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Ausgabe:

März/2000

Spalte:

265–269

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Dietrich, Walter

Titel/Untertitel:

Die frühe Königszeit in Israel. 10. Jahrhundert v. Chr. Rudolf Smend zum 65. Geburtstag in Dankbarkeit.

Verlag:

Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 1997. 312 S. m. 15 Abb. gr.8 = Biblische Enzyklopädie, 3. Kart. DM 44,-. ISBN 3-17-012332-7.

Rezensent:

Stefan Timm

Für die Einzelbände der Biblischen Enzyklopädie ist jedem Verfasser als Konzept vorgegeben, dass er in seiner Darstellung vier Gesichtspunkte zu berücksichtigen hat. Er hat 1. das biblische Bild der jeweiligen Zeit nachzuzeichnen, 2. die Geschichte der Zeit darzustellen, 3. die Quellen über die jeweilige Zeit zu erörtern und 4. deren theologischen Ertrag zu erheben (vgl. Vorwort, 11). Im vorliegenden Band stellt sich D. dieser Aufgabe für die frühe Königszeit in Israel (dass er im Titel Judah nicht nennt, ist sonderbar, obwohl er die Geschichte des Südreiches Judah im 10. Jh. v. Chr. ebenso behandelt wie die des Nordreiches).

Im Aufbau seiner Darstellung versucht der Vf., den Vorgaben gerecht zu werden. Dabei zeigt sich schon unter I "Das biblische Bild der ersten Könige Israels", dass es nicht ein Bild gab, sondern nur voneinander abweichende, konträre Einzelbilder, vgl. I.1 "Facetten der nach- und innerbiblischen Wirkungsgeschichte", I.2 "Das Bild der Epoche in den Chronikbüchern", I.3 "Das Bild der Epoche im deuteronomistischen Geschichtswerk", das noch weiter untergliedert ist (1 "Von der vorstaatlichen zur staatlichen Zeit", 2 "Die Periodisierung der frühen Königszeit" und 3 "Die Spiegelung des frühen Königtums im Fortgang der Königszeit") und einen besonders ausführlichen Unterabschnitt: I.4 "Das Bild der Epoche nach den vordeuteronomistischen Quellen" (33-93). Insgesamt umfasst dieser erste Teil (13-93), der nur die vielfältigen biblischen Bilder der Epoche nachzeichnet, ohne schon die Frage anzugehen, wieweit denen eine historische Realität entsprach, 80 von 302 Seiten der Gesamtdarstellung!

Dabei kommt im Rückgang von der Gegenwart bis zu den alttestamentlichen Quellen vielerlei zur Sprache: moderne Romane, musikalische Werke (J. Kuhnaus Sonate "Der von David vermittels der Musik curirte Saul" von 1700 mit Abb. 15), Glasfenster aus der mittelalterlichen englischen Selby Abbey (vgl. zu beidem auch 282 ff.), die Überlieferung des äthiopischen Kebra Nagast, die Synagoge von Dura-Europos, neutestamentliche Traditionen, Jesus Sirach usw., bevor die Darstellung der Chronik (16-18) und des deuteronomistischen Geschichtswerkes (18-33) entfaltet werden. Es lag an der Vorgabe (1), allein das biblische Bild der frühen Königszeit nachzuzeichnen, wenn der Vf. ungesagt lassen musste, dass über die jüdisch-christliche Überlieferung hinaus David und Salomo ja auch im Qoran noch von Bedeutung sind. Für die zukünftigen Teile der Enzyklopädie sollte den Verfassern der Einzelbände zugestanden werden, die Vorgabe 1 weitherziger auszulegen.

