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Ausgabe:

April/2000

Spalte:

388–391

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Schoors, Anton

Titel/Untertitel:

Die Königreiche Israel und Juda im 8. und 7. Jahrhundert v. Chr. Die assyrische Krise.

Verlag:

Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 1998. 236 S. m. 10 Abb. gr.8 = Biblische Enzyklopädie, 5. Kart. DM 42,-. ISBN 3-17-012334-3.

Rezensent:

Stefan Timm

Nach den Grundsätzen, die jedem Verfasser eines Einzelbandes der Biblischen Enzyklopädie vorgegeben sind, dass er in seiner Darstellung das biblische Bild der jeweiligen Zeit nachzuzeichnen, die Geschichte der Zeit darzustellen, die Quellen über die jeweilige Zeit zu erörtern und deren theologischen Ertrag zu erheben habe (vgl. Vorwort [11] zu Bd. 3 der Reihe), ist auch der vorliegende Band gestaltet. Die vierfache Aufgabenstellung prägt somit dessen Aufriss, indem sub I: Das Biblische Bild der Epoche (mit zwei Unterpunkten (die noch weiter untergliedert sind [11-63]) dargeboten wird, sub II: Die Geschichte der Epoche (mit den Unterpunkten 1. ,Literarische’ Quellen, 2. Archäologischer Befund, 3. Wirtschafts- und Sozialgeschichte, 4. Politische Geschichte und 5. Religionsgeschichte, die alle noch weiter untergliedert sind [64-107]), sub III: Die Literatur der Epoche (mit den Unterpunkten 1. Gattungen, 2. Werke (beides noch weiter untergliedert [108-181]) und sub IV: Die theologische Bedeutung der Epoche (mit den Unterpunkten 1. Die Propheten, 2. Die Gesetze, 3. Die narrative Literatur und 4. Die Sprüche ([182-221]). Dabei weist - für Kenner! - der Untertitel "Die assyrische Krise" darauf hin, daß der Vf. in der vorliegenden Darstellung das erste Drittel des 8. Jh.s v. Chr. nicht verhandelt, wie auch die turbulenten Jahre nach dem Tod des Königs Josia zu Ende des 7. Jh.s v. Chr. unberücksichtigt bleiben.1

Gemäß dem ersten Grundsatz der biblischen Enzyklopädie gibt der Vf. zuerst2 eine Paraphrase der Geschichte Israels, wie sie im 2. Buch der Könige und in der Chronik dargeboten wird (11-17), samt einem Anhang (17-18), was bei den Propheten Hosea, Jesaja und Micha3 für diese Zeit zu erheben ist. Dabei schwingt in einer solchen Paraphrase schon immer ein Urteil über die Quellen mit - ein Problem, das Studierende schwerlich hier schon erkennen, dem Vf. des Buches aber bewusst ist. Jedenfalls erläutert er (19 Anm.*), dass er mit "DtrG das ganze deuteronomistische Geschichtswerk (meine), während DtrH eine erste redaktionelle Schicht desselben andeutet, die später um DtrP und DtrN erweitert worden" sei.4 Dass es auch post- oder nachdeuteronomistische Passagen in den Königsbüchern gibt, wird nicht erwähnt, obwohl der Vf. damit rechnet (vgl. den Text S. 27 in Sperrdruck).

Misslich empfindet es der Rez., dass auf die Problematik der Septuaginta nicht eingegangen wird, obwohl die sog. Old Greek Recension gerade im 2. Buch der Könige nicht nur oft eine andere Textabfolge als der masoretische Text, sondern auch häufig beachtenswerte Überlieferungen bietet.5

