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Ausgabe:

März/2000

Spalte:

253–255

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Cross, Frank Moore

Titel/Untertitel:

From Epic to Canon. History and Literature in Ancient Israel.

Verlag:

Baltimore-London: John Hopkins Press 1998. XV, 262 S. gr.8. Lw. $ 54.-. ISBN 0-8018-5982-4.

Rezensent:

Klaus Koch

F. M. Cross, seit 1958 Professor für Hebräisch und Orientalische Sprachen an der Harvard-Universität, repräsentiert wie kein anderer das Erbe und den hohen Standard einer durch W. F. Albright inaugurierten amerikanischen Forschungsrichtung, welche die alttestamentliche Religion im Kontext der altorientalischen Kulturen zu begreifen sucht. Als einer der ersten Fachleute für die Qumran-Texte hat er bereits 1961 die Bedeutung dieser Funde für unsre Kenntnis der zwischentestamentlichen Zeit herausgearbeitet (dt. "Die antike Bibliothek von Qumran und die moderne biblische Wissenschaft", 1967). Ebenso intensiv wie dem Ausgang des Alten Testaments hat C. sich dessen Anfängen durch Vergleich vor allem mit ugaritischen Texten gewidmet und die Ergebnisse 1973 zusammengefasst: "Canaanite Myth and Hebrew Epic."

Mit "From Epic to Canon" fasst C. in sechs Kapiteln 12 Aufsätze zusammen, von denen 9 bereits zwischen 1973 und 1995 publiziert worden waren. Schon der Titel lässt den Anschluss an die früheren Veröffentlichungen erkennen. In der Tat erneuert C. seine dort vertretenen Thesen, indem neu aufgetauchtes Textmaterial herangezogen wird. - So vertritt C. seit langem die Meinung, dass die Tetrateuchquellen auf ein vordem mündlich überliefertes Nationalepos zurückgehen, von dem sich Reste in alten Gedichten wie dem Schilfmeerlied Ex 15 erhalten haben. Das geschieht jetzt wieder in I Epic Traditions of Early Israel. Durch die moderne Homerforschung sieht C. sich bestätigt. Das erlaubt ihm ein Zutrauen zur Historizität vieler Überlieferungen, wie es in Europa heute nur selten noch anzutreffen ist. "Proto Israel or the ’Mosaic group’ came into the land from the south ... they formed the nucleus around which the early Israelite league took shape" (51). Der Bundesgedanke hat von Anfang an dazugehört. Das jahwistische Werk aber stellt ein "propaganda work of the united monarchy" aus der Zeit Salomos dar (42).

Themen der Priesterschrift wendet sich II Priestly Lore and Its Near Eastern Background zu. Untersucht wird das Verhältnis altorientalischer Theo- und Kosmogonien zu Gen 1. Die Ex 25ff. vorgeschriebene Stiftshütte wird auf eine Kombination kanaanäischer Anschauungen vom Zelt Els und Tempel Baals zurückgeführt.

Eine Geschichte der hebräischen Prosodie entwirft III Studies in the Structure of the Hebrew Verse. Von Ugarit ausgehend, wird mit aufschlussreichen Einzelbeobachtungen den Wandlungen des Parallelismus membrorum und dem Verhältnis von Lang- und Kurzzeilen nachgegangen. Die Rekonstruktion eines geschichtlichen Verlaufs hängt jedoch an der chronologischen Ansetzung der entsprechenden Texte, wobei heute kaum zwei Alttestamentler noch übereinstimmen.

Der frühnachexilischen Zeit widmet sich IV Return to Zion. Neben einer Rekonstruktion der Statthalter- und Hohenpriesterliste werden in Auseinandersetzung mit S. Japhet und H. G. M. Williamson die Priorität des apokryphen 1/3 Esra und drei Entstehungsstufen des chronistischen Werkes aufgewiesen: Chr1 umfaßt die Chronikbücher einschließlich Esr 1,1-3,13, endet mit Grundlegung des zweiten Tempels. Chr2 erweitert um den 1/3 Esr erhaltenen Text, schließt also mit einer zusammenhängenden Esrageschichte. Chr3 gliedert um 400 v. Chr. das Nehemiabuch an und gibt dem kanonischen Esrabuch seine Gestalt.

Angesichts der gegenwärtigen Diskussion um den Kanon verdienen die detailreichen Ausführungen des Qumran-Experten in V Qumran and the History of the Biblical Text besonderes Interesse. C. gießt Wasser in den Wein einer Begeisterung über canonical shape und erneuert seine These von 1961 von den durch die Qumranfunde offenkundig gewordenen drei Textfamilien der Hebräischen Bibel um die Zeitenwende. Dazu gehörten im Pentateuch a) eine altpalästinische, im Samaritanus erhaltene Tradition, b) eine ägyptische, von der Septuaginta benutzte, aber auch in Qumran belegte Fassung und schließlich c) eine aus Babylonien stammende protomasoretische "Pharasaic-Hillelite Recension" (217). Für ihre Heilige Schrift haben dann die Rabbinen für die einzelnen Bücher auf Handschriften unterschiedlicher Herkunft und Güte zurückgegriffen; für den Pentateuch fiel ihnen ein "superb text", für Samuel dagegen eine ziemlich korrupte Vorlage in die Hände.

Zu einem Kanon sind die als autoritativ erachteten Schriften erst allmählich zusammengestellt worden. Von einem solchen kann weder in Qumran noch im vorchristlichen Alexandrien die Rede sein. Die genaue Folge der Bücher und Teile, etwa die Stellung der Späten Propheten vor oder nach den Hagiographen, blieb bis ins Mittelalter fließend. Um jede promakkabäische Tendenz auszuschließen, wurden alle nach Nehemia entstandenen Bücher ausgeschlossen; die Einbeziehung von Daniel und Ester bleibt allerdings "most mysterious" (224).

Abschließend erläutert VI Typology and Historical Method die Analyse von Keramik- und Schriftarten - dafür der Begriff "Typologie" - als Kriterien für chronologische Festlegungen in der Geschichtsforschung.

In keinem dieser Kapitel ist C. genötigt, von früher aufgestellten Theorien wesentlich abzuweichen; er kann sie durch eine Menge neuer Daten stützen. Von den in den letzten Jahrzehnten aufgekommenen kontroversen Entwürfe zur Geschichte Israels und der gegenwärtig verbreiteten Spätdatierung alttestamentlicher Schriften wird jedoch so gut wie keine Notiz genommen. So wird gegen Ende des Jahrhunderts noch einmal eindrucksvoll herausgestellt, was bereits in seiner Mitte den Konsens vieler amerikanischer Alttestamentler dargestellt hat. Damals hatte sich die Schule um Albright noch in einem tiefen Gegensatz zu der deutschen Richtung um A. Alt, M. Noth und G. v. Rad gesehen. C. neues Buch mit seinen alten Thesen lässt im Abstand der Jahrzehnte wie angesichts neuer Problemfelder in der Bibelwissenschaft erkennen, dass der durch den Ozean signalisierte Graben damals doch nicht so groß gewesen sein konnte.