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Ausgabe:

März/2000

Spalte:

339–342

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Dlugosz, Maria

Titel/Untertitel:

Mae Enga Myths and Christ’s Message. Fullness of Life in Mae Enga Mythology and Christ the Life (Jn 10:10).

Verlag:

Nettetal: Styler 1998. XVI, 302 S. m. Abb., 6 Faltktn. gr.8 = Studia Instituti Missiologici Societas Verbi Divini, 66. Kart. DM 40,-. ISBN 3-8050-0403-6.

Rezensent:

Theodor Ahrens

Maria Dlugosz untersucht Kultur und Religion der Mae-Enga auf deren Begriff des Lebens hin und bezieht die Ergebnisse dieser Untersuchung auf das Christuskerygma des Johannesevangeliums, um Leitlinien für die Inkulturationsproblematik in Melanesien zu gewinnen.

Die Untersuchung ist von der Annahme geleitet, dass das Motiv eines ,Lebens in Fülle’ oder bescheidener: eines jedenfalls ,gelingenden Lebens’ (D. Ritschl), das sich seit einigen Jahren in den Vordergrund der ökumenischen Diskussion geschoben hat, einen gemeinsamen Nenner der verschiedenen Inkulturationsprozesse des Christlichen freilegt, wo auch immer sie sich vollziehen mögen.

Die Mae-Enga sind eine von drei Untergruppen der etwa 200.000 Menschen umfassenden Gruppe der Enga im Hochland von Papua-Neuguinea. Diese Gruppen sind erst mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges in einen intensiven Kontakt mit der Westlichen Welt und im Zusammenhang damit auch mit den Missionen der christlichen Kirchen gekommen. Seither haben sie in kaum drei Generationen gewaltige Umbrüche erlebt, erlitten und auch selbst vollzogen. Die gesellschaftlichen und religiösen Verwerfungen sind erheblich.

Motiviert von der Vision des Zweiten Vaticanums, das Kleriker wie Laien auf eine Würdigung nichtchristlicher Religionen und Kulturen verpflichtet und die Römisch-Katholische Kirche als Sacramentum Mundi im Zentrum des Dialogs der Kulturen sieht, steht die Vfn. methodologisch in der religionsphänomenologischen Tradition M. Eliades, wie sie für die Diskussionslage in Melanesien vor allem durch die Beiträge Ennio Mantovanis SVD erschlossen wurde. Damit sind Vorentscheidungen für die Wahl des Bildausschnitts gefallen: Die Vfn. untersucht traditionelle Leitvorstellungen eines guten Lebens miteinander, wie sie auf den Ebenen alltagsweltlichen und symbolischen Handelns sowie in der religiösen Vorstellungswelt zum Ausdruck kommen, und zieht dann aus dem Johannesevangelium soteriologische und christologische Motive bei, um die Kompatibilität der soteriologischen Grundvorstellungen zu erweisen.

Die Arbeit hat drei Teile: Teil 1: Eine Skizze der sozialen und materiellen Ausstattung traditioneller Kultur ergibt im Blick auf das Leitinteresse der Studie: Das Leben des Klans ist der Leitwert, der die Kompassnadel des Verhaltens in alltäglichen wie in Krisensituationen ausrichtet, und die Ideologie der Retribution das Steuerungsinstrument alltäglichen Verhaltens. ,Leben in seiner Fülle’ ist relational und gemeinschaftlich. Alle Klanmitglieder haben die Pflicht, zum Leben und Überleben der eigenen Gruppe beizutragen.

Kap. 2 erschließt die Ausstattung der weltanschaulichen Bühne, vor deren Hintergrund das soziale Leben der Mae-Enga spielt. Das Prinzip der Gegenseitigkeit (93 ff.) betrifft ebenso die Ordnung des sozialen Lebens wie die Interaktion zwischen der sozialen und der kosmischen Dimension klanischen Lebens. Die religiöse Symbolwelt vermittelt den Eindruck, dass die soziale Ordnung in der kosmischen verankert ist und dass das kosmische Gefüge durch die ausgeprägte Ritualisierung der sozialen Alltagswelt gestützt wird. Diesen Sachverhalt bezeichnet D. mit dem von E. Mantovani in die melanesische Debatte eingeführten Begriff der "biokosmischen Religion".

Der 2. Teil der Studie untersucht zentrale Motive von heute noch erzählten Mythen mit Blick auf die Frage, was diese zum Verständnis von ,Leben’ in der Welt der Mae-Enga beitragen. Mit guten Gründen stellt D. in ihrer Auswahl Varianten des Dema-Mythos zentral, die von der Tötung einer ,Göttin’ in den unvordenklichen Tagen erzählen und als Ergebnis dieses gewaltsamen Todes diese Frau als Bringerin des Lebens feiern und in Erinnerung halten (135 ff.).

Während A. E. Jensen, dessen Forschungen diesen Mythos für uns zuerst erschlossen haben, den Mythos als Erinnerung an einen Gründungsmord interpretiert, der am Anfang der Gartenbaukultur steht und der die Logik ihres Weltbildes einschärft, dass immer wieder getötet wird, damit geboren werden kann, stellt D. darauf ab, dass dieser Tod am Anfang zum Leben-gebenden Tod wird, der Gemeinschaft wiederherstellt und der Gruppe Lebenskraft zuspielt (z. B. 138 f., 147 und passim) - eine für die Last der Inkulturationsproblematik vielleicht etwas zu leicht, jedenfalls ohne Geländer gebaute Brücke.

