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Ausgabe:

April/2000

Spalte:

375–378

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

(1): Bsteh, Andreas [Hrsg.] (2): Bsteh, Andreas [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

(1): Der Hinduismus als Anfrage an christliche Theologie und Philosophie. Dritte Religionstheologische Akademie St. Gabriel. Referate - Anfragen - Diskussionen.
(2): Christlicher Glaube in der Begegnung mit dem Hinduismus. Vierte Religionstheologische Akademie St. Gabriel. Referate - Anfragen - Diskussionen.

Verlag:

(1): Mödling: St. Gabriel 1998. 546 S. 8 = Studien zur Religionstheologie, 3. Kart. DM 54,50. ISBN 3-85264-555-7.
(2): Mödling: St. Gabriel 1998. 672 S. 8 = Studien zur Religionstheologie, 4. Kart. DM 54,50. ISBN 3-85264-565-4.

Rezensent:

Kurt Dockhorn

1. Der Herausgeber dieser beiden Bände ist seit Ende der 70er Jahre mit "Beiträgen zur Religionstheologie", die sich mit dem Islam, dem Buddhismus und dem Hinduismus auseinandersetzten, als Dialogtheologe ausgewiesen. Die ebenfalls von ihm herausgegebenen beiden Studien 3 und 4 zur Religionstheologie schließen an zwei frühere Bände an, deren Themen entsprechend lauteten: "Der Islam als Anfrage an christliche Theologie und Philosophie" bzw. "Christlicher Glaube in der Begegnung mit dem Islam". Bsteh versteht seine Theologie "als Denken in der Begegnung" und im vorliegenden Fall will der Hg. den Hinduismus "unverfälscht und unverkürzt" an sich herankommen lassen. Der "Hinduismus selbst soll zur Anfrage" werden, eine Intention, die für den zweiten Band freilich undeutlich ist.

2. Die beiden Bände bilden den Ertrag der dritten und vierten Religionstheologischen Akademie, die das Religionstheologische Institut der Theologischen Hochschule St. Gabriel in Mödling durchgeführt hat. Die Akademien stehen in einem anspruchsvollen Zusammenhang, der sich, über mehrere Jahre angelegt, den drei großen Weltreligionen Islam, Hinduismus und Buddhismus zuwendet. Die Qualitätssicherung des Unternehmens ist dadurch gewährleistet, dass B. es vermocht hat, auf indologischer Seite hochrangige Fachvertreter aus Österreich und dem westeuropäischen Ausland für beide Akademien zusammenzuführen mit Theologen und Theologinnen - zum Gutteil Angehörige der Hochschule St. Gabriel - aus dem deutschsprachigen Raum.

Beide Bände sind gekennzeichnet durch knappe einführende Impulsreferate, denen jeweils in breiter Darstellung das Protokoll der anschließenden Diskussionen in zwei Arbeitsgruppen und dem Plenum folgt. Der Umgang mit den beiden 546 bzw. 672 Seiten starken Bänden wird erleichtert durch Begriffs-, Namen- und Quellenregister sowie ein beide Bände ab-schließendes Sachregister (Band 4, 635-672).

3. Die "Studien 3 zur Religionstheologie" beinhalten neun indologische Vorträge, die klassische Kernthemen der Indologie abhandeln: Das vedische Opfer (Jan C. Heesterman), der Kreislauf der Geburten (George Chemparathy), die verschiedenen Erlösungswege (André Padoux), Jnana (Gerhard Oberhammer), Bhakti (Adelheid Mette) und Tantra (Padoux). Dazu gesellen sich eine traditionelle Abhandlung über die Grundlagen des Hinduismus (Mette) und ein etwas aus dem Rahmen dieser Reihe fallendes Referat zur Frage, ob der Hinduismus als Offenbarungsreligion verstanden werden könne (Oberhammer).

