Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/2000

Spalte:

345 f

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Thiesbonenkamp, Jürgen

Titel/Untertitel:

Der Tod ist wie der Mond - niemand hat seinen Rücken gesehen. Bestattung und Totengedenken in Kamerun und Deutschland - kirchliche Handlungsfelder im interkulturellen Dialog.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 1998. XVIII, 515 S. m. 2 Ktn gr.8 = Neukirchener Theologische Dissertationen und Habilitationen, 23. Kart. DM78,-. ISBN 3-7887-1711-4.

Rezensent:

Klaus Dirschauer

Diese material- und literaturreiche Dissertation ist in ihrer dreiteiligen Anlage aus der eigenen pastoralen Erfahrung der Bestattungsvollzüge völlig unterschiedlicher und dennoch vergleichbarer, kirchlicher Praxisfelder in Douala (Kamerun) und in Duisburg-Rheinhausen geschrieben worden.

Von fünf Fallstudien protokollierter Bestattungen in Kamerun ausgehend, gewinnt Jürgen Thiesbonenkamp zunächst eine Reihe wiederkehrende Momente für seine ethnologische und missionstheologische Sichtweise des Totenrituals (Teil I). Unter diesem, der katholischen Liturgie entliehenen Begriff, fasst er alle Handlungen und Worte vom Todeseintritt bis zum ab-schließenden Totengedenken zusammen.

Daraufhin überprüft er die eigenen Beobachtungen in Douala am reichhaltigen Quellenmaterial katholischer und evangelischer Missionsberichte aus den Jahren 1890-1920. Weitere Untersuchungen der Vorstellungen, Riten und Bräuche des Totenrituals, des Großen Totenfestes und der Bestattungsorte bei den Stämmen der Bamileke und Dibom vertiefen, mit interessanten Einzelaspekten versehen, die bereits gewonnenen Erkenntnisse. Mit einer Auswertung (Anfang der 90er Jahre) der Fragebögen und der Examensarbeiten von kamerunischen Theologiestudenten zum Totenritual, einer Sammlung von Ursprungsmythen des Todes, durch Interviews und weitere Bestattungsfallstudien (Tod eines alten Mannes, Tod eines Häuptlings) kann der Theologe schließlich das missions- und religionswissenschaftliches Erscheinungsbild seiner Untersuchung über die Bestattung und das Totengedenken in Kamerun abrunden.

Auf diesem breiten empirischen Hintergrund nahezu eines ganzen Jahrhunderts, der seitenmäßig weit mehr als die Hälfte der Dissertation ausmacht, tritt der Vf. dann (Teil II) mit seiner kenntnis- und erkenntnisreichen Fragestellung in die neuere europäische missionswissenschaftliche und ethnologische Diskussion mit Theo Sundermeier (Heidelberg) und Heinrich Balz (Berlin), mit dem französischen Anthropologen Louis-Vincent Thomas und dem katholischen Theologen Rene Luneau ein, um schließlich die deutschen Pastoraltheologen ansatzweise zum Totenritual und Totengedenken zu befragen.

Dabei bezieht sich sein Referat ausführlicher auf den parallelen Zeitraum seiner missionswissenschaftlichen Untersuchungen (E. Sulze, E. Meuß, P. Drews, M. Schian) als auf die kasualtheologischen Konzeptionen, die seit Götz Harbsmeiers programmatischer Schrift "Was wir an den Gräbern sagen" (1947) bei uns erschienen sind. Die gegenwärtige theologische Diskussion zur kirchlichen und säkularen Bestattung hätte wohl einen größeren Raum mit noch ganz anderen Beteiligten (H. Maser, J. Choron, E. Schmalenberg, H. Lübbe, H. Ebeling, G. Ebeling) verdient; gerade auch mit denen, die lediglich im Literaturverzeichnis aufgeführt worden sind. Es folgt zwar später, an anderer Stelle, eine grundsätzliche Bestandsaufnahme und theologische Reflexion kirchlicher Bestattungspraxis heute, ein- schließlich ihres Umfeldes (Brauchtum, Bestattungsgewerbe, Todesanzeigen). Doch bereits im Referatsteil erscheint mir die kritische Auseinandersetzung der handlungswissenschaftlichen Ansätze der Bestattung und ihrer alltäglichen Vollzüge - bezogen auf den Aufbau dieser Dissertation - angemessener gewesen zu sein.

Als Fazit seiner Studien hält der Vf. fest, dass der Kasus der Bestattung komplexer sei als das jeweilige dominante Moment seines einzelnen Vollzuges. Diese Komplexität bedeute für die Praktische Theologie "... den Kasus nicht nur als homiletisches Problem zu sehen, sondern ebenso in seinen seelsorgerlichen, diakonischen, ekklesiologischen, poimenischen und kulturellen Fragestellungen wahrzunehmen" (273).

Um an dem eigenen Arbeitsergebnis aufzuzeigen, daß an dem Kasus der Bestattung Konzepte des Gemeindeaufbaus entwickelt werden können, stellt der Theologe konsequent die Frage nach dem Zusammenhang von Bestattung und Totengedenken innerhalb des Kirchenjahres. Zusätzlich dokumentiert er, wie weit sich unter dieser Fragestellung ihre kirchliche Praxis in den Lebensordnungen der EKD-Gliedkirchen überhaupt niedergeschlagen hat. Daraus folgen anmerkungsweise eine Reihe von Anregungen und konkreten Reformvorschlägen mit weitreichendem Charakter für unsere heutige kirchliche Praxis des Totengedenkens. Schließlich weist der Vf. aus seinem Vergleich der Bestattungskultur und des Totengedenkens in Kamerun und in Deutschland auf die Möglichkeiten und Grenzen des interkulturellen Dialogs (Teil III) hin. Aus den Schlussfolgerungen des von ihm eröffneten Dialogs zeichnen sich deutlich Paradigmen kirchlicher Handlungsfelder zur Bestattung und zum Totengedenken heute in Deutschland ab.

Zweifellos macht den Reiz dieser Arbeit aus, daß sich sowohl die Analyse des Totenrituals als auch deren theologische Reflexion gleichermaßen im Schnittfeld der Missionswissenschaft mit der Praktischen Theologie bewegen. Gegenüber den bisherigen grenzüberschreitenden Arbeiten der Praktischen Theologie zu den Humanwissenschaften - beispielsweise in der Pastoralpsychologie, Pastoralsoziologie sowie in der Religionspsychologie, Religionssoziologie - stellt diese wissenschaftliche Arbeit in ihrer theologischen Interdisziplinarität eine Ausnahme dar.

Diese Dissertation überwindet in exemplarischer Weise - nach dem Religionsdiktum der dialektischen Theologie - die mit der neomarxistischen Religionskritik, Anfang der 70er Jahre, einsetzende Handhabung der Religion mit ihren Gegenständen, sie lediglich noch sozial-psychologisch rationalisiert, anzueignen und so aufgeklärt auch zu gebrauchen.

Der lange Zeit hohe Stellenwert, den beispielsweise die Phasenmodelle E. Kübler-Ross’ und Y. Spiegel’ für den Umgang mit dem Sterben bzw. mit den Trauernden in der Kirche gehabt haben, bis sie selbst endlich auf ihre eigenen Rites de passage in den biblischen Schriften wieder aufmerksam wurde, dokumentiert, dass die Praktische Theologie keine pragmatische Theologie im Sinne der Aneigungswissenschaft mehr sein muss, sondern angesichts des wiedererwachten Interesses an Religion diese Gestaltpotentiale ihres Glaubens wiederentdeckt.