rezensent:

Jörg Frey

Die von Josef Hainz in Frankfurt a. M. betreute Dissertation des Vf.s widmet sich dem 3. Kapitel des Johannesevangeliums (= Joh), genauer Joh 2,23-4,3, "in schichtenspezifischer Sicht". Das heißt, der Vf. unternimmt einen neuen Versuch, den Text dieses Kapitels auf der Basis literarkritischer Schichtentrennung zu verstehen. Wie zuvor bereits andere Schüler von J. Hainz1 wählt er dazu das Grundschrift- bzw. Drei-Schichten-Modell des vor gut 20 Jahren verstorbenen Georg Richter2, dessen grundsätzliche Tragfähigkeit er nun am Text von Joh 3 erweisen will. So spiegeln sich die Grundprobleme der Literarkritik am Joh und näherhin die Probleme der Theorie Richters auch in dieser Arbeit.

Der Hauptteil der Arbeit (79-423) bietet die versweise Interpretation von Joh 2,23-4,3. Einige Exkurse behandeln übergreifende Fragen. Vorneweg (1-78) bietet der Vf. eine knappe Diskussion der Bedeutung des Textes und der methodischen Probleme, eine Darstellung der gewählten Vorgehensweise sowie eine Skizze der vermuteten religions- und zeitgeschichtlichen Hintergründe. Am Ende der Einzelauslegung (424-438) wird eine "schichtenspezifische Interpretation" (mit graphischer Darstellung der Schichtenzuweisungen) geboten und ein knappes Resümee gezogen.

Der Schluss sollte die Frage beantworten, ob das Anliegen des Vf.s, die Validität des Drei-Schichten-Modells aufzuweisen, zum Ziel gekommen ist. Dem kritischen Leser der Arbeit bleibt jedoch ein zwiespältiger Eindruck: Dem Vf. gebührt Anerkennung, weil er in seinen literarkritischen Urteilen vorsichtiger und weniger dekretorisch vorgeht als Georg Richter und andere Vertreter der ,Neueren Literarkritik’ am Joh. Andererseits macht sich Ernüchterung breit, weil der Vf. auf dieser Basis in Joh 3 keine wirklich zusammenhängenden Quellen- oder Bearbeitungsschichten herausarbeiten kann. Der Redaktion schreibt der Vf. nur wenige, gegenüber der Schicht des Evangelisten sperrige Verse zu (Joh 3,8bc.19-21, daneben die Nennung des Wassers in 3,5, der Jünger in 3,22 und die Parenthese in 4,2). Sie ist daher (anders als bei Richter) im vorliegenden Text nicht antidoketisch, sondern v. a. durch Ethisierung und verstärktes Prädestinationsdenken gekennzeichnet, doch lassen sich die Motive vieler anderer mutmaßlich redaktioneller Eingriffe nicht weiter erhellen. Die Grundschrift, die nach der Theorie des Vf.s vom Evangelisten sehr kritisch bearbeitet wurde, lässt sich ebenfalls nicht als durchlaufende Quellenschicht rekonstruieren. Nur Teile der Täuferszene V. 23 f.27-30 und die ,Zeichen-Christologie’ in 2,23 und 3,2 will der Vf. ihr zuschreiben, andere Aussagen, die nach den von Richter aufgestellten Kriterien zu dieser Schicht passen könnten, sind im Wortlaut nicht mehr zu rekonstruieren. Die hinter der Grundschrift vermutete ältere Tradition lässt sich natürlich noch weniger präzise fassen. Das heißt, allein für den Evangelisten, dem der Großteil des Kapitels zugeschrieben wird, lässt sich ein konsistentes Darstellungsinteresse feststellen.

