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Ausgabe:

Dezember/1998

Spalte:

1191 f

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Huenergard, John

Titel/Untertitel:

A Grammar of Akkadian.

Verlag:

Atlanta: Scholars Press 1997. XL, 643 S. gr.8 = Harvard Semitic Studies, 45. Lw. $ 44.95. ISBN 0-7885-0318-9.

Rezensent:

Hans-Peter Müller

Der Verfasser des für den Gebrauch der Studierenden konzipierten Lehr- und Arbeitsbuches ist Professor am "Department of Near Eastern Languages and Civilizations" der "Harvard University" in Cambridge/Massachusetts (USA.). Sein jetzt vorgelegtes Werk basiert auf den Erfahrungen von zwei Jahrzehnten Lehrtätigkeit an verschiedenen amerikanischen Universitäten und befindet sich so in Kontinuität mit den ähnlichen Grammatiken von David Marcus (A Manual of Akkadian, 1978) und Richard Caplice (Introduction to Akkadian, 31988).

Für den deutschsprachigen Benutzer, vor allem für den Forscher an akkadischen Texten und deren Sprache sowie für Alttestamentler und Semitisten, trifft es sich gut, daß das Erscheinen des Buches, dessen Verfasser unter anderem durch sein "Ugaritic Vocabulary in Syllabic Transcription" (1987) und durch "The Akkadian of Ugarit" (1989) bekannt ist, mit demjenigen dreier wichtiger anderer Werke auf besagten Gebieten zeitlich zusammentrifft, der unter Mitarbeit von W. R. Mayer besorgten 3., ergänzten Auflage des nach wie vor unersetzlichen "Grundriss(es) der akkadischen Grammatik" (= GAG; Analecta Orientalia 33) von Wolfram von Soden (1995), der "Structural Grammar of Babylonian" von Georgio Buccellati (1996) und dem der historisch vergleichenden Grammatik gewidmeten Buch von E. Lipinski: "Semitic Languages. Outline of a Comparative Grammar" (Orientalia Lovaniensia Analecta 80; 1997).

Den Einzellektionen geht eine Einleitung ("Introduction", XXI-XL) voran, die unter anderem die Stellung des Akkadischen (der semitischen Sprache des alten Mesopotamien vom 26. Jh. v. Chr. bis zum 1. Jh. n. Chr.) im Kontext der übrigen semitischen Sprachen, die Aufgliederung des Akkadischen in seine Dialekte (vor allem das Altakkadische sowie die assyrischen und babylonischen Idiome) und das Verhältnis des Akkadischen zum (nicht-semitischen, aber ebenfalls mesopotamischen) Sumerischen kurz und einleuchtend behandelt, sodann auf die einschlägigen Hilfsmittel für den Studierenden hinweist und schließlich eine Auswahl-Bibliographie bietet. Die 38 Lektionen des Werkes führen den Studierenden sorgfältig durch die Hauptbereiche der Grammatik, allerdings ohne die Syntax zu thematisieren; Bemerkungen dazu und zu gattungsgebundenen Stileigentümlichkeiten finden sich jeweils beiläufig. Durch die jeder Lektion beigegebenen Übungen wird das Werk besonders im 2. Teil gleichzeitig zu einem Textbuch, das aber von Anfang an auch das Vokabular erschließt und das mühsame Erlernen der Schrift zu erleichtern vermag; für amerikanische Verhältnisse wird für die Durcharbeit - unter Anleitung durch den Hochschullehrer - ein akademisches Jahr veranschlagt. Der letzten Lektion folgt als "supplementary reading" eine Transkription der Pennsylvania-Tafel aus der altbabylonischen Fassung des Gilgamesch-Epos mit kurzen philologischen Anmerkungen. Ein "Schlüssel" zu den meisten Übungen soll separat erscheinen.