In einem Abschnitt I.2, überschrieben "Befragung", macht der Vf. (20 f.) dann auf interne Unstimmigkeiten innerhalb des 2. Königsbuches aufmerksam (etwa dass nach 2Kön 15,30.33 die Verschwörung des Königs Hosea von Israel im 20. Jahr des Königs Jotam von Juda stattgefunden habe, obwohl Jotam nur 16 Regierungsjahre zugesprochen werden) und entwirft ein erstes - vorläufiges - Modell, wie solche internen Widersprüche von den Exegeten in der Vergangenheit aufgelöst wurden (18-32). Hier zeigt sich, dass eine "historische" Frage etwa nach der Dauer der Regierungszeit des Königs Jotam mit dem deuteronomistischen Bild der Epoche einerseits und andererseits mit dem (literarkritischen) Urteil über die deuteronomistische Quelle so verquickt ist, dass die Vorgabe: erst das biblische Bild der Epoche zu entwerfen, dann die Geschichte der Epoche und schließlich die Literatur der Epoche, zu schematisch ist, um überzeugende Ergebnisse zu zeitigen. Aus gutem Grund kommt der Vf. später nochmals auf die Entstehung des deuteronomistischen Geschichtswerkes zurück (sub III.2.4 "Literatur der Epoche" [167-171]). Damit ergeben sich nicht nur an diesem Punkt, sondern auch an vielen anderen Wiederholungen, die bei anderen Vorgaben unnnötig gewesen wären.6 Insgesamt sind in den Teilen zu den alttestamentlichen Gattungen und Quellen nützliche Informationen geboten (vgl. etwa zu den prophetischen Gattungen [108-116]), doch wollen Studierende diesen Band nicht deswegen zur Hand nehmen, um sich über die sog. Einleitungsfragen etwa zu Jesaja (17-18, 49-50, genauer 144-150)7 oder Nahum (153-156) zu informieren, sondern deswegen, um sich mit ihm einen neueren Überblick über die Geschichte Israels und Judas im 8./7. Jh. v. Chr. zu verschaffen. Dafür gibt das Buch auch Hilfestellung, indem z. B. anhand der großen Arbeit von Frau H. Weippert einige archäologische Funde erörtert werden (70-83).8

Indes wird die Geschichte Israels und Judas im 8./7. Jh. v. Chr. seit der Auffindung der assyrischen Keilschrifttexte im 19. Jh. wesentlich von den Aussagen jener Texte erhellt - oder korrigiert. In den letzten Jahren sind etliche assyrische Texte neu hinzugekommen, die auf viele Fragen ein ganz neues Licht werfen.9 Aus ihnen ließe sich entschieden mehr beitragen, als es aus den vier Seiten beim Vf. deutlich wird (66-70). - Immerhin: Unter den Überschriften II.3.1 "Wirtschaft", 2. "Die Gesellschaft" und 3. "Institutionen" hat der Vf. einiges zur Sozialgeschichte zusammengetragen, wie es sich so in anderen Darstellungen der Geschichte Israels und Judas nicht findet. Wenn das die Studierenden anregt, den Fragen noch gründlicher nachzugehen, hat das Buch seinen Zweck erfüllt, und sie werden es seinem Vf. danken.

Fussnoten:

1) Das hätte für Studierende deutlicher gesagt werden können als nur mittels einer kryptischen Andeutung (65 Die Ostraka von Samaria [aus der ersten Hälfte des 8. Jh.s v. Chr.] "gehören also zur vorangehenden Epoche").

2) Da der Band "im Geiste" auf Holländisch konzipiert war, ist den Überarbeitern der deutschen Ausgabe (Dr. S. Wächli und Lic. A. Greiler [vgl. 9]) einiges an Korrekturen zugefallen. Etliche Fehler sind dennoch stehengeblieben, so die Uneinheitlichkeit in der Terminologie syrisch-ephraemitischer versus syro-ephraemitischer Krieg (vgl. 13, 17, 94 u. ö.).

Die Einzelheiten meiner Korrekturen vgl. im Heft.

3)Warum die Propheten Amos und Nahum hier nicht erwähnt sind, die später in der Darstellung (vgl. 150-153, 153-156) einen breiten Raum einnehmen, ist nicht einsichtig.

