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Ausgabe:

März/2000

Spalte:

343 f

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Prien, Hans-Jürgen [Ed.]

Titel/Untertitel:

Religiosidad e Historiografía. La irrupción del pluralismo religioso en América Latina y su elaboración metódica en la historiografía.

Verlag:

Frankfurt: Vervuert u. Madrid: Iberoamericana 1998. 283 S. 8 = Acta Coloniensia, 1. ISBN 3-89354-191-8 u. 84-88906-95-1.

Rezensent:

Mariano Delgado

Der Herausgeber, Professor für Iberische und Lateinamerikanische Geschichte an der Universität Köln, hat mit dieser Publikation die Akten eines von seinem Lehrstuhl organisierten internationalen Symposiums (15.-16. November 1996, Köln) über den Einbruch des religiösen Pluralismus in Lateinamerika und seine methodische Bearbeitung in der Geschichtsschreibung der wissenschaftlichen Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Am Symposium haben Forscher aus dem deutschen und englischen Sprachraum, Spanien und Lateinamerika teilgenommen.

Die in diesem Band gesammelten Beiträge sind sehr heterogen, da die meisten Autoren über den eigenen Forschungsschwerpunkt geschrieben haben, mit oder ohne Bezug zum Thema des Symposiums. P. hat die Beiträge um drei Themenfelder gruppiert: "Die Aufstellung von methodischen Kriterien für eine Geschichte der Kirche", "Methodische Probleme in der Erforschung und Darstellung der Geschichte des Christentums in Lateinamerika" und schließlich "Volksreligiosität und indigene Religionen am Ende des 20. Jahrhunderts". Im dritten Themenfeld sind informative Kurzbeiträge über Aspekte der Religiosität der Kunas Panamás (Aiban Wagua), über den mexikanischen Guadalupanismus (Richard Nebel, Carmen José Alejos-Grau), über die Araucanos Chiles (Othmar Noggler), die Qechuas Perus und die Arhuacos Kolumbiens (Bruno Schlegelberger) enthalten, allesamt Zusammenfassungen von größeren Publikationen der Vff. Im zweiten Themenfeld finden sich u. a. Literaturberichte über die Christentums- und Religionsgeschichte Lateinamerikas in Spanien und Portugal (Josep-Ignasi Saranyana), im (west)deutschen Sprachraum (Johannes Meier) und in der DDR (Michael Zeuske: hier erfährt der Leser u. a., dass die Stasi die Lateinamerika-Forschung stark überwachte und manche nicht staatskonforme Dissertation - etwa über die Basisgemeinden - nicht erscheinen durfte).

Aus dem zweiten Themenfeld verdienen zwei Beiträge besondere Beachtung: der Aufsatz von Rosa María Martínez de Codes über die Bourbonischen Reformen des 18. Jh.s und die Geburt der Nation in Lateinamerika sowie der Aufsatz von Brian R. Hammett über die katholische Kirche Mexikos und die liberale Herausforderung zwischen 1855 und 1876. Diese Aufsätze untersuchen das bisher wenig beachtete Problem der Nationenbildung und der Säkularisation kirchlicher Güter. Sie können als Beschreibung laufender und vielversprechender Forschungsprojekte der Vff. verstanden werden.

Im ersten Themenfeld findet sich ein auf portugiesisch verfasster sehr informativer Bericht von José Oscar Beozzo über die methodische Diskussion im Rahmen der CEHILA von 1973 bis 1995; Jean-Pierre Bastian plädiert für religionssoziologische Methoden bei der Erforschung der Lehre und Organisation des missionarischen Protestantismus in Lateinamerika; Enrique Dussel plädiert erneut für eine Geschichtsschreibung aus der Perspektive der Peripherie und der Ausgeschlossenen, während der nord-atlantische Katholizismus und Protestantismus als Ausdruck eines Modernitätsprozesses verstanden werden, der die Beherrschung und Ausbeutung der nicht-europäischen Welt zum Ziel hat. P. plädiert, Luther folgend, wie er festhält, für eine ökumenische Betrachtung der Christentumsgeschichte, die von einem Verständnis der Kirchen in ihrer ökumenischen Vielfalt als Leib Christi ausgeht und so die Gefahr vermeidet, eine bestimmte Konfession mit der Kirche absolut gleichzusetzen.

Besonders anregend ist der Beitrag von Fernando Cervantes, der für eine Neuinterpretation der Missionsgeschichte Spanisch-Amerikas als synkretistische indianische Aneignung des Christlichen plädiert, bei der die Liturgie eine besondere Rolle spielte. Die These ist allerdings nicht neu (schon der Peruaner Mariátegui hatte sie in den zwanziger Jahren vertreten) und vergisst die andere Seite der Medaille: in Lateinamerika hat es nicht nur eine indianische Aneignung des Christlichen gegeben (= Synkretismus), sondern auch - ich möchte sagen: vor allem - eine christliche Aneignung des Indianischen, d. h. sinnvolle Inkulturationsprozesse, besonders in Kunst, Liturgie und Volksreligiosität, vollzogen sowohl von den Missionaren wie von den indianischen Christen der ersten Generationen. Eine der dringenden Aufgaben christlicher Religionshistoriker im latein-amerikanischen Kontext bestünde m. E. darin, Kriterien zu erarbeiten, um Inkulturationen von Synkretismen zu unterscheiden.

Der heterogene Band ist allemal sehr anregend (dem Herausgeber sei für die Publikation gedankt), aber am Ende bleibt eher der kaleidoskopische Eindruck zurück, dass jeder Autor die dem eigenen Forschungsinteresse angemessene Methode hat und davon berichtet; eine zusammenfassende interdisziplinäre Diskussion über Verdienste und Grenzen der einzelnen Methoden hat beim Kölner Symposium offenbar nicht stattgefunden.