Am Ende findet der Leser ein Glossar zu den in den Lektionen und dem "supplementary reading" verwendeten Texten, das allerdings für die vielen problematischen Fälle der akkadischen Semantik die Einsichtnahme in die großen Lexika, W. von Sodens "Akkadisches Handwörterbuch" I-III (1965-1981) und "The Assyrian Dictionary of the University of Chicago" (ab 1956), weder ersetzen kann noch will, dazu eine Liste der Logogramme (sumerische Schreibungen für akkadische Wörter), eine englisch-akkadische Wortliste, eine ebenfalls auf das Vorkommen in den Lektionen beschränkte Keilschriftzeichenliste sowie fünf Appendices, (A.) zu den Datierungssystemen in den Texten, (B.) zu Gewichten und Maßen, (C.) zur historischen Phonologie mit einer Lautvergleichstabelle für die wichtigsten semitischen Sprachen, (D.) zu den grammatischen Eigenarten der literarischen Kunstsprache "Standard Babylonian" (= "jungbabylonisch" [von Soden]) sowie (E.) zu denen des Assyrischen. Ausgiebige Paradigmen und zwei Register, der Texte sowie der grammatischen Begriffe, schließen das Werk ab.

Auch der Wissenschaftler findet mancherlei Anregungen und Anlaß für weitere Diskussion. Dafür können hier nur zwei Beispiele gegeben werden. (1.) Präteritum (iprus, vgl. hebr. ’Imperfectum consecutivum’, Durativ (iparras) und Perfekt (iptaras) werden nur mit Problembewußtsein "tenses" genannt; denn: "None of these forms is limited to a single tense, and all involve certain aspectual notions such as (non-)duration of action and present relevance of action" (17). Die aspektuale Differenzierung scheint dem Rez. die ältere und elementarere zu sein, was zur Polyfunktionalität der einzelnen Verbalthemen auch im Hebräischen beiträgt. (2.) Der Stativ (vgl. hebr. ’Perfekt’), der erst in Lektion 22 (219-225) behandelt ist, weil er nicht zur "verb morphology" gerechnet wird, erscheint als prädikatives (konjugiertes) Adjektiv bzw. Verbaladjektiv, das so konkurrentiell neben die entsprechenden Nominalsätze ("verbless clauses") zu stehen kommt (vgl. Rez. u. a. in: Die Konjugation von Nomina im Althebräischen, ZAW 96, 1984, 245-263, wo auch auf grammatische Isoglossen des Akkadischen Bezug genommen wird; Huenergard, "Stative", Predicate, Pseudo-Verb, JNES 46, 1987, 215-232). Der Abstand gegenüber der auch in GAG 77 eher vernachlässigten ’perfektischen’ (aktivisch-vergangenheitlichen) Funktion des Stativs fientischer Verben (Beispiele bei M. B. Rowton, The Use of the Permansive in Classic Babylonian, JNES 21, 1962, 233-303) wächst dadurch beträchtlich. Zugleich wird der Übergang von einer zuständlich-passivischen, intemporalen zu einer aktivisch-,perfektischen’ Stativfunktion, die schon im Akkadischen wie im Altägyptischen (dazu Rez., Ergative Constructions in Early Semitic Languages, JNES 54, 1985, 261-271), vor allem aber im Westsemitischen (u. a. dem Hebräischen und Arabischen) erfolgt, sehr viel schwerer erklärlich.

Diese und ähnliche Probleme berühren aber nicht nur darin auch das Althebräische und haben mithin für die Übersetzung und Interpretation alttestamentlicher Texte ihre Relevanz. So ist zu bedauern, daß der Vf. in seinem glänzenden Werk auf parallele oder gegensätzliche Phänomene in anderen semitischen Sprachen wie überhaupt auf eine über die Einzelsprachen hinausgehende Diachronie keinen Bezug nimmt; dies gilt um so mehr, als Studenten des Akkadischen sich meist bereits eine andere semitische Sprache angeeignet haben, wie es wohl immer bei Theologen der Fall ist. Zu kontroversen Thesen wären darüber hinaus die entsprechenden Literaturangaben nützlich gewesen; so hätte der Studierende stärker auf Problembewußtsein geschult werden können.

Alles in allem kann aber das Werk jedem Interessierten, so auch dem Alttestamentler, eindringlich empfohlen werden.