Die Vorgabe 2 (s. o.) nötigte den Vf., seinen Entwurf der Geschichte der frühen Königszeit darzubieten (II [mit vielen Unterpunkten], 94-201), obwohl erst danach eine Erörterung der literarischen Quellen zu geben war, die den vorangehenden Entwurf jedoch schon auf jeder Seite prägen. So ist es ein Kompromiss, wenn D. im ersten Teil (I.4) kurz auf die literarische Quellenlage eingeht, sie aber erst viel später (III "Die Literatur über die frühe Königszeit") breit entfalten und vertiefen kann, womit Redundanzen zwangsläufig wurden (vgl. 282 ff.). Im Vorgriff auf seine spätere Argumentation zu den vor-deuteronomistischen. Quellen geht D. (33-93) an den einschlägigen alttestamentlichen Texten entlang (I.4.1 "Das Bild Samuels" [wie auch im folgenden mit weiteren Untergliederungen], I.4.2 "Das Bild Sauls", I.4.3 "Das Bild Davids" und I.4.4 "Das Bild Salomos") und lässt sich von ihnen das Gerüst seiner späteren Darstellung geben. Dem vorausgeschickt ist aber noch ein Kapitel (II.1 [mit weiteren Unterpunkten] 94-148), in dem das Verhältnis zwischen "Biblische(r) Geschichte und Ereignisgeschichte" ausführlich zur Sprache kommt. Hier werden Fragen erörtert wie die, was nach biblischem Zeugnis und heutigem Verständnis "historisch" meint (95 ff.), wie das Verhältnis von Geschichte und Glaube zu bestimmen sei (100 ff.) und welche Bedeutung Vor- und Rückschlüsse sowie Analogien für eine heutige Geschichtsdarstellung haben (104 ff., 108 ff.). Unter der Überschrift II. 1.3 "Materiale Zeugnisse aus der Eisen-IIA-Zeit" werden zuerst die architektonischen "Großfunde" besprochen und in Grundrisszeichnungen dargeboten, die dank archäologischer Arbeit in Gibea =? Tell el-Ful, Ziklag =? Tell es-Seba’, Hebron, Jerusalem, Tamar =? ’En Hasava, Geser, Hazor, Megiddo u. a. zu Tage kamen und von den Ausgräbern der Zeit Sauls, Davids und Salomos zugeordnet worden sind. Die Aufnahme archäologischer Zeugnisse in eine Geschichte Israels ist sehr zu begrüßen. Dass dahinter das große Opus von Frau H. Weippert steht, ist vermerkt. Wissbegierige können dort die früheren Stadien und späteren Entwicklungen der materialen Kultur nacharbeiten.

Da nach dem alttestamentlichen Zeugnis die Entstehung des Königtums in Israel und Judah nicht in den Städten ihren Ausgang nahm, sondern im Bergland, folgt noch ein Abschnitt II.1.3.2 "Siedlungsstrukturen auf dem Land und die Staatenbildung" (127-133), der sich an I. Finkelsteins Thesen orientiert.

In Nachfolge A. Alts stellt D. die Entstehung des israelitischen Königtums unter Saul unter den Aspekt der Bedrohung der Berglandbewohner durch die Philister, womit z. B. der Ammoniterfeldzug Sauls (1Sam 11*) ausgeklammert wird (vgl. 99 "wenn dieser denn stattgefunden hat", cf. 194)1. Die wirtschaftlichen Zwänge der Bergbewohner, die sich nur gen Westen, in die Sefela hinab, ausbreiten konnten, hätten unausweichlich zu einer Konfrontation mit den Philistern und schließlich zum institutionalisierten Königtum und damit zum israelitischen Staatswesen führen müssen.

Nach 2Sam 23,142 haben die Philister auch in Bethlehem einen Wachtposten gehabt. Obwohl also der philistäische Druck auf das judäische Bergland kaum geringer war als der auf das israelische führte das nicht zu einem eigenständigen Königtum in Judah, sondern zu einem Königtum Davids von philistäischen Gnaden in Ziklag. Bei vergleichbaren Ausgangsbedingungen nahm die Entstehung des Königtums in Israel einen völlig anderen Verlauf als in Judah, wobei es offensichtlich David war, der - aufgrund des vorgängigen israelitischen (und philistäischen!) Königtums - später dem judäischen Königtum eine neue Dimension gab (vgl. Vf., 160).

Entgegen D. könnte man aus den Belegen zu "Haus Israel" oder zu gbu-l Yis’ra-’e-l auch folgern, dass es im Norden schon vor der Einführung des Königtums Strukturen gegeben hat, die supratribaler, aber substaatlicher Art waren. Wenn es bei D. heißt, Judah habe sich als politische Größe erst unter David herausgebildet (160), so stehen dem vergleichbare Belege zu "Haus Judah" entgegen (vgl. noch negeb Yhu-da-h).

