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Ausgabe:

März/2000

Spalte:

299–302

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Ulrich, Jörg

Titel/Untertitel:

Euseb von Caesarea und die Juden. Studien zur Rolle der Juden in der Theologie des Eusebius von Caesarea.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 1999. X, 324 S. gr.8 = Patristische Texte und Studien, 49. Lw. DM 198,-. ISBN 3-11-016233-4.

Rezensent:

Ekkehard Mühlenberg

Die Erlanger Habilitationsschrift greift eine aktuelle Frage auf, behandelt sie in klaren methodischen Schritten und zieht behutsam Konsequenzen für die Diskussion der Christen mit dem Judentum. Gerade weil es um die Theologie des Eusebius geht, wird die Gesprächslage in Caesarea nachgezeichnet, und zwar die Situation vor der sog. Konstantinischen Wende (Kapitel 2: Historischer Kontext). In Kenntnis der vorhandenen Literatur, vor allem auch der jüdischen Geschichtsforschung, kann Ulrich die verschiedenen kulturellen, vor allem aber die verschiedenen religiösen Gruppierungen in Palästina des 3. Jh.s benennen und vorsichtig die Anwesenheit und jeweilige Stärke von Juden, Christen und Heiden in Caesarea angeben. Er erschließt eine Situation, die gekennzeichnet ist durch Kontakte, Gespräche und Auseinandersetzungen, deren Zusammenleben aber sich durch eine "relative Toleranz" auszeichnet.

Die eine Quelle, die U. zur Basis seiner Untersuchungen macht, ist das apologetische Doppelwerk des Eusebius, die Prae-paratio evangelica und die Demonstratio evangelica, beide sicher vor Konstantins Sieg über Licinius (324), wahrscheinlich noch in der Zeit der Verfolgungen verfasst. Dieses Werk wird in Kapitel 3 vorgestellt und in die schriftstellerische Tätigkeit Eusebs eingeordnet. U. übernimmt die Gliederung von J. Sirinelli/É. des Places (vgl. 35) und zieht daraus die Folgerung, bei der christlichen Kritik an den Juden und der jüdischen Religion in der Demonstratio evangelica immer auch die positive Darstellung der jüdischen Überlieferungen in der Praeparatio evangelica zu berücksichtigen und umgekehrt nicht den Vorbehalt gegenüber der hohen Einschätzung der Juden im ersten Teil zu vergessen (36).

Besonders bemüht sich U., die schriftstellerische Absicht des apologetischen Doppelwerkes nach Adressaten und Gegnern zu charakterisieren, und fasst das in einer prägnanten Formulierung zusammen (vgl. 45): eine theologische Abhandlung über das Heilshandeln des Gott-Logos in der Geschichte, die die Überlegenheit der jüdischen über die griechische Religion und dann die Überlegenheit der christlichen gegenüber der jüdischen Religion aufweisen will. Eusebs Adressaten seien die Christen, denen zuerst anfängliche Argumentationshilfe (P.e.) und dann (D.e.) fortgeschrittene Unterweisung geboten wurde. U. belegt sorgfältig seine These, daß Euseb eine innerchristliche Argumentationshilfe zu schreiben beabsichtigte; man könnte jedoch fragen, ob das literarische Ziel mehr der Form als dem konkreten Gesprächshorizont dient.

Die Grundlage für das Konzept, das ein heilsgeschichtliches Konzept der Weltgeschichte ist, gewinnt U. durch eine überzeugende Untersuchung der Terminologie: Hebräer, Heiden/ Griechen, Juden und Christen (Kap. 4). Es ergibt sich, dass die Begriffe klar voneinander abgegrenzt sind und durchgehend eindeutig verwendet werden, so dass - was bekannt ist - die Hebräer, Juden und Christen Monotheisten sind, während die Heiden insgesamt dem verwerflichen Polytheismus anhängen. Diese Untersuchung ist neu und führt zu erheblichen Differenzierungen; der Unterschied zur bisherigen Forschung wird deutlich, wenn man das Schaubild von W. Kinzig (59) mit demjenigen von U. (123) vergleicht. U. zeigt, dass erstens die Blöcke, welche durch die Terminologie konstituiert werden, nicht ganz exklusive Größen sind und dass zweitens die Juden geschichtlich zwischen die Hebräer (z. B. Noah und Abraham) und die Christen zu setzen sind. Die Juden sind also heilsgeschichtlich unentbehrlich. Was die Herkunft der Terminologie angeht, stützt sich U. auf vorausgehende Studien; vielleicht hätte er Origenes noch eigenständiger durchsehen sollen.

Der eigenständigste Kern der Arbeit ist der theologischen Wertung der Juden bei Euseb gewidmet (Kap. 5; 133-238). U. zerlegt seine Beobachtungen in fünf Fragekreise, um zu zeigen, daß der Euseb in neuerer Forschung angehängte Antijudaismus unzutreffend ist und durch die Feststellung der theologischen Kritik an den Juden ersetzt werden muss. Die fünf Fragekreise: "1. Eusebs Theologie der Heilsgeschichte in Auseinandersetzung mit den Juden; 2. Die Christologie Eusebs zwischen Christen und Juden; 3. Neutestamentliches über die Juden bei Euseb; 4. Kirche und Synagoge bei Euseb: Ein Substitutionsmodell?; 5. Eusebs theologische Kritik an den Juden (Partikularismus und Heilsexklusivität; Falsches Verständnis der Heiligen Schriften)." Als Ergänzung tritt hinzu: "6. Die Diktion in Eusebs Auseinandersetzung mit den Juden." Überall herrschen die Differenzierungen vor, wenn U. die forschungsgeschichtlichen Vorgaben, die Belegtexte und seine darüber hinausgehenden Beobachtungen vorträgt. Sowohl die Unterscheidung von Fragekreisen als auch das Abwägen von Aussagen, die sich einer einfachen Einordnung entziehen, führen einen Euseb vor, der offensichtlich in lebendiger Diskussion steht. Dadurch wird eigenes Fragen nach der theologischen Wertung der Juden geschärft. Besonders lässt sich die Arbeitsmethode U.s an den beiden Exkursen ablesen (Ende oder Vollendung des Gesetzes - zur Stellung in der Heilsgeschichte; Christus und Mose - zur Christologie).

