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Ausgabe:

April/2000

Spalte:

395–397

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Cryer, Frederick H., and Thomas L. Thompson [Eds.]

Titel/Untertitel:

Qumran between the Old and New Testament.

Verlag:

Sheffield: Sheffield Academic Press 1998. 398 S. gr.8 = Journal for the Study of the Old Testament, Suppl. Series 290. Copenhagen International Seminar, 6. Lw. £ 55.-. ISBN 1-85075-905-7.

Rezensent:

Wolfgang Fenske

Der Band enthält erweiterte Vorträge des Copenhagener Internationalen Qumranseminars von 1995. Die Vorträge sind von großer Bandbreite, die von vieldiskutierten Qumranthemen bis zu detaillierten Einzeluntersuchungen reicht. Im Folgenden werden die einzelnen Vorträge, die im Werk alphabetisch geordnet sind, an bestimmten Sachkomplexen orientiert vorgestellt.

Umfeld von Qumran: Per Bilde, The Essenes in Philo and Josephus (32-68): Während in der Qumran-Gruppe der hellenistische Geist nur implizit gegenwärtig ist, stellen Philo und Josephus die Gruppe adressatenorientiert, gemäß der Ideale römisch-hellenistischer Welt, als Realisierung der Ideale durch eine jüdische Gruppe dar.

Qumrangruppe (Geschichte): Florentino García Martínez, The History of the Qumran Community in the Light of Recently Available Texts (194-216): Nach der Darlegung unterschiedlicher Hypothesen zum Ursprung der Qumrangemeinschaft bestätigt er durch Aufnahme bisher unberücksichtigter Texte die "Groningen Hypothese", dass die Lehrer-Gruppe eine Abspaltung der Essenerbewegung sei.

Allan Rosengren Petersen, The Archaeology of Khirbet Qumran (249-260): Die Qumran-Rollen können essenischen Ursprungs sein, müssen es jedoch nicht, da die Niederlassung am Toten Meer im Lauf der Zeit von unterschiedlichen Gruppen besiedelt worden sein kann. P. plädiert dafür, archäologische Funde getrennt von den Schriften zu untersuchen. Das bedeutet auch: Wenn in Qumran essenische Schriften abgeschrieben worden sind, muss Qumran noch nicht religiöse Zentrale der Essener gewesen sein.

Håkan Ulfgard, The Teacher of Righteousness, the History of the Qumran Community, and our Understanding of the Jesus Movement: Texts, Theories and Trajectories (310-346): Nach einer Untersuchung des Vorkommens von "Lehrer der Gerechtigkeit" und damit verbundener Terminologie ("Tora-Erteiler") kommt er zu dem Schluss, dass der "Tora-Erteiler" und der "Lehrer der Gerechtigkeit" in CD VI 6.11 unterschiedliche Personen sind. Nach dem Tod des "Lehrers", der nicht der Gründer der Gemeinschaft war, stieg sein Ansehen, und er wurde von seinen Schülern als der von Gott inspirierte Ausleger angesehen. Abgeschlossen wird der Aufsatz nach einem Forschungsüberblick über die historische Einordnung des "Lehrers" mit einem kurzen soziologischen Vergleich zwischen der Jesus-Gruppe und der Lehrer-Gruppe.

Qumrangruppe (Selbstverständnis): Ellen Juhl Christiansen, The Consciousness of Belonging to God’s Covenant and What it Entails According to the Damascus Document and the Community Rule (69-97): Während für CD der Bund Gottes mit den Vätern noch eine Rolle spielt, blickt 1QS in die Zukunft. Der Bund Gottes gilt in CD dem Volk, konkretisiert sich aber in einer bestimmten Gruppe, während für 1QS der den Bund akzeptierende Mensch im Vordergrund steht. Während CD die Erneuerung Israels erwartet, die mit dem Eintritt in die Gruppe schon beginnt, sieht sich 1QS als Gruppe an, in der Gott anwesend ist, sie erwartet das Gericht und die Errichtung des Bundes mit den Auserwählten.

Niels Peter Lemche, The Understanding of Community in the Old Testament and in the Dead Sea Scrolls (181-193): Die nicht sehr alte biblische Tradition, dass Exil reinigende Funktion habe, wurde von den Autoren der Qumranschriften aufgenommen. So spricht CD davon, dass Exil notwendig sei. Wenn niemand die Gruppe ins Exil führt, dann muss sie von sich aus ,nach Damaskus’ gehen.

Ben Zion Wacholder, Historiography of Qumran: The Sons of Zadok and their Enemies (347-377): Historische Hintergründe der Gruppe liegen im Dunkeln. Hinter einzelnen Aussagen ist jedoch ein Körnchen Realität sichtbar, so die Verbindung mit Zadok. Dennoch: Die Gruppe hat ihre eigene Geschichte gebildet. "The group received a fully developed ideology in two works, 1 Enoch and Jubilees. The ideology stood on three points: (1) a new covenant and a newly-revealed Torah; (2) a new calendar that could not be subjected to partisan manipulations; and (3) a stand on new rules of purity that differentiated it from the defilement of the masses." (376) Dieses Selbstbild hat die Gruppe auch in überlieferte Texte eingetragen.