Die Belege für das eine wie für das andere hängen mit dem so schwer zu fassenden Übergang von tribalen zu staatlichen Strukturen zusammen. Wenn es denn so war (109), dass von den Völkern auf dem Boden Cis- und Transjordaniens die Philister "zuerst zur Staatenbildung geschritten sind", was besagt in diesem Kontext ein Begriff wie "Staat"? Nach den alttestamentlichen und späteren assyrischen Texten hatten die Philister in jeder ihrer großen Städte einen König, ohne in einem Einheitsstaat zu leben. Wenn die alttestamentlichen Texte aber z. B. auch den Amalekitern ein Königtum zuschreiben, die Amalekiter sich aber nie in einem Staat formierten, dann war "Staatenbildung" nicht nur im Rahmen eines (Einheits-)Königtums möglich und umgekehrt ein Königtum nicht immer Ausdruck einer sich vollziehenden Staatenbildung. Als A. Alt seinerzeit Begriffe wie Staatenbildung, Stadtstaat, Territorialstaat, Personalunion u. ä. in die Darstellung der Geschichte Israels einführte, berief er sich auf damals anerkannte Definitionen. Inzwischen sind diese Begriffe abgenutzt und sollten - so schwierig das auch sein mag! - neu erläutert werden.3 Gleiches gilt für Kanaanäer. Nach A. Alt soll bekanntlich der Gegensatz zwischen Kanaanäern (D. schreibt überall Kanaaniter) und Israeliten die Entstehung des Königtums und dessen spätere differente Ausgestaltung im Nordreich (= charismatisch)4 und im Südreich (kanaanäischer Stadtstaat Jerusalem = dynastisch) bestimmt haben. Inzwischen hat aber N. P. Lemche deutlich gemacht, wie problematisch der Begriff Kanaanäer inner-alttestamentlich ist.5 Wenn keines der Samuelbücher den Begriff "Kanaanäer" jemals benutzt, dann sahen die alttestamentlichen Quellen über die Anfänge des Königtums an der Stelle überhaupt keinen Gegensatz, wo die Theorie A. Alts meinte, ihn als fundamental postulieren zu müssen. Die Theoriebildung über die Anfänge des Königtums in Israel und Judah muss hier neu einsetzen.

Abgesehen von Schoschenks Liste palästinischer Ortsnamen und dem Fragment einer Inschrift dieses Pharao aus Megiddo, die D. beide nur sehr kurz behandelt (134-136, 197), gibt es aus den umliegenden Staaten für die Zeit des 11. und 10. Jh.s v. Chr. keine Nachrichten zu Israel und Judah. Dafür zieht D. aber die Tel Dan-Inschrift mit ihrer Nennung eines bytdwd für das 10. Jh. mit heran: "Es spricht eigentlich nichts dagegen ..., dass der Mann, den die Bibel ,Dawid’ nennt, eben der Dynastie- und Staatsgründer gewesen ist, auf den der Ausdruck bytdwd in der aramäischen Stele von Tel Dan Bezug nimmt" (141)6.

Neben die Darstellung der drei Könige, die D. (II.2) im Vergleich und Kontrast zueinander bietet, "Saul - David - Salomo: drei Herrschergestalten im Profil" (151-156), treten dann weitere Themen wie "Inthronisierung und Staatsstrukturen" (156-169), "Verwaltung und Abgaben" (169-175), "Wirtschaft und Soziales" (175-179), "Kultur und Geistigkeit" (179-182), "Kultur und Religion" (182-186), "Außen- und Handelspolitik" (187-189), "Armee und Rüstung" (189-193), "Äußere Feinde und Kriege" (193-198) und "Innere Spannungen und Bürgerkriege" (198-201). Schon diese Überschriften machen deutlich, daß D.s neuer Entwurf eben nicht nur eine Geschichte der ersten drei Herrscher ist, sondern unter Geschichte mehr begreift, als es üblich ist.

Das wird noch deutlicher im dritten Teil (III "Die Literatur über die frühe Königszeit"). Hier spürt man das Herz des Vf.s schlagen, indem er sich unter Berufung auf frühere Studien sehr breit mit den Thesen zur Entstehung der alttestamentlichen Texte in den Samuelisbüchern und zu Anfang des I. Königsbuches auseinandersetzt (202-273). Wie sich für D. die Entstehungsgeschichte der Einzeltexte und ihrer ersten Kompositionen darstellt, ist hier nicht darstellbar. In jedem Fall bleibt (248-253) trotz aller modernen Reduktionen ein beachtlicher Teil an Einzelstücken eines sehr frühen "Erzählkranz(es) vom Freibeuter David" (vgl. die tabellarische Übersicht 250).

Im letzten Teil schließlich (IV "Theologischer Ertrag" [274-302]) verhandelt D. Themen wie "Die frühe Königszeit und die biblische Geschichte", "Staat und Gottesherrschaft", "Erwählung und Verwerfung, Tragik und Glück", "Männer und Frauen", "Gewalt und Gewaltverzicht". Wie stark D. von unserer Zeit mitgeprägt ist, zeigt der Schluss seiner Darstellung (302): "Die biblische Darstellung der frühen Königszeit erschöpft sich somit nicht darin, die Spur der Gewalt ... zu verfolgen; sie zeichnet zwischenhinein ... Szenen der Gewaltbegrenzung und Gewaltvermeidung. Die Botschaft ist nicht zu überhören: Nicht auf dem Ausleben, sondern auf dem Überwinden der Gewalt liegt Verheißung".

