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Ausgabe:

März/2000

Spalte:

297–299

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Schambeck, Mirjam

Titel/Untertitel:

Contemplatio als Missio. Zu einem Schlüsselphänomen bei Gregor dem Großen.

Verlag:

Würzburg: Echter 1999. XII, 473 S. gr.8 = Studien zur systematischen und spirituellen Theologie, 25. Kart. DM 58,-. ISBN 3-429-02095-6.

Rezensent:

Gert Haendler

Die Arbeit hat 1998 als Dissertation der Katholisch-theologischen Fakultät Regensburg vorgelegen. Nach einem Überblick über Gregor und die Gregor-Forschung wird als Aufgabe formuliert, "das Verständnis von Contemplatio bei Gregor dem Großen zu erarbeiten" (13). Der Begriff könnte sich "als renovierendes Element für die Theologie allgemein und die Dogmatik im besonderen erweisen" (14). Grundlage sind primär die 35 Bücher Moralia; aber auch andere - zumal exegetische - Schriften Gregors werden herangezogen, ebenso die Dialoge: Benedikt von Nursia war ein "Homo contemplativus", dessen "Lebensgeschichte das verdeutlicht, was in den Moralia theoretisch als Contemplatio beschrieben wurde" (16).

Kap. 2 beschreibt Gregors kontemplative Anthropologie: Sie wurzelt im Herzen des Menschen und kulminiert im Christusereignis. Kap. 3 "Gregors Gottesbild" (156-177) folgen die Kapitel "Zugänge zu Gottes Geheimnis" und "Die Antwort des Menschen auf Gottes Geheimnis". Kap. 6 "Contemplatio als Missio" fasst zusammen: Contemplatio ist ein "Ereignis, das eine Spannung ausdrückt, die durch die Dichotomie von Schöpfer und Geschöpf zustande kam, und nur dort in Eigentlichkeit geschieht, wo diese nicht einseitig aufgelöst wird". Im Christusmysterium wird klar, "daß Contemplatio als Gottesbegegnung stets die Missio auf das Geschaffene inhäriert, wie auch umgekehrt das Geschaffene an die Missio des Sohnes gebunden bleibt, um zu Gott zurückzufinden" (354).

In dem systematischen Aufbau kommen auch historische Zusammenhänge vor. Bei Aussagen zur "Unveränderlichkeit und Unermeßlichkeit Gottes als Aussageweisen für Gott" kommt Gregors Umwelt in den Blick: "Völkerwanderung, politische Destabilisierung, der Übergang von der Antike zu einem Zeitalter, dessen Konturen sich erst abzeichneten, weckten zwangsläufig das Gefühl von Unsicherheit und Orientierungslosigkeit. Die Suche nach etwas Unveränderlichem, das mitten in einer Situation, in der alles im Fluß ist, einen festen Standpunkt ermöglichte, war damit ebenso für Gregor ein Motiv seiner Theologie" (161). Häufiger werden rein geistesgeschichtliche Linien gezogen. Die Einleitung stellt fest, Gregor werde "als Augustinusschüler verstanden, der mehr oder weniger gekonnt das augustinische Erbe dem Mittelalter überliefert". Es wird gefragt, ob "nicht noch andere Theologen auf ihn Einfluß nahmen und zwar in weit höherem Maß als bis jetzt vermutet wurde. Es muß zumindest ansatzweise untersucht werden, welche Rolle die östliche Theologie im Werk Gregors spielte, und wie damit Contemplatio bei ihm eine andere Kontur erhält, als bislang angenommen wurde" (19). - Als Beispiel seien Worte Gregors zur Sehnsucht als Urbewegung des Herzens genannt, die Augustin nahestehen. Im Osten gilt Gregor von Nyssa auf diesem Gebiet als der hervorragendste Theologe. Zitate von ihm sind beim römischen Gregor freilich nicht gefunden worden, aber die Autorin spricht die Vermutung aus, Gregor könnte in seiner Zeit als päpstlicher Gesandter in Konstantinopel Gedanken Gregors von Nyssa kennen gelernt haben (71).

An manchen Punkten wird freilich gerade römische Tradition als wirksam erwiesen: Kapitel 2 "Der Inkarnierte als Konvergenzpunkt der gebrochenen Welt und der Wirklichkeit Gottes" beginnt mit einem Hinweis auf den Lehrbrief Papst Leos I. an Flavian. Gregor "bemüht sich, die Balance zwischen Gott- und Menschsein Christi zu halten und folgt eng der Christologie des Tomus Leonis" (102). Gregor zog aus Leos Gedanken Folgerungen für die Anthropologie: Das Christusereignis ist "das Paradigma, an dem abzulesen ist, was Menschsein bedeutet und wie es sich verwirklichen läßt ... Die Fülle des Christusmysteriums wird zum befreienden Ereignis für den Menschen und dadurch auch zum Anspruch an ihn. Was Contemplatio für den Menschen ist, bleibt deshalb an die Frage gekoppelt, wer Christus ist und was er für den Menschen bedeutet" (103).

Beim Stichwort imitatio Christi wird an eine alte christliche Traditionslinie erinnert: "Bei den Apostolischen Vätern und den frühen Apologeten war die Interpretation Christi als Exemplum beliebt. Sie findet sich bei späteren Autoren wieder, die beispielsweise bei Ambrosius, Augustinus und Leo dem Großen. Schließlich wird sie zur Basis des soteriologischen Modells, das das Christusgeschehen als Paideia versteht und die gesamte griechische Patristik durchzieht"(133 f.). Geistesgeschichtliche Linien können auch in spätere Jahrhunderte führen: Zu Anselm von Canterbury (122) und sogar zu Martin Luther (62, Anm. 257).

Das Schlusskapitel "Contemplatio als Missio" nimmt die Frage nach Gregors Traditionen noch einmal auf und verweist auf Gregors Nähe zu den Mönchstheologen Evagrius und Cassian (355). Aber Gregor unterscheidet sich auch von diesen beiden Vätern: "Wie sie charakterisiert er zwar Contemplatio einerseits als Aufstieg, modifiziert aber diese Vorstellung in verschiedener Hinsicht. Contemplatio ist bei Gregor nicht auf eine bestimmte Stufe eingegrenzt, die den Höhepunkt aller vorausgegangenen Etappen darstellt. Er knüpft hier vielmehr an die Akzentuierung an, die schon Cassian vorgenommen hatte" (360). Gregor vertrat keine lineare Konzeption. Contemplatio war für Gregor eine eher spiralförmige Bewegung, "zum einen konzentrisch akzentuiert, insofern Contemplatio die Begegnung des Menschen mit Gott in Fülle bezeichnet und als solche alle anderen Weisen der Gotteserfahrung durchdringt und ausrichtet, und zum anderen aszendentisch angelegt, insofern der Mensch durch das Ereignis der Contemplatio in eine immer größere Nähe zu Gott erhoben wird" (361).

Ein Exkurs über die Viso Benedicti (Dial. 2,35), die als "verdichtete Aussage über Contemplatio" gedeutet wird (368-412), die Abschnitte "Charakteristika der Contemplatio" (412-435), "Anthropologische Konsequenzen der Contemplatio" (435-444), und "Die Contemplatio im Eschaton" (444-447) beenden das Buch. Die Besinnung auf die Contemplatio wird auch für Gespräche unter den Religionen als ein verbindender Gesichtspunkt empfohlen (448-451).