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Ausgabe:

März/2000

Spalte:

315–317

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

O’Grady, Kathleen, Gilroy, Ann L., and Janette Gray [Eds.]

Titel/Untertitel:

Bodies, Lives, Voices. Gender in theology.

Verlag:

Sheffield: Sheffield Academic Press 1998. 273 S. gr.8. Kart. £ 16.95. ISBN 1-85075-854-9.

Rezensent:

Susanne Dungs/Uwe Gerber

Mit dieser Anthologie von Beiträgen zur Gender-Forschung im Bereich Feministischer Theologien aus dem angelsächsischen Raum möchten die drei Herausgeberinnen die Dynamik, die Pluralität und die Differenzen zur Sprache bringen, die für die gegenwärtigen theoretischen Diskurse, aber auch für feministische Praxis charakteristisch sind.

Die Anthologie ist dem Titel Bodies, Lives, Voices entsprechend in drei Teile gegliedert. Den 11 Beiträgen ist gemeinsam, Frauenkörper, Frauenleben, Frauenstimmen zu erforschen, wie sie in unserer jüdisch-christlichen Tradition bisher nicht gesehen, gelebt und gehört worden sind. Die einen beziehen sich dabei mehr auf performative Geschlechterkonstruktionen im Sinne von Judith Butler, andere stehen eher der Theorie der Geschlechterdifferenz von Luce Irigaray nahe. Das verbindende Anliegen ist die Transformation der feministisch-theologischen Forschung aus dem Bereich des Marginalisierten heraus. Entsprechend wird der Unterordnung, dem Auslöschen und Verformen religiöser Erfahrungen von Frauen durch erneutes, anderes Untersuchen jüdisch-christlicher Konstruktionen von Frauenwirklichkeiten begegnet.

Die Autorinnen stellen bei aller Nähe zur Postmoderne die Subjektivität von Frauen nicht zur Disposition, sondern kristallisieren die Kraft, Fülle und Einzigartigkeit weiblicher Subjektivität engagiert heraus. Dabei wissen sie darum, dass auch feministisch-theologische Forschung "männliche" Frauenbilder affirmativ reproduziert und Frauen über dieselben erkenntnistheoretischen Strukturen "verformt".

In Bodies untersucht ein Beitrag, wie Theologie und Ethik durch ihr spezifisches Verhältnis zur menschlichen Sexualität dazu geführt haben, Frauen- und Kinderkörper auszugrenzen. Auch sexueller Missbrauch wird über diese Marginalisierung erklärt. Die Benachteiligung von Frauen, d. h. ihre Infantilisierung, habe eine Kraftlosigkeit von Kindern zur Folge, die es ihnen wie den Müttern nicht möglich mache, sich den Wünschen der Männer zu verweigern. Gleichzeitig verdecke die kulturelle Idealisierung von Frauen ihre Mittäterschaft. Noch radikaler wurde der christliche Antijudaismus in die Körper jüdischer Kinder, Frauen und Männer im Holocaust buchstäblich eingeschrieben. Wie ist überhaupt noch ein universelles ethisches Modell für ein moralisches und gutes Leben unter Einbeziehung biologisch-ethischer, neoaristotelischer und neukantianischer Konzepte von Julia Annas, Martha Nussbaum und Onora O’Neill möglich?

In Lives wird "weiblicher Genealogie" (Irigaray) nachgespürt: Wie können Frauen sich in Liebe und Verständnis vereinigen, wenn es keine Repräsentation von und zwischen Frauen in unserer Kultur gibt, d. h. wenn sie keine Symbole oder Bilder zur Verfügung haben, die ihre ethischen und erotischen Stärken artikulieren? Welche symbolischen Repräsentationen - ob mythisch oder historisch - könnten das notwendige Substrat für eine Subjektivität von Frauen liefern?

Männliche Kommentatoren neigen dazu, Texte z. B. der Mystikerin Marguerite Porete oder der Äbtissin Petronilla de Chemillé trotz offenkundig politischer Äußerungen als apolitisch einzuordnen. Aber wie konnte Porete zum Tode verurteilt werden, ihr Text aber sowohl Beweis für Häresie als auch Zeugnis für vorzügliche geistliche Arbeit sein? Interessant ist der bisher unzugängliche Blick in die tamilischen Autobiographien Karraku und Kalakka und in den dichterischen Text Koveru Kazhudaigal von Imayam mit ihrer selbstbewussten Repräsentation von Frauen, die ihre Identität als Gemeinschaft der "Unberührbaren" in der Spannung zwischen indischem Kastensystem und katholischer Kirche entwickeln. Schließlich eine detaillierte Forschung über das Buch Esther: Entgegen bisheriger feministischer Interpretationen verkörpert nicht die Königin Vashti das ideale Rollenmodell einer jüdischen Frau, sondern Esther besonders aufgrund ihres Intellekts.

Voices widmet sich einem fast modisch gewordenen Forschungsfeld: der feministischen Religionsphilosophie. Texte von Hegel, Schleiermacher, Freud und Lévinas stehen selbstverständlich neben den Theorien Irigarays und Kristevas; es wird also nicht von einem paradigmatischen Bruch zwischen den Philosophien der Vergangenheit und der Gegenwart ausgegangen, sondern die traditionelle Epistemologie soll in neue ethische Projekte transformiert werden. Zunächst wird der Debatte zwischen Hegel und Schleiermacher von 1821/22 über Gefühl und Vernunft nachgegangen und ein neuplatonischer Monismus aufgespürt, der den Bruch zwischen Gefühl und Vernunft verschleiere und der von feministischen Philosophinnen und Theologinnen meist übersehen wird. Im zweiten Beitrag zeigt die Autorin (unter Verwendung des psychoanalytischen Instrumentariums und Butlers Begriff der Gender-Performance), dass Religion ein Produkt bestimmter Geschlechteridentifikationen ist und ihrerseits religiöse Praxis hervorbringt. Religionen stellten kulturelle Räume zur Verfügung, in denen Männer an Handlungen inszenierter Weiblichkeit teilnähmen und Frauen so gleichzeitig auslöschten. Im nächsten Beitrag wird mittels Theorien von Kristeva und Ricur der Sündenfallmythos anders interpretiert, dass nämlich die Position der Nichtidentischen, Irrationalen, Verunreinigten, in die die Frau in der christlichen Tradition abgedrängt wurde, einen Raum der Versöhnung zwischen Vernunft und Gefühl zur Verfügung stellen könnte. Der letzte Beitrag versucht von der Position Irigarays aus Göttlichkeit auf der Basis heterosexueller Geschlechtlichkeit neu zu denken, insbesondere über ihr Verständnis vom Anderen, das stark von Lévinas beeinflusst ist. Die Autorin nimmt Irigaray vor jenen Kritikern in Schutz, die sie als "essentialistisch" ansehen.

Wer sich mit Gender-Forschung befasst, erhält Bekanntes klar und in anderen Perspektiven dargestellt und Neues in überraschenden Theorieangeboten und in lebenspraktischer Absicht.