Zur Charakterisierung der Diskussionen, die im Anschluss an die Beiträge wiedergegeben werden, seien einige Beispiele genannt: Zum vedischen Opfer wird etwa gefragt, in welchem Verhältnis dazu das Opfer im Alten Testament und das Christliche Abendmahlsverständnis stehen (51 ff.). In der Offenbarungsdiskussion wird die Grenze einer möglichen Parallele vom "Hören des Wortes" in beiden Religionen scharf markiert durch die behauptete, - im Hinduismus gänzlich fehlende - Historizität der biblischen Offenbarung (129 ff. mehrfach).Während George Chemparathys Referat über Karmasamsara mit dem Hinweis auf die zunehmende Rezeption dieser Lehre im Westen eines der wenigen Aktualisierungsangebote macht, bleibt die Diskussion dahinter zurück, indem sie etwa nach dem Verhältnis von Karma und Willensfreiheit fragt (212), Rückfragen an antike Verbindungen zu Pythagoras oder Plotin stellt (247) und zu spät und zu wenig die gesellschaftliche Funktion der Karmalehre reflektiert (269 ff.), die man dann mit bestimmten christlichen Ordnungsvorstellungen hätte ins Gespräch bringen können. Im Anschluss an Jan Heestermans zweiten Beitrag über die Herausbildung des Atman-Begriffes im Zuge der Verinnerlichung des Opfers (289 ff.) finden wir ein Dialoginteresse an der Frage nach der Vergleichbarkeit von Atman und Seelengrund bzw. Seelenfünklein in der christlichen Mystik (305 f.). Dialog als Austausch von (korrelierbaren?) Begriffen aus zwei verschiedenen Systemen kann gut beobachtet werden an der Diskussion von André Padoux’s Beitrag über die Erlösungswege im Hinduismus (339 ff.) mit der Gegenüberstellung von Advaita und Thomismus. Ein solcher ideengeschichtlich fixierter Dialog hatte sich schon in der Aussprache über die Grundlagen des Hinduismus (Mette, 57 ff.) ergeben. Zu Gerhard Oberhammers Darstellung des Befreiungsweges durch Erkenntnis fragen die theologischen Gesprächspartner, ob nicht die indische Weltsicht zu pessimistisch für Christen sei (465), ob Vorstellungen von Gott als Liebe (385) oder als Person (414) in das indische Gottesbild eingetragen werden könnten.

Es ist der Indologe, der an die Theologie die Frage richtet, ob man nicht auch das Christentum als Weg der Erkenntnis sehen könnte (419). An die Abhandlung von Adelheid Mette über Bhakti (429 ff.) knüpft sich erwartungsgemäß das lebhafteste Interesse an der Vergleichbarkeit von Hinduismus und Christentum. Deutlich wird hier auch das inkulturationstheologische Interesse an einer etwaigen Nähe zu christlichen Vorstellungen (454 ff.), wobei die indologische Kompetenz vor der Erwartung warnen muss, in Bhakti als Erlösungsweg auch so etwas wie Nächstenliebe zu finden (466 f.). In dem abschließenden Beitrag über den Tantrismus (477 ff.) führt André Padoux aus, wie für das Gehen des Heilsweges die Körperlichkeit des Menschen konstitutiv ist. Bezeichnenderweise sind die theologischen Gesprächsanteile zu diesem provozierenden Befund abwehrend. Die theologische Reaktion ist aus auf Spiritualisierung des Heils, auf Zurückweisung des Zusammenhangs von Sexualität und Religion (besonders krass 501).

Insgesamt besticht der Band durch die Souveränität, mit der die in ihm gesammelten indologischen Referate die wichtigsten Themen des Hinduismus abhandeln. Das Wesentliche am Hinduismus ist hier noch einmal mit Gewinn nachzulesen. Inwieweit die Diskussionen der teilnehmenden Theologen mit den Indologen den Titel des Buches ,Der Hinduismus als Anfrage’ gerecht werden, leuchtet weniger ein. Soweit ich sehe, kommt es nicht zur Hinterfragung gegebener theologischer Positionen, sondern es bleibt bei Gegenüberstellungen und christlichen, nicht hinduistischen!, Anfragen an Verständnis, an Vereinbarkeiten und bleibende Unterschiede zwischen den beiden Religionen. Zu fragen ist auch, ob heute den Anforderungen an den interreligiösen Dialog Genüge getan wird, wenn sozialgeschichtliche, soziologische und strukturanalytische Problemstellungen konsequent ausgeblendet bleiben. Das Ganze wirkt doch reichlich konservativ.

4. Dieser Eindruck verstärkt sich noch bedeutend in dem folgenden Band, der Positionen christlicher Theologie als Anfragen an den Hinduismus verstanden wissen möchte. Das Gliederungsprinzip des Bandes ist, insofern dem vorangegangenen vergleichbar, gewissermaßen in Einzelstücken ein allerdings unvollständiges Kompendium der christlichen Lehre zur Diskussion zu stellen.

