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Ausgabe:

März/2000

Spalte:

287–289

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Luomanen, Petri

Titel/Untertitel:

Entering the Kingdom of Heaven. A Study on the Structure of Matthew’s View of Salvation.

Verlag:

Tübingen: Mohr 1998. XIII, 343 S. gr.8 = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 2. Reihe, 101. Kart. DM 118,-. ISBN 3-16-146940-2.

Rezensent:

Reinhard Feldmeier

Bei dem Buch handelt es sich um die überarbeitete Fassung einer bei H. Räisänen geschriebenen Dissertation. Deren urspünglicher Titel "Works and Salvation in Matthew’s gospel" zeigt die Intention der Arbeit: Es geht um die für das Verständnis des Matthäusevangeliums zentrale Frage, wie sich die in Christus geschehene Erlösung zu dem im ganzen Evangelium immer wieder eingeforderten Handeln als Kennzeichen der Jüngerschaft und Bedingung für den Eingang ins Reich Gottes verhält. Insofern geht es um nichts weniger als um ein "overall picture of Matthew’s view of salvation" (V).

Die Arbeit besteht aus drei Hauptteilen. Ein einleitender Teil gibt zunächst einen Überblick über die Deutungsversuche der matthäischen Soteriologie im 20. Jh., vom Autor immer wieder auf die Frage des Verhältnisses von Gnade und Leistung, von "Indikativ" und "Imperativ" zugespitzt. Die dabei deutlich zu Tage tretenden Schwierigkeiten, diese beiden Aspekte des Evangeliums in einem widerspruchslosen theologischen Konzept zu vereinigen, veranlassen L., neu anzusetzen und nach der zugrundeliegenden Struktur ("pattern") der matthäischen Soteriologie zu fragen. L. schließt sich dabei in seinen methodologischen Überlegungen an E. P. Sanders Konzept einer "Holistic Comparison of Patterns of Religion" an, das nicht von einzelnen Ideen oder Vorstellungen ausgeht, sondern nach den Bedingungen für die Hinwendung zu einer Religion ("getting in") sowie für das Verharren in dieser ("staying in") fragt, also eine funktionale Fragestellung der Wissenssoziologie als hermeneutischen Schlüssel wählt.

Im zweiten Hauptteil, der gut zwei Drittel des Buches umspannt, exegesiert L. die einschlägigen Passagen des Evangeliums unter den genannten Gesichtspunkten "getting and staying in", näherhin 1. "in the Kingdom", 2. "in the Company of Jesus" und 3. "in the Community of Matthew". Jede dieser Einheiten gliedert sich wieder in vier Unterabschnitte: Der Einführung in Aufbau und Stellung der jeweiligen Perikope folgt zunächst eine sorgfältige literarkritische und redaktionsgeschichtliche Analyse. Darauf basiert die Interpretation des Textes, gefolgt von einer abschließenden Darstellung des jeweils vorliegenden Verständnisses von Erlösung. Der Vf. kombiniert dabei bewusst die eher diachron orientierte Fragestellung der klassischen historisch-kritischen Methode mit Zugangsweisen, welche die Textebene (narrative approach) und die Interaktion zwischen (impliziertem) Autor, Text und (impliziertem) Leser berücksichtigen.

Ein dritter Teil - mit "Synthesis" überschrieben - systematisiert die gewonnenen Einsichten zunächst als Reflex historischer Gegebenheiten ("The Real Life of Matthew’s Community"), dann als Ausdruck der matthäischen Theologie ("Matthew’s Symbolic Universe").