4) Ob die Terminologie DtrH hilfreich ist, die Verwirrung über das, was deuteronomistisch sein soll, zu beheben oder sie nicht eher noch vergrößert, sei gefragt. Bisweilen spricht der Vf. dennoch nur von einem Autor des deuteronomistischen Geschichtswerkes (15).

5) Wenn der Vf. (20) zu 2Kön 15,16 darauf verweist, dass die LXXL hier Tifsach lese, so verschleiert das Kürzel L (= lukianisch) die neuere Debatte über die Septuagintafassungen der Königsbücher, suggeriert aber, dass diese Lesart besser sei als der masoretischen Text (= Tapsake), wobei die sonstigen Abweichungen des sog. lukianischen (meistens = Old Greek) Textes vom masoretischen nicht notiert sind; vgl. zur Problematik der Septuagintafassungen in den Königsbüchern u. a. J. D. Shenkel, Chronology and Recensional Development in the Greek Text of Kings, HSM 1, Cambridge, MA 1968 und etliche Artikel von J. C. Trebolle Barrera (cf. E. Tov, Textual Criticism of the Hebrew Bible [Minneapolis/Assen/Maastricht 1992], 338).

6) Vgl. Abschnitt I.1.3 "Darstellung: Propheten" (17 f.) mit I.2.3.1-4 (46-62), II.5.3 (101-107), III.1.1 (108-116), III.2.1.-5 (131-156), IV.1.1 (182-183), IV.1.4 (192-197) und mit IV.1.6 (199-203). - Vergleichbare Redundanzen ergeben sich zum Bundesbuch unter dem Abschnitt III.1.1 "Die Literatur der Epoche. Gattungen. Das Bundesbuch" (116-120), mit III.2.2 (156-160), zum Deuteronomium unter dem Abschnitt III.1.1 "Die Literatur der Epoche. Gattungen. Das Urdeuteronomium" (116-120) mit III.2.2 (160-167) und zu den Proverbien unter dem Abschnitt III.1.1 "Die Literatur der Epoche. Gattungen. Die Weisheitsliteratur: Sprüche Salomos" (123-130), mit III.2.6 (177-180) und IV.4.1-2 (214-218).

7) Im Einzelnen findet man z. B. bei E. Zenger u. a., Einleitung in das Alte Testament, 1. Aufl. Stuttgart/Köln/Berlin 1995, sehr anders akzentuierte Darstellungen, die auch neuere Literatur berücksichtigten. Hier beim Vf. fehlt - neben manchem anderen (vgl. S. Deck, Die Gerichtsbotschaft Jesajas. Charakter und Begründung, fzb 67, Würzburg 1991) - J. Werlitz, Studien zur literarkritischen Methode. Gericht und Heil in Jes 7,1-17 und 29,1-8, BZAW 204, Berlin/New York 1992. Nach den Darlegungen J. Werlitz’ ist es unmöglich, die These einer Denkschrift, in der der Prophet selbst narrativ über seine Verkündigung z. Zt. des syro-ephraemitischen Krieges berichte (Jes 7), in irgendeiner Form aufrecht zu halten. Scheidet aber Jes 7 als authentischer Text Jesajas aus, so sieht die inneralttestamentliche Quellenlage zum sog. syro-ephraemitischen Krieg erheblich anders aus, als der Vf. sie (13 f., 53 f., 147 f.) darbietet.