Die Referate umfassen die Themen: Gottes Transzendenz und Immanenz (Heinrich Ott), die Rechtfertigung des biblischen Mythos vor seinen Kritikern (Hans-Peter Müller), Soteriologie (Claus-Peter März in einer Auslegung des Hebräerbriefes), Christologie (Karl-Heinz Neufeld ebenfalls in Anlehnung an den Hebräerbrief), Schöpfung (Elmar Klinger), Anthropologie (Jörg Splett), Eucharistie (Philipp Harnoncourt), Gemeinschaft (Ilona Riedel-Spangenberger), Tod und Auferstehung (Franz-Josef Nocke).

Die bloße Nennung der Themen dürfte verdeutlichen, dass darin für den Hinduismus kaum Angebote sind, mit denen dieser zum Dialog gereizt werden könnte. So verwundert es auch nicht, dass die "Anfragen und Gesprächsbeiträge" weithin eine binnentheologische Diskussion bleiben. Das eigentlich Erstaunliche an diesem Band ist, dass der Hg. es geschafft hat, die indologischen Referenten der vorangegangenen Akademie in diese Tagung einzubinden. Ihre Rolle im Gespräch ist dann auch sehr deutlich, für Ernüchterung zu sorgen, Korrekturen anzubringen bei voreiligen Analogien zwischen bestimmten Begriffen und immer wieder die ungenaue und falsche Erfassung indologischer Begriffe zurechtzurücken (so Chemparathy, 43, gegen die Verwendung der Begriffe Transzendenz und Immanenz im Hinduismus oder Oberhammer, 52, in der Vorsicht bei der Übernahme der Kategorie des Personalen und 201 bei der Zurückweisung, in den weltentsagenden Samnyasin ein "Selbstopfer" als Erlösung hineinzudeuten).

Diese positive Funktion der indologischen Seite geht bis zum Ausdruck der Skepsis, ob "Dialog", "Begegnung" im indischen Bereich überhaupt von Interesse seien (Heesterman, 43, und besonders Oberhammer 410: Dialog als "neue Methode des Missionierens"). In der Tat haben beide Akademien es versäumt, eben dieses zu thematisieren: Das offensichtliche Ungleichgewicht des Interesses am Dialog, das auf christlicher und indischer Seite zu konstatieren ist. Man kann sogar fragen, ob ein geheimes Interesse ein hinter dem "Dialog" liegendes missionstheologisches Motiv ist, wenn z. B. in der Diskussion über die Hebräer-Exegese von März gefragt wird: "Wie kann es vom indischen Denken her einen Verstehenszugang geben für die zentrale christliche Aussage, daß der einmalige und entscheidende Zugang zur Transzendenz durch eine einzige konkrete geschichtliche Person eröffnet wird?" (182). Man merkt die Absicht und ist verstimmt. Zwar sucht Hans-Peter Müller (63 ff.) mit dem gegen Aufklärung und Entmythologisierung wiedergewonnenen Mythosbegriff eine Basis für den interreligiösen Dialog zu legen, aber führt es weiter, auf dieser Grundlage dann das Verhältnis von Mythos und Logos im Christlichen und im Indischen (92 ff.) zu thematisieren oder indisch den Mythos als Wiederholung, christlich hingegen als heilsgeschichtlich Neues eröffnend einander entgegenzustellen (98)? Sollte der Dialog den Akzent nicht eher auf das, was zum Leben hilft, legen, anstatt in Begriffsvergleichen stecken zu bleiben? Mitunter muss nach langen internen Diskussionen unter den anwesenden Theologen ein Teilnehmer daran erinnern, dass manche theologische Steckenpferde für den Dialog mit linguistischen Traditionen irrelevant sind (236). Der Indologe (Oberhammer, 241) merkt leicht ärgerlich an, dass indologische Sachverhalte komplizierter sind, als dass man sie Theologen verständlich machen könnte, und eine selbstgewisse Theologie (Neufeld, 247) kann sich zurückziehen auf den Satz: "Natürlich ist Jesus, weil er Gott ist, der ideale Mensch". So einfach ist das, aber ist das auch ein Beitrag zum Dialog? Zwischen ermüdenden ontologischen Debatten finden sich einige "dialogische" Einsprengsel im bekannten Rahmen der begrifflichen Vergleiche, wenn z. B. gefragt wird nach der Beziehung von Avidya und Erbsünde (257) oder gefragt wird, ob Karma Raum für Hoffnung lässt, wie das der christliche Sündenbegriff durchaus erlaubt (268). Nimmt ausnahmsweise ein Referat ausdrücklich Bezug auf einen vorangegangenen indologischen Beitrag (Klinger, 283 ff.), so wird er gleich mehrfach korrigiert (299 Oberhammer zur Fragwürdigkeit, archaische indische Formen modernen christlichen Reflexionen gegenüberzustellen; 326 f. Chemparaty in der Zurückweisung, die wie auch immer christlich interpretierte Schöp- fung zu korrelieren mit indischen Vorstellungen von einer ewigen kosmischen Substanz, aus der das Universum ins Dasein tritt; 332 ff., Mette gegen den Versuch, Christus als "Guru der ganzen Schöpfung" zu interpretieren).

