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Ausgabe:

März/2000

Spalte:

251–253

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Betz, Hans Dieter

Titel/Untertitel:

Antike und Christentum. Gesammelte Aufsätze IV.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 1998. X, 309 S. gr. 8 Lw. DM 168,-. ISBN 3-16-147008-7.

Rezensent:

Friedrich W. Horn

Hans Dieter Betz, seit 1978 Shailer Mathews Professor of New Testament Studies an der University of Chicago, ist der theologischen Fachwelt bekannt als Herausgeber der 4. Auflage der RGG. Die Neutestamentler kennen ihn als Präsident der Society of Biblical Literature und der Societas Novi Testamenti Studiorum sowie durch seine anregenden Studien zur Rhetorik des Galaterbriefs und durch einen dicken Kommentar zur Bergpredigt, um nur weniges Wichtiges zu nennen. B. lehrt und forscht seit 1963 in den USA.

Alle wesentlichen seitdem erschienenen Arbeiten sind in die deutsche Sprache übersetzt worden. Die Aufsätze von B. allerdings werden in ihrer Vielzahl und wissenschaftlichen Breite nicht insgesamt der Fachwelt bekannt sein. Daher muss man dem Verlag Mohr Siebeck dankbar sein, dass er 1990 den ersten Band der Gesammelten Aufsätze veröffentlichte, dem 1992 und 1994 die Bände 2 und 3 folgten, und nun im Jahr 1998 der vierte Band (vgl. zu Bd. 1-3 meine Besprechungen in: ThLZ 116, 1991, 424-427; 119, 1994, 21-23.1075-1077).

Jeder Band steht in einer thematischen Zuspitzung: Hellenismus und Urchristentum (I); Synoptische Studien (II); Paulinische Studien (III); Antike und Christentum (IV). Präzise und ausführliche Register helfen der Leserin und dem Leser, jeden dieser Bereiche aus der Fülle der einzelnen unterschiedlichen Aufsätze, aber eben immer in der Perspektive von B. wahrzunehmen.

Für sie ist dreierlei kennzeichnend: a) B. kann sich auf eine breite Kenntnis der althistorischen und theologischen Forschungsgeschichte sowie der allgemeinen Wissenschaftsgeschichte, vor allem auf die Zeit der Forschung des 19. Jh.s beziehen. Man überprüfe dies einmal an denjenigen Forschernamen, die im Register aufgeführt werden, und vergleiche den Seitenhinweis mit den Ausführungen im Text des 4. Bandes. b) B. hat eine souveräne Kenntnis der antiken Religions- und Geistesgeschichte. Dies kommt schon in der Dissertation aus dem Jahr 1961 über Lukian von Samosata und das Neue Testament zum Ausdruck, setzt sich fort in einer Untersuchung über den Apostel Paulus und die sokratische Tradition (1972) oder in der von B. verantworteten englischen Ausgabe der Papyri Graecae Magicae (1992), um wieder nur das Wichtigste zu nennen. Die Jahreszahlen sollen andeuten, dass die religionsgeschichtliche Arbeit für B. von Anfang an ein Kontinuum der neutestamentlichen Exegese war. c) B. pflegt, was mit der Wertschätzung der hellenistisch-jüdischen Literatur gegeben ist, die philologische Grundlegung exegetischer Arbeit.

Nehmen wir diese drei Aspekte zusammen, dann ergibt sich eine Programmatik, die B. in dem Beitrag über Eduard Norden und die frühchristliche Literatur (78-99) wie folgt umreißt:

"Wissenschaftlich gesehen sind die Fachgebiete innerhalb der Altertumswissenschaft aufeinander angewiesen. Die im Verlaufe des zwanzigsten Jahrhunderts eingetretene Isolierung einzelner Fachgebiete hat sich aufs Ganze gesehen als nachteilig erwiesen. Isolierung bedeutet immer, wie Norden schon richtig gesehen hat, fortschreitende intellektuelle Atropie ... Die von Norden und anderen geforderte und praktizierte gegenseitige Anregung und Befruchtung, die durch den Austausch unter den Fachgebieten innerhalb der Altertumswissenschaft gewährleistet ist, steht nach wie vor als Aufgabe vor uns" (99).

Zehn Aufsätze des vierten Bandes der Gesammelten Studien sind zwischen 1991 und 1998 (Klappentext enthält eine falsche Angabe) erschienen, drei weitere Beiträge waren bisher unveröffentlicht. Nahezu alle Studien wurden als Hauptvorträge auf großen internationalen Symposien, Jahrestagungen oder eben als Presidential Address gehalten, was den wissenschaftlichen Stellenwert dieses Bandes nochmals unterstreicht. B. gruppiert die Beiträge in vier Schwerpunkten und schließt mit einem Vortrag über Antiquity and Christianity, einer Presidential Address des SBL Meeting aus dem Jahr 1997, ab. Innerhalb der mit diesem Titel benannten Forschungsthematik ,Antike und Christentum’ sollen, dem Vorwort zufolge (VII), "alle in diesem Band vereinigten Arbeiten verstanden werden" (vgl. hierzu auch die Ausführungen von Hans Dieter Betz in Art.: Antike und Christentum, RGG I4 , 542-546).

