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Ausgabe:

März/2000

Spalte:

327 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Holzschuh, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Die Trauer der Eltern bei Verlust eines Kindes. Eine praktisch-theologische Untersuchung.

Verlag:

Würzburg: Echter 1999. 313 S. m. Abb. gr.8 = Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge, 37. Kart. DM 48,-. ISBN 3-429-02077-8.

Rezensent:

Martina Plieth

"Die Trauer der Eltern bei Verlust eines Kindes ..." - Ein spannender Titel, der spezifische Erwartungen weckt und davon ausgehen lässt, unter dieser Überschrift werde das Trauerverhalten verwaister Eltern vorgestellt und mit Hilfe praktisch-theologischer Kategorien analysiert. Ein spannender Titel, der viel verspricht und Maßstäbe setzt, denen das ausgeführte Buch - trotz umfangreicher Recherchen und gewiss mühsamer empirischer Kleinarbeit - allerdings längst nicht immer zu entsprechen vermag. Schließlich geht es in der vorgelegten Arbeit in erster Linie um das Verhältnis trauernder Eltern zu ihrer Kirchengemeinde und weniger um die Wahrnehmung konkreter Trauerprozesse; ein gewisses Maß an Ent-täuschung (Ende einer Täuschung) ist also von vornherein vorprogrammiert. Wer das begreift und schließlich akzeptiert, versteht sehr bald, warum bis Seite 48 von Trauer kaum die Rede ist, sondern in klassischer Manier die Grundvollzüge christlicher Gemeinde (Gemeinschaft, Verkündigung, Liturgie und Diakonie) dargestellt werden; und auch die Ausrichtung der letzten hundert Seiten, in denen eine Fragebogenaktion zur Situation verwaister Eltern in ihrer Gemeinde ausgewertet wird, erscheint vor dem Hintergrund des eigentlichen Themas nachvollziehbar.

Dennoch ist es gut, daß wenigstens der "Zwischentext" (49-122; 123-160), in dem in einem ersten Block die Traueransätze von S. Freud, K. Abraham und M. Klein sowie das Aufgabenmodell von J. W. Worden und in einem zweiten Block biblische Beispiele für Elterntrauer vergegenwärtigt werden, die anfängliche Enttäuschung etwas zu mindern vermag. In ihm sind Grundstrukturen komplexer Trauervorgänge zutreffend, wenn auch äußerst knapp beschrieben, und es kommen sogar kurze Ausblicke auf Einzelschicksale vor (59 ff. u. 61 ff.). Bedauerlich ist nur, daß seine beiden Blöcke unverbunden nebeneinander stehen und eine Verzahnung bzw. Inbeziehungsetzung (untereinander bzw. mit den nachfolgenden Ausführungen) nicht zu erkennen ist; es wäre bestimmt lohnend gewesen, psychologische Theorien bzw. Modelle und biblische Aussagen miteinander zu versprechen und beides als Spannungseinheit auf gegenwärtige Trauerprozesse verwaister Eltern zu beziehen. Aber das ginge vermutlich über die Intention des Verfassers hinaus bzw. an ihr vorbei und entspräche nicht seinem Hauptinteresse, das ab Seite 161 zum Tragen kommt.

Die dort dokumentierte schriftliche Umfrage unter verwaisten Eltern, die sich in Selbsthilfegruppen organisiert haben, beruht auf insgesamt sechs Hypothesen (169), deren Verifizierung bzw. Falsifizierung als durchaus gelungen angesehen werden kann; dennoch legen sich kritische Anmerkungen in Bezug auf den verwendeten Fragebogentext, speziell die Formulierung zweier Einzelfragen nahe: 1) Wäre es z.B. nicht besser gewesen, die Frage Nr. 4 ("Was verstehen Sie unter einer kirchlichen Gemeinde?", 172) weniger offen zu formulieren und eventuell konkrete Vorgaben zu machen, um so größere Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu erwirken? Das jeweilige Gemeindeverständnis ist schließlich ausschlaggebend für die entsprechende Replik auf zentrale weitere Fragen. 2) Hätte die Beantwortung von Frage Nr. 10 ("Sehen Sie zu den befragten Themenkreisen zusätzliche Aspekte, die Sie ausführen wollen?", 175) nicht bereits im Vorfeld als Überforderung eingestuft und die Schlussfrage demgemäß ausgelassen werden können?

Auch das die Fragebogenaktion kommentierende Begleitschreiben (siehe dazu 176 f.), das durch die erfolgte Überarbeitung eindeutig gewonnen hat, ruft in seiner Letztfassung eine Anfrage hervor: Warum wird im direkten Gegenüber zu verwaisten Eltern von der Notwendigkeit eines sensiblen Umgangs mit ihnen gesprochen und darauf hingewiesen, daß es nicht leicht ist, als Nichtbetroffener das Vertrauen Betroffener zu gewinnen? (siehe dazu 177) Auf diese Weise wird mehr Distanz als Nähe erzeugt und der Abstand zwischen den Angesprochenen nur noch vergrößert; dies mag dem internen Befragungsprogramm (siehe dazu 164 ff.) und auch der generellen Situation trauernder Eltern entsprechen, aber zu der Rogerschen Empathieregel (siehe dazu den Exkurs 111 ff.) will es nicht so recht passen.

Die abschließend vorgebrachten "Postulate für gemeindlichen Umgang mit verwaisten Eltern" (248 ff.) skizzieren Wesentliches und entsprechen dem zuvor Erarbeiteten; aus diesem Grund ist es besonders schade, daß im Bereich des Wünschenswerten nicht ausführlicher auf das realfaktisch Machbare (die gestaltbare Wirklichkeit) eingegangen und wenigstens ein Praxisbeispiel in extenso durchdekliniert wird. Aber das ist ja vom Autor gegebenenfalls noch in einer anderen Veröffentlichung nachzuholen. Dann allerdings sollte der Titel genau reflektiert und dem Gehalt des Buches entsprechend formuliert sein; auf diese Weise kann Enttäuschung vermieden werden, und wenn das geschieht, fällt es Lesern und Leserinnen gewiß leichter, sich auf eine an und für sich ganz passable Publikation einzulassen und sie von vorn bis hinten gern und mit Gewinn zu lesen.