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Ausgabe:

April/2000

Spalte:

400 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Davis, Casey Wayne

Titel/Untertitel:

Oral Biblical Criticism. The Influence of the Principles of Orality on the Literary Structure of Paul’s Epistle to the Philippians.

Verlag:

Sheffield: Academic Press 1999. 199 S. gr. 8 = Journal for the Study of the New Testament, Suppl. Series, 172. Lw. £ 35.-. ISBN 1-85075-972-3.

Rezensent:

Wolfgang Schenk

Kap. 1 ’The Principles of Orality’ (11-63) gibt eine methodische Übersicht für den beabsichtigten ’Oral Biblical Criticism’. Dabei wird die orale Poetik und Noetik der primären Mündlichkeit (Formeln, Themen), wie sie für Homer entwickelt wurde (in der Altphilologenschule von Parry, Havelock, Ong), in ihren Wirkungen auf schriftliches Material hoch veranschlagt. Nicht so sehr die Schriftlichkeit des Autors, sondern die Hörbarkeit der Empfänger beim Vorlesen soll im Blick stehen. ’Oral Biblical Criticism’ wird so zum methodischen Oberbegriff gemacht, dem sehr summarisch die antike Rhetorik wie moderne Linguistik und Diskursanalyse ein- und untergeordnet werden. Die tabellarisch zusammengefasste ’Method for Oral Biblical Criticism’ (63) wird dann in ihrem Dreischritt auf das Textkorpus des Philipperbriefes angewandt: In Kap. 2 ’Analysis of the Author’s Rhetorical Style’ (64-97) werden zunächst die Daten des Materials als Elemente der Komposition rhetorisch klassifiziert (Ethos, Pathos, diverse Figuren und Repetitionen).

Die beiden Tabellen im Anhang zeigen, wie wichtig dem Autor dabei Synonymie (162-167) sowie konzentrische und parallele Strukturen (168-175) sind. Mit ihnen wird auch der nächste Schritt eröffnet, der Kap. 3 ’Identification and Analysis of Units’ (98-140) fortlaufend die einzelnen Textabschnitte in ihren Abgrenzungen und Strukturiertheiten darstellt (140 zusammenfassende Übersicht ’Mid-Range Structure’). Besonders einleuchtend sind die Beobachtungen der Strukturierung von Phil 3 in schlechte versus gute Beispiele (3,2.4-6 : 3,3.7-11 und 3,18 f. : 3,20 f.), während dazwischen in 3,12-16 Paulus "is no longer arguing against the claims of opponents but against the manner in which his own arguments might be interpreted" (128). Kap. 4 ’Analysis of Progression from Unit to Unit’ (141-161) wendet sich schließlich der Gesamtkomposition zu, deren Thema zwischen den konzentrischen Inklusionen (1,3-26 und 4,10-20) in der Einheit der Gemeinde gesehen wird. Dabei sollen 2,19-30 als Beispiele das zentrale Segment darstellen, um das sich konzentrisch 1,27-2,19 und 3,1-4,9 gruppieren. (Bibliographie, Stellen- und Autorenregister beschließen die Dissertation. Leider wurde die umfassende Darstellung von J. T. Reed, A Discourse Analysis of Philippians, die 1997 als Band 136 der gleichen Reihe erschien, noch nicht berücksichtigt.)

Ob damit auch eine ursprüngliche Kohärenz des gesamten Textmaterials und nicht nur die Kohärenz einer Briefredaktion eruiert ist, muss offen bleiben. Ein Indikator dafür, dass hier eine Vorentscheidung leitend ist, dürfte schon sein, dass der Titel meines Kommentars (1984) ständig als Singular statt als Plural zitiert wird. Auch wird erwogen, dass die ständig rückweisende Paränese 2,12-18 "could be regarded as a way of summing things up at the end of the letter. This argument would speak in favor of a multiple letter theory" (116). Die Bestreitung der Beobachtung, dass die Reisepläne Phil 2,19-30 zum Briefschluss gehören (117-122), kann nicht einfach und ohne jeden Geltungstest von 1Kor 4,17-19 und 2Kor 8,16-19 her behauptet werden (118), da dort offenbar ebenso Briefschlüsse vorliegen. Doch vor allem weisen die Leitwörter "senden" und "kommen" mit denen ihnen zugeordneten Aufgaben auf diese Situation (2,19.23.24.25.28). Diese in ihrer Primärfunktion herunterzuspielen, um Timotheus und Epaphroditus eine Primärfunktion von argumentativen Beispielen zuzuschreiben, überzeugt nicht. Für die behauptete chiastische Rahmung von Phil 3,1 mit 4,4.8 (ohnehin aufgespalten!) wird zugestanden: "This argument does not in any way prove the integrity of the letter. However it does help to explain the present structure" (123 n. 84, wobei aber als ungerechtfertigte inklusive Verallgemeinerung dieses möglichen Einzelfalles zugefügt wird: "and if the present structure can be explained the need for developing a multi-letter theory is eliminated"). Die Folgerungspartikel in 3,1 und 4,8 wird wiederum atomistisch gesehen (118 f.122-125) statt als Element des Gesamtsyntagmas (+ Vokativ + Imperativ), für das keine der angeführten Parallelen einen Beleg geben.

Die grundlegende Absicht der ,Mündlichkeit’ als solcher eine grundsätzliche und umfassende kategoriale Bedeutung zuzuerkennen, verkennt die wesentliche Unterscheidung von primärer, sekundärer und randständiger Oralität (A. & J. Assmann, Schrift - Kognition - Evolution, in: E. A. Havelock, Schriftlichkeit, Weinheim 1990, 1-35). Unausgeglichen wird bei D. zuerst die Rhetorik der Oralität untergeordnet (29-49; vgl. differenzierter R. Brucker 1997, Rez. ThLZ 123, 1998, 985-987), während sie dann für Kap. 2 (64-97) als übergeordnete Kategorie fungiert und noch am Ende eine Divergenz registriert werden muss (154). Die Mündlichkeit kann wohl eher nur eine begrenzte Rolle als Katalysator in einer schriftgestützten Kommunikation bei Briefen spielen. Ihre Verabsolutierung als Gegensatz zur ,Schriftlichkeit’ (und linearem Denken) überzieht die Rolle der Medien wohl in der Absicht einer Neuauflage der Diastase einer "religiösen Empfindung" im Widerspruch zu Lehrinhalten (38 f.159).