Wie B. als Gesprächsleiter zwischen diesen Fronten zu vermitteln sucht, wird deutlich etwa an seiner Intervention in der Aussprache über Spletts Referat "Der Mensch als Antwort", wenn er eine Aktualität dieser Anthropologie allenfalls dann konzediert, "wenn man nicht erwartet, dass der Hindu eben dem antwortet, dem der Christ zu antworten versucht, sondern es offen lässt, wer oder was es ist, dem der Mensch in den hinduistischen Traditionen antwortet, indem er sein Leben lebt" (381). Auch ein solcher Vermittlungsversuch überzeugt nicht recht, weil eurozentrisch gedacht. Ebenso scheitern muss auch Philipp Harnoncourts Bemühen, die Eucharistie als Opfer der Kirche zu korrelieren mit hinduistischen Vorstellungen und Handlungen des hinduistischen Opferpriestertums: der geistige Kontext ist ein völlig anderer (Padoux, 466), und: Das Opfer hat im Hinduismus nie etwas mit Gedächtnis zu tun (Padoux, 459). Ebenso fehlt das Gemeinschaftsmahlverständnis (Chemparathy, 477). Eher schon ließe sich nachdenken über eine Entsprechung zwischen biblischer Kultkritik und Erübrigung von Kult in manchen Passagen der Upanishaden (473). Ilona Riedel-Spangenbergs Ableitung einer universalen Sozial- und Rechtsgemeinschaft aus dem christlichen Communio-Gedanken (497 ff.) wird von indologischer Seite heftig widersprochen als "Vereinnahmung unter eine christliche Denkart" (Oberhammer, 516). Der Einspruch wirft zu Recht die weitere Diskussion auf die Frage zurück, wie und ob Ethik jeweils aus den verschiedenen Religionssystemen heraus begründet werden kann und man von da aus dann nach Übereinstimmungen suchen sollte (522 u. 552). Die Enttäuschung, die die indologische Seite der theologischen bereiten muss, zieht sich bis in den letzten Beitrag von Franz-Josef Nocke über Tod und Auferstehung (557 ff.): Nicht einmal die kosmologische Interpretation von Auferstehung will die Indologie als christlichen Zugang zu Indien gelten lassen (Oberhammer, 579 f.). Man wundert sich kaum noch, dass die Diskussion endet bei einer letzten "Dialog"-Frage, ob Reinkarnation und Fegefeuer als Opfer der Läuterung der Seele korrelierbar seien (607).

5. Worin kann der Sinn dieses Bandes bestehen? B. wollte Aussagen "aus der Mitte des Glaubens" als "Beitrag zum interreligiösen Gespräch brauchbar" sein lassen (557). Wenn dem so ist, muss man den Versuch als gescheitert ansehen. Hintergründiger scheint mir die Einschätzung eines Akademieteilnehmers (Adel Th. Koury, 412), es sei "zunächst um ein besseres gegenseitiges Kennenlernen und Verstehen" zu tun. Und hier ist in der Tat zu sagen: Immer wieder springen die Indologen in die Breschen des theologischen Missverstehens, um geduldig zum besseren Verstehen anzuleiten. Das ganze Unternehmen lebt offenbar von der eingespielten Zusammenarbeit zwischen B. und dem Wiener Indologen Gerhard Oberhammer. So gesehen war der Nachhilfeunterricht hilfreich, den die eingeladenen Indologen ihren theologischen Kollegen geben mussten.

Heilsam an diesen beiden Akademietagungen in St. Gabriel war die implizite Absage an Mission und die explizit vielfach zum Ausdruck gebrachte Skepsis gegen eine Theologie der Inkulturation. Aber braucht man dazu 609 Seiten?