Eine besondere Rolle spielt dabei die Beziehung der matthäischen Gemeinde zum zeitgenössischen Judentum, dessen Soteriologie L. im Anschluss an Sanders als "covenantal nomism" versteht. Nach L. partizipieren der jüdisch geprägte Evangelist und seine Gemeinde an diesen Vorstellungen, wobei sie sich aber zugleich aufgrund der sozialen Trennung gegenüber dem sich nach 70 neu formierenden Judentum profilieren und dessen Traditionen exklusiv für sich reklamieren. Sanders Deutung des Judentums wird also von L. konsequent auf Matthäus angewandt und dessen Soteriologie und Ekklesiologie im "framework of covenantal nomism" gedeutet. Damit kommt er zu einer neuen Sicht, die er in den Einzelexegesen ausführlich begründet: Die Gemeinde ist für ihn nicht ein corpus mixtum, dem noch die Scheidung bevorsteht. Vielmehr richten sich die kritischen Sätze v. a. gegen diejenigen, die außerhalb der Gemeinde stehen - in erster Linie gegen das pharisäisch geprägte Judentum, aber auch gegen urchristliche ,Falschpropheten’, die in die Gemeinde eindringen. Die Gemeinde selbst hingegen ist durch die Erwählung konstituiert - eine Erwählung, die allerdings im Gegensatz zum jüdischen Selbstverständnis durch Jesus Christus geschehen ist und durch die Taufe vermittelt wird. Dadurch ist die Gemeinde eine "privileged group in respect to salvation" geworden (127). Auch die Gemeinderede mit ihrem deutlich erkennbaren Bestreben, unwürdige Mitglieder aus der Gemeinde zu entfernen, spricht nach L. eindeutig dagegen, die Gemeinde des Matthäus nur zu verstehen "as a mixed body of good and bad members which waits only for the last judgement in order to get rid of the bad ones" (260). Dies hat unmittelbare Konsequenzen für die Soteriologie: "As regards Matthew’s view of salvation, this means that there surely has been some degree of ’Heilsgewissheit’ in his community" (260). In diesem Interpretationsrahmen versteht L. dann auch Worte wie Mt 5,20 nicht mehr als Konditionierung der Gnade, sondern als Aufforderung zur Antwort auf Gottes erwählende Zuwendung.

Im Blick auf das Verhältnis von Indikativ und Imperativ kommt L. so zu dem Ergebnis, dass in den theologischen Voraussetzungen des Evangeliums (symbolic universe) eindeutig der Indikativ vorrangiger Erwählung dominiert. Auf dieser für ihn selbstverständlichen Basis hat er nun bei seiner Darstellung der Botschaft Jesu die Verpflichtung auf den Gehorsam gegen den in der Tora niedergelegten Willen Gottes ins Zentrum gerückt.

Man kann sicher an diese Auslegung kritische Anfragen haben. Dies betrifft zum einen die Voraussetzungen: Sanders Deutung des zeitgenössischen Judentums durch die Kategorie des ’covenantal nomism’ erhält fast schon kanonische Dignität (so dass sich die Auslegungsgeschichte in die Zeit vor und nach Sanders teilt). Was die Exegese anlangt, so kann L. zwar einige Texte überzeugend anders interpretieren. Dennoch bleibt kritisch anzumerken, dass der warnende, ja drohende Ton, den das Evangelium eben nicht nur gegen Außenstehende, sondern auch gegenüber Mitgliedern der christlichen Gemeinschaft immer wieder anschlägt, nicht hinreichend berücksichtigt ist. Ein bezeichnendes Beispiel ist etwa Mt 22,11-13, das Kurzgleichnis von dem Menschen ohne hochzeitliches Gewand, das klar auf Mitglieder der Gemeinschaft zielt. Das gibt zwar auch L. zu, aber er relativiert dies doch in einer Art und Weise, wie dies aufgrund des Kontextes der Episode nicht nachvollziehbar ist: Im vorausgehenden V. 10 betont ja der Evangelist ausdrücklich, dass zu der Hochzeit "Gute und Böse" geladen sind, was man wegen des Hochzeitsbildes wohl kaum, wie L. es tut (175), allgemein auf das Jüngste Gericht beziehen kann. Dazu kommt, dass im abschließenden V. 14 eine eindeutige ekklesiologische Verallgemeinerung des im Bild geschilderten Einzelfalles stattfindet, der das in der vorausgehenden Parabeltrilogie geschilderte Gericht am jüdischen Gegenüber auch zu einer Möglichkeit der Christen werden lässt. Von daher stellt sich die Frage, ob nicht auch die Zweischneidigkeit anderer Texte wie Mt 5,20 in L. s Auslegung zu sehr abgemildert wird.

Trotz dieser Einwände bleibt festzuhalten, dass diese gründliche und eigenständige Studie ein durchaus gelungener Versuch ist, gewohnte Selbstverständlichkeiten in Frage zu stellen und neues Licht auf die matthäische Soteriologie und Ekklesiologie zu werfen. Die weitere Diskussion wird an L.s Arbeit nicht vorbei gehen können.