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Ausgabe:

Dezember/1998

Spalte:

1180–1182

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Kleine, Christoph

Titel/Untertitel:

Honens Buddhismus des Reinen Landes: Reform, Reformation oder Häresie?

Verlag:

Frankfurt/M.-Berlin-Bern-New York-Paris-Wien: Lang 1996. XIII, 427 S. 8 = Religionswissenschaft, 9. Kart. DM 108,-. ISBN 3-631-49852-7.

Rezensent:

Rainer Flasche

Diese in Marburg als Dissertation entstandene Untersuchung stellt einen wichtigen Beitrag zur japanischen Religionengeschichte dar, denn er schließt eine wesentliche Lücke in den Forschungen über die durch religiöse Aufbrüche gekennzeichnete Kamakura-Zeit (1185-1333), die man auch als eine der fruchtbarsten Epochen des japanischen Buddhismus bezeichnen könnte.

Der Vf. schließt mit seiner Untersuchung nicht nur eine schmerzliche Lücke in der westlichen Forschung, wobei er für die "völlig unangemessene Mißachtung Honens, etwa gegenüber Shinran und Dogen" (3) einmal die geringere Größe der "Schule des Reinen Landes" angibt, zum anderen aber vor allem darauf verweist, daß Honen im Gegensatz zu anderen Schulgründern nahezu keine handschriftlichen Aufzeichnungen seiner Gedanken hinterlassen hat, sondern das vorhandene Material zum größten Teil aus Aufzeichnungen der frühen Anhänger besteht. Dies bedeutet aber des weiteren, daß der Vf. hier eine ausführliche und tiefgreifende, an den unterschiedlichsten Quellen orientierte Untersuchung vorlegt, wobei es vor allem darum geht, diesen buddhistischen Denker des japanischen Mittelalters aus seiner Zeit heraus zu verstehen. Diesen in meinen Augen ausgesprochen wesentlichen wissenschaftstheoretischen Ansatz zieht er in seinem gesamten Buch durch und erreicht in vollem Umfang, was er sich vorgenommen hat: 1. "Das Leben und das Denken Honens als einer historischen Persönlichkeit so zuverlässig und sorgfältig aufzuarbeiten, wie dies die Quellenlage und der Stand der bisherigen Forschung zulassen (3); und 2. das religiöse Denken Honens so weit wie möglich zu rekonstruieren und ihn dabei so oft wie möglich selbst zu Wort kommen zu lassen" (3). Ziel ist es letztendlich, Honens religionsgeschichtlichen Stellenwert unter religionssystematischen Gesichtspunkten zu bestimmen, wobei im Mittelpunkt der Überlegungen die Frage steht, ob Honen als Reformator oder Häretiker anzusehen ist.

Nach einer kurzen Einleitung zur (vor allem) westlichen Wissenschaftsgeschichte und der Aufdeckung des gängigen Klischees, bietet das zweite Kapitel Honens Lebensgeschichte im Spiegel früher Biographien, vor allem aus der Perspektive seiner Anhänger. Dies bildet aber gleichsam nur die Einstimmung auf das umfangreichste dritte Kapitel, in dem K. den Versuch unternimmt, die historischen Fakten aus dem hagiographischen Material zu rekonstruieren und diese in Bezug zu Honens Lehre und religiöser Praxis zu setzen. Folgerichtig behandelt das vierte Kapitel dann Honen aus der Perspektive seiner Gegner und breitet deren religiöse Kritik, aber auch apologetische Polemik vor dem Leser aus. Daran schließt sich mit dem fünften Kapitel eine kurze Darstellung der Entwicklung der Nembutsu-Bewegung nach dem Tod Honens an, in der sich die gesamte Spannbreite jeder "neuen religiösen Bewegung" zeigt: Verfolgung, Spaltung und schließlich Stabilisierung. Dabei wird der Leser letztendlich auch auf das heutige japanische religiöse Szenarium verwiesen, wobei Honen vor allem in den Jodo-Denominationen noch wirkt bzw. nachwirkt und nicht zuletzt auch hier zu weiteren neuen religiösen Entwürfen anregt.

Im sechsten Kapitel schließlich folgt der Versuch einer religionssystematischen Einordnung Honens auf Grund des bis dahin erarbeiteten religionsgeschichtlichen Materials. Hier wird eine zuvor schon angerissene Diskussion erneut aufgenommen und zu ihrem Abschluß gebracht, der Einschub auf S. 151 ff. nämlich "3.6.2. ’Sekten’ und ’Schulen’: Versuch einer religionswissenschaftlichen Unterscheidung", wobei der Vf. hier in wesentlichen Zügen Joachim Wach folgt, indem er fünf Kriterien formuliert, die zutreffen sollen, eine religiöse Gruppe als "Sekte" zu bezeichnen: 1. die Annahme eines eigenen Organisationsprinzips; 2. Berufung auf eine charismatische Autorität als Ersatz für die Tradition; 3. Freiwilligkeit und Bekenntnischarakter der Mitgliedschaft; 4. selektiver Charakter der Lehrinhalte und religiösen Übungen (Reduktionismus und Exklusivismus); 5. Vorrang von Intensität gegenüber Universalität. Während K. festhält, daß die Punkte 3-5 auf die Nembutsu-Gemeinde zutreffen, entwickelt er sechs Kriterien innerhalb des Kontextes des japanischen Buddhismus, die den Zusammenhang der ersten beiden Punkte aufzeigen, und kommt so zu dem Ergebnis, daß zumindest Honen selbst nicht an einer Sektengründung gelegen war, es wohl auch kaum zu seinen Lebzeiten zu einer solchen Sektenbildung kam. Deshalb wird Honen letztendlich religionensystematisch als Häretiker und mit guten Gründen nicht als Reformator eingestuft, dessen historische Leistung darin bestanden hat, "die Kluft zwischen dem volkstümlichen Nembutsu-Glauben der einfachen Menschen und der ungebildeten Wanderasketen auf der einen Seite und dem traditionellen buddhistischen Lehrsystemen auf der anderen Seite geschlossen zu haben" (347 f.).

Kritisch ist vielleicht anzumerken, daß der Vf. nicht so recht zwischen Definition und Charakteristik zu unterscheiden vermag, was sich sowohl in der "Sektendiskussion" zeigt als auch insbesondere bei seiner "Definition" von Häresie (328), die eine umfangreiche Charakteristik darstellt.

Insgesamt gesehen liegt uns eine sehr akribisch gemachte religionshistorische Untersuchung auf der Basis der Originalquellen zu Honens Leben und Lehre und damit zum Buddhismus des Reinen Landes vor, die entscheidenden Einfluß auf die weiteren Forschungen in Bezug auf die japanische Religionsgeschichte vor allem im Westen haben wird. Dankenswerterweise ist neben einigen Quellen im Anhang dem Buch ein ausführliches Register beigefügt, sowie eine fast 40seitige Bibliographie, die man durchaus als "versteckte Bibliographie" bezeichnen kann. Es handelt sich also um ein nicht nur für Spezialisten der japanischen Religionsgeschichte, sondern für alle, die an der quellenmäßigen Erforschung von Religionen interessiert sind, sehr lesenswertes Buch, einschließlich einiger überlegenswerter Anregungen auch für die religionssystematischeForschung.