8) Wären die sog. Einleitungsfragen komprimiert und ohne Redundanzen abgehandelt worden, hätte es mehr Platz für Archaeologica gegeben. Nach der Besprechung des Buches von A. Chambon, Tell el-Fa-r’ah I: L’ Age du Fer, Paris 1984, durch Frau H. Weippert, ZDPV 101 (1985), 178-183, kann man Tell el-Fa-r’a Nord nicht mehr unbefangen mit Tirza gleichsetzen (anders Vf. 73), Schlüsse auf gesellschaftliche Unterschiede zwischen Arm und Reich sind aus dem dortigen Grabungsbefund erst recht nicht mehr zu ziehen, vgl. G. Fleischer, Von Menschenverkäufern, Baschankühen und Rechtsverkehrern, BBB 74 (Frankfurt a. M. 1989), 391-401. - Dass nach dem Untergang des Nordreiches große Scharen von Israeliten gen Süden, nach Judah und Jerusalem, geflohen seien (so Vf. 71, 87 u. ö.), ist literarisch gar nicht bezeugt und archäologisch höchst problematisch, vgl. zum archäologischen Befund in Jerusalem die vorsichtig-skeptischen Darlegungen bei K. Bieberstein/H. Bloedhorn, Jerusalem. Grundzüge der Baugeschichte vom Chalkolithikum bis zur Frühzeit der osmanischen Herrschaft, BTAVO 100/1-3 (Wiesbaden 1994), Bd. 1, 72ff. - Eine Sachauseinandersetzung mit den Materialien, die O. Keel/C. Uehlinger in GGG vorgelegt haben, bietet der Vf. nicht, obwohl deren Buch (187) genannt ist. - Dass "die Wahrscheinlichkeit, daß JHWH und Aschera ein Götterpaar formten, immer größer (werde)" (Vf. 188), sollte nach den abgewogenen Darlegungen bei C. Frevel, Aschera und der Ausschließlichkeitsanspruch YHWHs, BBB 94, Frankfurt a. M. 1995, nicht mehr gesagt werden (Das Buch ist genannt 187!). - Zum Siloah-Tunnel, dessen Erbauung durch Hiskia J. Rogerson/P. R. Davies, Was the Siloam Tunnel Built by Hezekiah? BA 59 (1996), 138-149, lauthals bestritten haben, vgl. D. Ussishkin, The Water Systems of Jerusalem during Hezekia’s Reign, in (Hrsg. M. Weippert/S. Timm): Meilenstein - FS H. Donner, ÄAT 30 (Wiesbaden 1995), 289-307. - Leider fehlt auch jeglicher Verweis auf die israelitischen und judäischen Siegel mit ihren interessanten Personennamen und Darstellungen: N. Avigad/B. Sass, Corpus of West Semitic Stamp Seals, Jerusalem 1997.

9) Zu nennen ist zuerst die Edition der Texte Tiglat-Pilesers III. durch H. Tadmor, The Inscriptions of Tiglath-Pileser III. King of Assyria, Jerusalem 1994 (Das Buch ist zwar genannt [Vf. 65]), die dortigen Erkenntnisse sind aber sachlich nicht eingearbeitet [vgl. 67]), dann die der Inschriften Sargons II. durch A. Fuchs, Die Inschriften Sargons II. aus Khorsabad, Göttingen 1994, und schließlich die der Inschriften Sanheribs durch E. Frahm, Einleitung in die Sanherib-Inschriften, AfO.B 26, Graz 1997. Dann die sog. Nimrud Wine-Lists und die Texte aus Fort Shalmaneser, die wichtige Aussagen zum israelitischen Heer beitragen: J. V. Kinnier Wilson, The Nimrud Wine Lists, CTN I, London 1972; S. Dalley/J. N. Postgate, The Tablets from Fort Shalmaneser, CTN III [London] 1984. Wichtig sind auch die vielen Texte, die in der Reihe SAA = State Archives of Assyria, Helsinki, neuediert sind; vgl. dazu auch SAA Bulletin (seit 1987). Einschlägig sind B. Becking, The Fall of Samaria. An Historical and Archaeological Study, SHANE 2, Leiden/New York/Köln 1992 (mit vielen assyrischen Texten zur Geschichte der Provinz Samaria); P.-E. Dion, Les Araméens a l’âge du fer. Histoire politique et structures sociales, ÉB NS 34, Paris 1997; W. Meyer, Politik und Kriegskunst der Assyrer, Münster 1997, und S. Timm, Moab zwischen den Mächten. Studien zu historischen Denkmälern und Texten, ÄAT 17 (Wiesbaden 1989), 354 ff. (gegen das angebliche Jahr 701 v. Chr. für Sanheribs 3. Feldzug).