Der erste Schwerpunkt widmet sich Studien zum historischen Jesus. B. setzt mit einer Besprechung des berühmten Satzes Julius Wellhausens aus der Einleitung in die drei ersten Evangelien ein, Jesus sei kein Christ, sondern Jude gewesen. B. umreißt den forschungsgeschichtlichen Hintergrund des Satzes und unterscheidet seinerseits als Interpretationsmodelle eine ,interpretatio hellenistica’ von einer ,interpretatio judaica bzw. christiana’. In ’Jesus and the Cynics’ stellt B. die neuzeitlichen, von einem antijudaistischen Impuls getragenen, und die gegenwärtigen, den historischen Sachverhalt verzeichnenden Varianten dieses Jesusbildes vor und unterwirft sie einer grundlegenden Kritik.

Der erste Teil schließt mit einer Arbeit zur sog. Tempelreinigungsaktion Jesu. B. interpretiert die Texte in einer die Funktionen von Religion, hier die Funktion von Tempel und Tempelbau in der Antike, vergleichenden Perspektive. Die Aktion Jesu richtete sich nach B. nicht gegen den Tempel an sich, sondern gegen die für diesen Tempel stehenden Herodianer (73); vgl. dazu auch die These des letzten Beitrags des Bandes: "John the Baptist, Jesus, and his disciples clearly were on the side of the Jewish opposition against the representatives of Hellenism among the Jewish leadership ..." (273).

In dem zweiten Schwerpunkt werden Aspekte der Entstehung des Christentums behandelt. Nach einem wissenschaftsgeschichtlich lehrreichen Beitrag über ,Eduard Norden und die frühchristliche Literatur’ stellt B. in ’The Birth of Christianity as a Hellenistic Religion’ forschungsgeschichtlich bedeutsam gewordene Theorien zum Faktum der Hellenisierung des Christentums dar. Er zeigt die über frühe neuzeitliche Theorien bis in die antike Philosophie nachzeichenbare ideologische Überfrachtung der Fragestellung auf, wenn von Erfüllung, Betrug oder Verrat gesprochen wird. B. möchte mit der Bewusstmachung der Herkunft dieser Tendenzen den Weg zu einer adäquateren Beurteilung der Anfänge des Christentums ebnen. In religionsgeschichtlichen Beobachtungen zu Philostrats Heroicus geht B. der Frage nach, weshalb die frühe Christologie ihren Glauben nicht in Kategorien der hellenistischen Heroenverehrung ausdrückte, was vor allem in der Ablehnung eines Grabkultes zum Ausdruck kommt (150).

Ein dritter Schwerpunkt ist mit Arbeiten zur nichtchristlichen religiösen Welt der Antike besetzt. Zunächst drei Arbeiten zu den Papyri Graecae Magicae, speziell zum Problem der Geheimhaltung in den PGM, sodann zu dem in ihnen erhobenen Anspruch des Magiers, sich verwandeln zu können, und schließlich zu einem Sonderfall der Iatromagie, nämlich der magischen Behandlung der Uterusprobleme. Gerade der letztgenannte Beitrag macht in der konkreten Gestalt der Iatromagie auf eine Fülle von Querverbindungen zwischen dem paganen Mesopotamien, Judentum und Christentum aufmerksam. Dieser Teil schließt mit einem kleineren Beitrag zum Verhältnis von Hermetik und Gnosis, dargestellt an CH 1.

Der vierte Schwerpunkt führt zum Neuen Testament zurück, zunächst durch einen Aufsatz zur Lehre vom Menschen in den orphischen Goldplättchen. Sie wurden als geheime Memoranden dem eingeweihten Mysten mit ins Grab gegeben und gehören zu den wenigen Zeugnissen, die über religiöse Erfahrungen und Erwartungen in einem antiken Mysterienkult Aufschluss geben (223). B. konstatiert nach einer informativen Einführung in die Thematik Analogien bei Paulus und in der Gnosis (242). Hier spricht B. allerdings etliche Auffälligkeiten nur an, die weiterer Erarbeitung bedürften. Dieser vierte Schwerpunkt wird abgeschlossen durch einen Aufsatz zum Thema ’Paul between Judaism and Hellenism: Creating a Space for Christianity’. Es geht B. um das Ausloten dieses ’between’, welches bei Paulus in einem eschatologischen, von Christus eröffneten Raum zum Ausdruck kommt, aber auch als Aufgabe, neue Rituale und neue soziale Strukturen in den Gemeinden zu begründen. "For the most part, developing these new structures was part of Paul’s apostolic ministry" (263).

Der die Gesammelten Aufsätze IV abschließende Beitrag über ’Antiquity and Christianity’ bietet zunächst einen instruktiven und im Urteil ausgewogenen Überblick über das Thema, ausgehend von dem Neuen Testament und der patristischen Periode über die byzantinische Zeit, Renaissance, Humanismus und Reformation, Rationalismus und Neuhumanismus bis ins 20. Jh. Hierbei geht es um die Auseinandersetzung des Christentums mit der antiken Welt, wie sie sich in Auseinander- und Ineinandersetzung vollzogen hat, und um die jeweilige Bewertung dieses Sachverhalts. Diese Thematik ist für B. keineswegs eine Antiquität (VII), im Gegenteil! B. schließt mit der nicht ohne Pathos vorgetragenen Hoffnung, "that the study of antiquity and Christianity may again provide criteria of interpretation and conduct for a world that is in danger of losing all meaning and measure" (290).

Das Buch ist wie auch die vorangegangenen Bände der Gesammelten Aufsätze mit einem hilfreichen Register ausgestattet. Den kleinen Druckfehler (96 Anm. 95) halten der Rez. und sicher auch der betroffene Kollege für verzeihlich.