Für das nützliche Buch, das D. vorgelegt hat, werden ihm alle seine Leserinnen und Leser herzlich danken.7

Fussnoten:

1) Bei H. Donner, Geschichte des Volkes Israel und seiner Nachbarn in Grundzügen, ATD, Ergänzungsreihe 4, 2. Aufl. (Göttingen 1995), S. 202 hieß es zum Kapitel 1Sam 11* noch "Hier steht der Historiker nun wahrscheinlich vor dem Urgestein der Überlieferung". Solange die Alttesta-mentler so extrem auseinandergehende Ansichten zum selben Text vertreten, ohne argumentativ zu begründen, warum sie das Berichtete einerseits als "Urgestein der Überlieferung" ansehen, andererseits als fiktive Erzählung, ist am Urteil der sog. Dekonstruktionisten mehr als das berühmte Körnchen Wahrheit, dass bislang die Historizität des Berichteten für keinen der alttestamentlichen Texte über Saul, David und Salomo erweisbar ist, von früheren Gestalten der israelitischen und judäischen Geschichte ganz zu schweigen.

2) Nach D. (194) wie der Text 2Sam 21,15-22 noch aus der Hebroner Zeit Davids herrührend, jedoch nicht von gleicher "historischer Präzision" wie etwa 2Sam 20,23-26 (ebd. 146).

3) Vgl. G. Buccelattis Kritik an Begriffen wie Stadtstaat, Territorialstaat u. Ä. (G. Buccelatti, Cities and Nations of Ancient Syria. SS 26, Roma 1967) und A. Malamats berechtigte Kritik an dem, was A. Alt mit "Personalunion" bezeichnet hatte (A. Malamat, Das davidische und salomonische Königreich und seine Beziehungen zu Ägypten und Syrien. Zur Entstehung eines Großreiches. SÖAW 407. Wien 1983). Die Kritik des einen wie des anderen weist D. weder zurück, noch wird sie weitergeführt. - Der heutigentags gern verwendete Begriff "Chiefdom" (vgl. Vf. 189, 193 u. ö.) bedarf im Kontrast zu "Staat" oder "Königtum" erst recht der Definition.

4) Es liegt ganz auf der Linie der Theorie A. Alts, dass D. auf T. Veijolas These (David und Meribaal, RB 85 [1978], S. 338-361 = ders., David. Gesammelte Studien zu den Davidüberlieferungen des Alten Testaments. SESJ 52, Göttingen, S. 58-83) nicht eingeht. Nach T. Veijola verschleiert die heutige Darstellung, dass es einen Saul- (nicht nur einen Jonathan-) Sohn Meribaal gegeben hat, womit von Anfang an im Nordreich das dy-nastische Königtum etabliert gewesen wäre.

5) N. P. Lemche, The Canaanites and Their Land, Sheffield 1991.

6) Die Literatur zu dieser Inschrift nimmt immer noch zu; für D. war noch nicht erreichbar P.-E. Dion, Les Araméens à l’âge du fer. Histoire politique et structures sociales, Études Bibliques NS 34, Paris 1997, mit allen Belegen für die Verwendung des Ausdrucks bt + Personenname für aramäische Dynastien und Staaten, wobei der Personenname auch eine fiktionale Größe meinen konnte (ebd. 192-196 zur Inschrift von Tel Dan). P.-E. Dion, a. a. O., 80-84, gibt auch eine Fülle von literarischen und archäologischen Angaben zur Geschiche der Kleinstaaten Beth-Rehob, Geschur, Maacha und Zobah, die D. (187 f., 196) kaum behandelt hat.

7) Das Buch enthält wenige Druckfehler. S. 117 muss die Beschriftung lauten Tell es-Seba’. Eine Bibelstelle 1Sam 11,25 (156) gibt es nicht, falls 11,15 gemeint sein sollte, so ist daraus nicht auf einen Vertrag zwischen Volk und König zu schließen. S. 157 sind die beiden hebräischen Wörter vertauscht. S. 168 ist der ägyptische Text zu benennen = ? Urkunden VII, 27,13. Dass das Königtum fest in Salomos Hand war, steht im MT und in der Lutherübersetzung in 1Kön 2,46 (nicht 3,1 [zu 205, 209]). Der griechische Text auf S. 231 Anm. 9 sollte mit Spiritus, Akzenten und Iota subscriptum versehen werden.