Qumrantheologie und Anthropologie: Torleif Elgvin, The Mystery to Come: Early Essene Theology of Revelation (113-150): Zentraler Text dieser Untersuchung ist 4QInstructions (1Q26; 4Q415-418a und b, 423), ein Text, der die wesentlichste Quelle qumranischer Offenbarungstheologie ist (138). An ihm wird deutlich, dass die Gemeinschaft "sees itself as the remnant and nucleus of Israel which represents a fulfilment of the prophecies in Isaiah 59-61." (127) Das heißt, dass hier "realized eschatology" (128) zu finden ist. Zentrale theologische Konzeption der Schrift wird mit dem Ausdruck "raz nihyeh" ausgesprochen: Es geht um Gottes geheimnisvollen Plan mit der Schöpfung, der Geschichte, der Menschheit, den Erwählten. Weder wird Naherwartung deutlich erwähnt, noch die Wiederherstellung Zions und der Stämme, eine eschatologische Figur begegnet nicht - es geht um die eschatologische Gemeinschaft, um "collective messianism" (Caquot) (149). Schon in der Anfangszeit der Gemeinschaft gab es also eine eschatologische Strömung, die sich von der zadokidischen Strömung unterschied.

Robert W. Kvalvaag, The Spirit in Human Beings in Some Qumran Non-Biblical Texts (159-180): Nach einer Untersuchung des Begriffs "ruach" schließt K., dass es kein einheitliches Menschenbild in Qumranschriften gibt.

Literarische Themen: Anders Aschim, The Genre of 11QMelchizedek (17-31): Die Frage nach der Gattung von 11QMelch ist noch unbeantwortet.

Qumran und alttestamentlicher Kanon: Frederick H. Cryer, Genesis in Qumran (98-112): Nach der Bemerkung, dass das Wort "Halakha" in Qumran nicht vorkommt, und C. sich des Eindrucks nicht erwehren kann, dass von der Forschung Mischna-Terminologie in Qumranmaterial eingetragen wird, arbeitet er die Tendenz der Genesisüberlieferung von Qumran heraus; so werden zum Beispiel die Völker um Israel herum ignoriert.

Jesper Høgenhaven, The Isaiah Scroll and the Composition of the Book of Isaiah (151-158): Die Jesaja Rolle ist zu Unrecht aus dem Blickwinkel der Forschung geraten, wohl weil sie als Vulgärtext charakterisiert worden war (Orlinsky, Kutscher, Würthwein). In ihr ist die früheste Interpreta tion und Verwendung des prophetischen Textes dokumentiert.

Sarianna Metso, The Use of Old Testament Quotations in the Qumran Community Rule (217-231): Zitationsformeln begegnen in 1QS nur dreimal, keine dagegen in 4QSb,d. Auch wenn 4QS paläographisch später einzuordnen ist als 1QS, so spiegelt sich darin eine ältere Tradition wider. In 1QS wurden von der Redaktion alttestamentliche Zitate zur Legitimation der Gruppe eingefügt, vergleichbar mit den Erfüllungszitaten bei Matthäus. Warum jedoch 4QS nach 1QS weiter verwendet wurde, ist nicht zu beantworten.

Staffan Olofsson, Qumran and LXX (232-248): Es geht nicht nur darum, unterschiedliche Übersetzungen (LXX, MT und Qumran) miteinander zu vergleichen, sondern es gilt, die Übersetzungstechniken herauszuarbeiten.

Thomas L. Thompson, 4QTestimonia and Bible Composition: A Copenhagen Lego Hypothesis (261-276): Anhand der unterschiedlichen Überlieferung biblischer Texte (MT, LXX, Qumran) gewähren die Qumranschriften einen Einblick "into the actual world of text-making, tradition composition and transmission." (262) Es fällt T. schwer, zum Beispiel von gekürzten Überlieferungen zu sprechen. Er möchte lieber von Blöcken reden, die manche Texte aus aktuellen Gründen aufgenommen haben und andere nicht. Unter anderem am Beispiel von 4QTestimonia zeigt T.: "But I am uncertain that 4QTestimonia has actually used these texts from their biblical contexts, or whether such so-called biblical segments, in fact, had been used from within other independent contexts ..." (264) Die Untersuchung wird auf biblische Texte ausgeweitet.

Emanuel Tov, The Significance of the Texts from the Judean Desert for the History of the Text of the Hebrew Bible: A New Synthesis (277-309): Bibelzitate und -texte begegnen in Qumranschriften in vielfältiger Weise. Ziel des Aufsatzes ist es, noch einmal Kriterien dafür darzulegen, dass bestimmte Texte in einer für Qumran typischen Art und Weise niedergeschrieben wurden. Im Anschluss daran werden vorhandene Bibelüberlieferungen entsprechend eingeteilt (302 ff.).

Abgeschlossen wird der Band von einem nicht vollständigen Stellenregister und einem Autorenregister.

In diesem Band wird das Verhältnis der Qumranschriften zum alttestamentlichen Kanon in über einem Drittel der Aufsätze bedacht. Ist der Blickwinkel nicht zu sehr kanonorientiert? So wurden bekanntlich nicht allein einzelne mehr oder weniger große Fragmente alttestamentlicher Schriften entdeckt, sondern zum Beispiel auch Fragmente aus den Jubiläen und 1Henoch. Welche weiteren Schriften hatten für die Qumrangruppe quasi kanonische Funktion? Welche prägten die Interpretation späterer kanonischer Texte? Ansätze, die diese Fragestellung berücksichtigen, gibt es in einigen Aufsätzen. Es wäre wünschenswert, dass sich das auch in der Thematik selbst widerspiegeln würde.

Trotz dieser Anmerkung hat der Band aufgrund seiner qualitativ guten Aufsätze für künftige Diskussionen Vorzeichen gesetzt.