Der 3. Teil der Studie setzt die idealtypische Rekonstruktion traditioneller Soteriologien zu zentralen christologischen und soteriologischen Symbolen des Johannesevangeliums in Beziehung. Das Christliche wird von D. in der Perspektive der Ich-bin-Worte des Johannesevangeliums gefasst und mit der Vorstellung eucharistisch vermittelten Heils verbunden. Jesus als Gabe und Geber des Lebens spricht unmittelbar in die religiöse und kulturelle Vorstellungswelt. Als der Auferstandene entschränkt er die lokale und klanisch verengte Version von Heil zu ihren universalen Dimensionen von Geschwisterlichkeit, wie sie sich in der röm.-kath. Kirche als Sakramentum Mundi darstellt. Traditionelle Vorstellungen von der Fülle des Lebens werden christlich ergänzt, modifiziert, entschränkt. Lokale Kultur und Christentum bereichern sich gegenseitig. Das regierende Deuteschema ist in der Polarität von "Verheißung-Erfüllung" (190) eingefangen. Kontinuität überlagert Diskontinuität.

Die vorlaufende, geschichtliche Offenbarung Gottes an die Mae-Enga erscheint D. ebenso als religionsgeschichtlicher Fakt wie als Kerygma der Mae-Enga an das Christliche (185, 191). D. gewinnt auf diesem Wege die Möglichkeit, sich uneindeutig positiv auf traditionelle melanesische Religion zu beziehen, und das ist kein geringer Gewinn in einem missionarischen Milieu, in dem traditionelle Religion zuvor nicht selten pauschal abgewertet wurde.

Die Arbeit verdient Beachtung, weil sie aus einer großen Aufmerksamkeit des Hörens auf das ,Kerygma’ der traditionellen Religion erwachsen ist und zu Recht geltend macht, dass die traditionelle Kultur das Medium ist, in dem die Christusbotschaft rezipiert und reinterpretiert wird. Dazu erschließt D. wertvolles Material. Sie gibt Einblick in die anthropologischen und theologischen Hintergründe der Erneuerung katechetischer Arbeit, wie sie in Papua-Neuguinea während der vergangenen beiden Jahrzehnte, getragen von diözesanen katechetischen Zentren, eindrucksvoll in Gang gekommen ist. Im Übrigen belegt die Arbeit, einen wie wichtigen Anteil katholische Ordensfrauen in der theologischen Basisarbeit gewonnen haben.

Einige Fragen, die bleiben, seien genannt:

1. Lässt sich traditionelle Religion so, wie sie gewesen ist, wiederherstellen? Frau D. vermittelt diesen Eindruck. Mittlerweile sind unter erheblicher Beteiligung der Indigenen Umbauten der religiösen Vorstellungswelt ebenso wie der rituellen Praxis vorgenommen worden. Der Diskurs über Aneignung oder Zurückweisung des Christlichen ist von den Betroffenen, den Eignern dieses Themas, schon von der ersten Minute an geführt worden. Wie haben sie, die Katecheten und Laien, das Christentum bisher interpretiert? Leider blendet D. Fragen nach den Motivationen, Themen, Schubkräften und Ergebnissen sozioreligiöser Umstellungsprozesse ab. Wie verhält es sich z. B. heute mit der "biokosmischen Soteriologie" klanischer Religion? Aloysius Pieris SJ, der, um den gleichen Sachverhalt zu bezeichnen, den Begriff der ,kosmischen Religion’ meines Wissens zuerst in die Inkulturationsdebatte eingeführt hat, benutzte die Polarität von "kosmischer Religion" (mit ihrem satten, am Hier und Jetzt orientierten ,soteriologischen’ Pragmatismus) und "metakosmischer", die Situation transzendierender Religion, um den Erfolg der Missionsgeschichte des Christen- tums und anderer ,Hochreligionen’, wo er denn eingetreten ist, als Überlagerung der kosmischen durch die metakosmischen Religionen zu erklären und um die damit gegebene Aufsprengung stammesreligiöser Soteriologien zu deuten. Wie verhält es sich damit bei den Mea-Enga?

2. D. unterstreicht - völlig zu Recht - den hohen Stellenwert, den die Ideologie der Retribution für die Praxis des Miteinanderlebens hat, behandelt die durchaus destruktiven Seiten dieser Ideologie aber eher beiläufig (74 ff.). Die Beiläufigkeit ist erstaunlich, weil die Motive des Christwerdens in Melanesien, wie D. plausibilisiert hat, ihre Gründe einerseits in einem massiv pragmatischen Verständnis von Heil hatten, damit verbunden aber andererseits durchaus von der Hoffnung bewegt waren, die destruktiven Folgen der Retributionsideologie könnten mit dem Christwerden tatsächlich außer Geltung und außer Kraft gesetzt werden.

3. Solche Gewichtsverteilung in der Würdigung traditioneller Religion hängt m. E. mit einer etwas blauäugigen Interpretation des Mythos von der getöteten Dema-Gottheit als einer Vorabbildung, die in der kirchlich dargebotenen Eucharistie zu ihrer Erfüllung findet (190, 221), zusammen. Jesu Tod für alle ist die Gabe seines Lebens, die von der Verpflichtung zum Opfer befreit (221). In einer opferkultisch geprägten Vorstellungswelt kann ein solches Kerygma befreiende Wirkung haben. D. meint mit Mantovani, das Christliche bestätige und überbiete den Zentralsatz biokosmischer Religion, der einzige Weg, Leben wiederherzustellen und zu heilen, liege darin, dass jemand sein Leben gebe (213). Die Brauchbarkeit des Opfergedankens im Zusammenhang der Inkulturationsprozesse ist zu debattieren. Die Kehrseite solcher Inkulturationspragmatik könnte darauf hinauslaufen, Gewalt zu einem festen Bestandteil des umgebauten religiösen Symbolsystems zu machen - wie bisher - und vermutlich entgegen der Grundmotivation der ersten Konvertiten.