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Ausgabe:

März/2000

Spalte:

322 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Christ-Friedrich, Anna

Titel/Untertitel:

Der verzweifelte Versuch zu verändern. Suizidales Handeln als Problem der Seelsorge.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1998. 238 S. gr.8 = Arbeiten zur Pastoraltheologie, 34. Kart. DM 58,-. ISBN 3-525- 62356-9.

Rezensent:

Klaus Dirschauer

Die pastoraltheologische Studie ist im Wintersemester 1996/97 an der Hochschule in Bethel unter dem Titel "Suizidales Handeln als Problem der Seelsorge. Die Dynamik suizidaler Handlungen zwischen Ich-Kommunikation und theologischer Tradition" als Dissertation angenommen worden. Ch.-F. definiert den Suizid als "eine Extremform menschlichen Handelns. Sie ist ein verzweifelter Versuch des ,Ich’, etwas zu verändern und ein im wahrsten Sinne lebensgefährlicher Versuch, sich zu kommunizieren" (11).

Um dieses zu verstehen, als Thema der Seelsorge zu reflektieren und in einen pastoralpsychologischen Zusammenhang zu übersetzen, entfaltet die Theologin in neun Arbeitsschritten das suizidale Verhalten als Kommunikationsgeschehen: Nach einem ausführlichen (1) Einleitungsteil (Hinführung, Begriffsklärung, empirische Daten) sowie einer sehr knappen kommunikationswissenschaftlichen Herleitung ihres Ansatzes (2) von P. Watzlawick - dabei H. Späte aufnehmend - "Suizidales Verhalten als Kommunikationsgeschehen" beschreibt sie die suizidalen Handlungen als "Kommunikation von Aggression (3)", stellt diese in ihrer "unbewußten Psychodynamik (4)" dar und skizziert in einem, noch durchgängig an F. Riemann orientierten, Exkurs (5) die verschiedenen "Strukturen von Abwehr in der seelsorgerlichen Praxis", um nach den "pastoralpsychologischen Vorüberlegungen zur Suizidthematik" (6), endlich auf den "theologischen Hintergrund für Seelsorge an suizidalen Menschen" (7) zu sprechen zu kommen. Die Autorin würdigt die suizidalen Handlungen als "Ichleistung" (8), um sich schließlich der pastoralpsychologischen Kommunikation und der Suizidthematik (9) erneut zuzuwenden. Ein umfangreiches Literaturverzeichnis von mehr als 420 Titeln rundet diese kenntnisreiche, fleißige Studienarbeit mit zahlreichen Fallbeispielen ab.

Unter den aufgeführten Titeln vermisse ich Autoren wie H. P. Rosemeier und H. Ebeling; immer auch noch H. Thomas. (Die "Bibliographie des Selbstmords" von H. Rost ist 1927 in Augsburg, nicht 1992 in Regensburg erschienen; vgl. 12, Anm.4; 233). Der Bezug auf den erst sehr spät - Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre - mit dem Werk (1897) E. Durkheims ausgelösten Diskurs in weiteren soziologischen Suizidtheorien (u. a. Chr. Braun, G. Kehrer) fehlt dieser im humanwissenschaftlichen Umfeld des pastoralen Handelns angesiedelten Arbeit ebenso wie die Auseinandersetzung mit den theologischen Ethiken seit H. Thielicke (nicht zuletzt auch angestoßen durch die Diskussion des "Rechts auf einen eigenen Tod"). Zu kurz erscheint mir auch die Erörterung innerhalb der Fragestellung nach dem "Sinn des Lebens" geraten zu sein. Bleibt H. Gollwitzer ungelesen? Der nicht zuletzt auch biographisch interessante Befund in der Literatur, auf den H. J. Baden bereits 1965 mit seinemWerk "Literatur und Selbstmord" aufmerksam gemacht hat, findet bedauerlicherweise keine Beachtung.

Abgesehen von diesen mehr formalen Anmerkungen zur Diskussionslage zielt meine inhaltliche Kritik auf den ,praedogmatischen Vorbehalt’ der Theologin in der Suizidseelsorge ab, zumal sich der kommunikationswissenschaftliche Ansatz der vorliegenden Studie bewusst "im Spannungsfeld zwischen Theologie und Psychologie" bewegen will. Die wenigen, und dann auch nur streiflichtartigen, theologischen Ansätze und die wiederum vielen, lediglich sporadisch abgehandelten Seelsorgedefinitionen tragen nur aus ihrer zufälligen konsonanten Affinität überhaupt etwas zur Erkenntnis der Fragestellung aus.

Mit K.-P. Jörns grundsätzlichen Beiträgen bereits zu diesem Thema und Problemfeld, die die Autorin innerhalb ihrer Dissertation nicht diskutiert hat, sind die Suizidtheorien, seien sie nun von einer der Humanwissenschaften her konzipiert, systematisch-theologisch oder philosophisch rezipiert - pastoralanthropologisch gesehen - eigentlich überholt. Für Jörns heißt leben kommunizieren.