Gravierende Zweifel erheben sich auch gegenüber der Sicherheit der vom Vf. vertretenen literarkritischen Urteile. Es ist völlig unsicher, ob alles, was dem für den Evangelisten festgehaltenen Interesse gegenüber sperrig erscheint, als Zusatz der Redaktion ausgeschieden werden muss. Meines Erachtens ist dies weder für Joh 3,19-21 zwingend, wo man - angesichts des kompositionellen Zusammenhangs mit V. 18 - eher die Verarbeitung von Gemeindetraditionen vermuten darf, noch gar für das seit Wendt und Bultmann umkämpfte udatos hai in Joh 3,5. Dass diese beiden Worte Zusatz der Redaktion seien (die ihrerseits auf die ältere Tradition der Gemeinde rekurriert), gründet nur in einem bestimmten Bild des Evangelisten. Dieser soll nach der Theorie Richters ein Außenseiter in der joh Gemeinde gewesen sein, der auf Grund seiner Christologie eine Bindung des Heils an die Taufe nicht akzeptieren konnte. Aber dieses Bild lässt sich am Text nicht erweisen, es bleibt ein Postulat tendenzkritischer Argumentation, die voraussetzt, dass jeder am joh Werk beteiligte Autor die Auffassungen seines ,Vorgängers’ bekämpft oder z. T. gar ins Gegenteil verkehrt hat. Wie man sich eine solche Literaturproduktion im Rahmen der johanneischen Schule historisch konkret vorstellen soll, bleibt dabei völlig ungeklärt. Es ist daher sehr fraglich, ob ein solches Modell wirklich hilft, der historischen Wahrheit näher zu kommen und das Werden des Textes (und seine Aussage) besser zu verstehen.

Erfreulicherweise legt der Vf. auch offen, was ihn an der Schichtentheorie reizt: Sie ermöglicht, den biblischen Text als komplexes Resultat einer kontroversen Diskussion zu verstehen, und "entlastet" so davon, den Anspruch des Textes oder einzelner Schichten "auf andere Zeiten und Situationen übertragen zu müssen" (184). Aber so sehr die Wahl eines solchen Ansatzes gesellschafts- oder kirchenpolitisch en vogue erscheinen mag, so wenig wird sie der Aufgabe gerecht, den zu interpretierenden Text auch in seinem sachlichen Anspruch ernst zu nehmen. Welche Schicht letztlich Anspruch auf Gehör hat, bleibt bei dieser Methode letztlich ungeklärt.

Die Einzelinterpretation ist allerdings nur partiell vom quellenanalytischen Interesse des Vf.s geprägt. Hier werden die strittigen Fragen zusammengestellt, und unter (allzu) breiter Zitierung der Literatur erörtert. Gelegentliche Inkonsistenzen zeigen aber auch hier, dass der Vf. methodisch einem Konzept folgt, das dem heutigen Stand der Diskussion nicht mehr ganz entspricht. Dies soll nur an einem Beispiel gezeigt werden, den Missverständnissen der innertextlichen Figuren, z. B. des Nikodemus in Joh 3,4: Der Vf. weiß sehr wohl um die subtile literarische Funktion der joh Missverständnisse und zitiert (128 ff. u.ö.) die wichtigsten Arbeiten dazu. Aber er weicht der Konsequenz dieser Einsichten letztlich aus und interpretiert das Missverständnis in Joh 3,4 primär als Spiegel der vermuteten (Theologie-)Geschichte der joh Gemeinde, d. h. als polemische Abweisung einer Nikodemus-Gruppe mit insuffizienter Christologie. Damit werden im Interesse der vom Vf. vorausgesetzten Theorie und des mit ihr verbundenen Bildes der Gemeindegeschichte wesentliche neuere Einsichten über dieses Sprachmittel im Joh zu wenig ernst genommen.

Es ist dem Vf. wohl nicht alleine zuzuschreiben, dass er in seiner Dissertation eine Aufgabenstellung verfolgt hat, die dem heutigen Stand der Diskussion nicht mehr entspricht. Sein schichtenanalytisches Interesse hat an manchen Stellen den Blick für eine schlüssigere Interpretation des Ganzen getrübt. Der Wert der vorliegenden Arbeit besteht deshalb v. a. darin, dass sie die exegetische Diskussion zu Joh 3 in großer Breite und weithin vollständig aufgearbeitet hat.

Fussnoten:

1) S. die Arbeiten von J. Wagner, Auferstehung und Leben, BU 19, Regensburg 1988 (zu Joh 11,1-12,19); W. Lütgehetmann, Die Hochzeit von Kana (Joh 2,1-11), BU 20, Regensburg 1990, und A. Link, Was redest du mit ihr?, BU 24, Regensburg 1992 (zu Joh 4,1-42).

2) G. Richter, Studien zum Johannesevangelium, hrsg. v. J. Hainz, BU 13, Regensburg 1977.