Ein 6. Kapitel geht Konsequenzen nach, die Euseb auf Kaiser Konstantin und seine Nachfolger gehabt haben könnte, und konstatiert mit anderen vor ihm, daß eine antijüdische Gesetzgebung, die aus der Zuwendung Konstantins zum Christentum hervorgegangen wäre, nicht zu diagnostizieren ist. Ein Schluss-kapitel wertet die Eigenständigkeit Eusebs im Blick auf die apologetische Tradition sowie innerhalb der Origenesrezeption.

Viel ist von dieser Arbeit zu lernen, um pauschale Urteile zu vermeiden und über die eigene theologische Stellungnahme zu den Juden nachzudenken. Unmissverständlich stellt U. heraus, dass das Christentum für Euseb monotheistisch denselben Gott wie die Juden verehrt und dass die Juden die heiligen Schriften mit den Christen gemeinsam haben. Jedoch ist für Euseb auch eindeutig, dass die prophetischen Voraussagen sich in der Menschwerdung des Gott-Logos verwirklicht haben und deswegen die ganze Heilsgeschichte im Glauben an Jesus Christus, "den Retter aller Menschen", zur Erfüllung kommt. Das Christentum ist die ursprünglich vom Gott-Logos intendierte Ausweitung der Erlösung über politisch nationale Grenzen hinaus; das Römische Reich bot sich Euseb als Horizont für die Menschheit an, aber er blickte auch darüber hinaus.

U. konzentriert sich in seinen theologischen Fragekreisen auf die Themen, die er in der expliziten Auseinandersetzung Eusebs mit den Juden beobachtet. Dabei erkennt er selber Bedingungen, Folgen und Probleme. Die Grundbedingung ist - nach U.- Eusebs Konzept von Theologie: "Theologie ist für Euseb wesentlich Konstruktion und Rekonstruktion von Geschichte", "im Sinne von Heilsgeschichte" (133). Die Folgen davon sind, dass geschichtliche Ereignisse objektiv und beweiskräftig als Willensäußerungen Gottes deutbar sind, in der Apologie gegen die Juden einsetzbar, insofern die römischen Siege über das jüdische Volk für Euseb Gottes Strafe für die Ablehnung des Christus und für seine Tötung sind. Darin sieht U. ein Problem, weil die christologische Soteriologie Eusebs eine endgültige Verwerfung der Juden - gelegentlich von Euseb ausgesprochen - ausschließe und vielmehr das Heil für sie durch die Annahme des Christus offenhalte. "Es bleibt allerdings zu konstatieren, dass sowohl der heilsgeschichtliche Triumphalismus als auch die teilweise negative Bewertung des Judentums in Eusebs geschichtstheologischen Ausführungen die christologisch-soteriologischen Voraussetzungen seiner Texte im Grunde unterbietet" (276). Deswegen solle die Konsequenz gezogen werden, keine "Ereignisse der Geschichte als eindeutiges Handeln Gottes zu qualifizieren" (144; vgl. 276). Genauer: "Es kann unter der (dann freilich zwischen Juden und Christen umstrittenen) Voraussetzung der Offenbarung Gottes unter dem Gegenteil [276: "offenbarungstheologisch"] in der Geschichte Jesu Christi nicht mehr gestattet sein, irgendwelche Ereignisse der Geschichte als eindeutiges Handeln Gottes zu qualifizieren" (144).

Das Problem ist jedoch vielschichtiger, schon bei Euseb selber. Denn ohne Rekurs auf "die Geschichte Jesu" kann Euseb Jesus nicht als den Christus Gottes, der der Menschen Retter ist, erweisen, wie er es durch seine Auslegung des Alten Testaments gegen die Juden tut. U. hat sich nicht befriedigend auf die Berechtigung der Auslegungsmethode Eusebs eingelassen (trotz Kap. 5.2.3). Außerdem hat es U. in seiner Darstellung der Christologie und der Soteriologie versäumt, das Leiden und den Tod Jesu in Eusebs Deutung einzubeziehen; das Kapitel X der Demonstratio evangelica ist ausgespart.

Euseb konnte das Christentum durch das Evangelium charakterisieren, indem er 2Kor 5,19 zitierte (programmatisch P. e. I 1,8). Wie gelangte er zum Inhalt der Erlösung? Und wie eng hängt damit die Verknüpfung der jüdischen Ablehnung des Christus mit dessen Tod zusammen? Der knappe Verweis (211) auf den "theologisch unsinnigen Herrenmordvorwurf" (144) reicht nicht aus.

Die Arbeit zeichnet sich durch gute Lesbarkeit aus; alle altsprachlichen Zitate sind in verständliches Deutsch übertragen. Es ist eine kirchengeschichtlich zuverlässige Arbeit, die dem jüdisch-christlichen Dialog dienen kann.