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Ausgabe:

Februar/2000

Spalte:

217–219

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Bohne, Jürgen, Adam, Gottfried, u. Rüdeger Baron [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Evangelische Schulen im Neuaufbruch. Schulgründungen in Bayern, Sachsen und Thüringen 1989-1994.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1998. 319 S. m. 16 Abb. gr.8. DM 58,-. ISBN 3-525-61357-1.

Rezensent:

Wilhelm Gräb

Das Interesse an Privatschulen bzw. Schulen in freier Trägerschaft (vor allem Montessori-Schulen, Waldorfschulen, auch katholischen Schulen, die es im Vergleich mit evangelischen Schulen ungleich zahlreicher gibt) nimmt zu. Die Unzufriedenheit vieler Eltern mit den öffentlichen Schulen in staatlicher Trägerschaft hat viele Gründe, auf die am Rande auch in vorliegendem Band eingegangen wird. Vorrangig geht es in diesem Band um die Dokumentation von Neugründungen evangelischer Schulen in Bayern, Sachsen und Thüringen. An den Schulgründungen, die vorgestellt werden, war jeweils die evangelische Schulstiftung in Bayern beteiligt. Die bayrische Schulstiftung trat unterstützend auch Initiativen zur Seite, die seit 1989 gerade in den neuen Bundesländern nach Möglichkeiten zum Aufbau evangelischer Schulen Ausschau hielten.

Die für die Evangelische Schulstiftung in Bayern (die ihre Zuständigkeit außerhalb Bayerns 1994 an die neu errichtete Schulstiftung in der EKD abgegeben hat) verantwortlich Tätigen (R. Baron und J. Bohne) geben zunächst einen ausführlichen Überblick über acht, 1989-1994 erfolgte evangelische Schulgründungen. Sie informieren über die erheblich differenten Gründungsmotive. Diese reichen von dem evangelikalen Interesse an einer entschieden christlichen, auf einer einheitlich-geschlossenen Wertebasis dem weltanschaulichen Pluralismus bewusst entzogenen Konfessionsschule, über die Intention bildungsbürgerlicher Kreise nach gymnasialer und humanistischer Bildung, bis hin zu reform- und sozialpädagogischen Ansätzen, die gerade auch das interkulturelle Lernen und die ökumenische Offenheit betonen. Keine der drei Grundorientierungen, so wird gesagt, komme irgendwo in reiner Form vor. Die Konzepte und die Schritte zur Realisierung der Schulgründungsprozesse werden von Baron und Bohne im Blick auf jede einzelne der neu gegründeten Schulen differenziert rekonstruiert.

Außerdem schildern die an den Schulgründungen vor Ort Beteiligten (Pfarrer/innen, Lehrer/innen, Kommunalpolitiker) ihre Motive und Erfahrungen. Ebenso nehmen die für die beteiligten Landeskirchen Verantwortlichen Stellung. Sie artikulieren die schul- und bildungspolitischen Interessen der Landeskirchen, die Wünsche, welche die Eltern an einer guten Schule in Trägerschaft der evangelischen Kirche erkennen lassen, die Erfahrungen, welche die Durchsetzung eines solchen Projekts in den Zeiten des politischen und gesellschaftlichen Umbruchs nach 1989 mit sich brachten. Schließlich analysieren die Vertreter der Schulstiftung, Baron und Bohne, noch die Rolle des Schulträgers bei der Gründung und Entwicklung evangelischer Schulen. Es wird die Bedeutung erläutert, die das Schulkonzept bei den Genehmigungsverfahren hat, wie man sich mit der staatlichen Schulaufsicht ins Benehmen zu setzen hat, vor allem auch wie die Genehmigungsverfahren je nach Bundesland unterschiedlich geregelt sind und welche Finanzierungsmöglichkeiten gefunden werden können. Dieser Teil des Buches dürfte vor allem für weitere Schulgründungsinitiativen sehr hilfreich sein.

Abschließend werden die dokumentierten neuen Entwicklungen im evangelischen Schulwesen in eine praktisch-theologische und religionspädagogische Theoriediskussion gestellt. M. Schreiner, G. Adam, F. Schweitzer und Ch. T. Scheilke versuchen auf der Basis der im Band präsentierten Erfahrungen und Programme die aktuellen Neugründungen evangelischer Schulen in historische Dimensionen einzuordnen und den Beitrag kritisch zu bewerten, der mit diesen Schulen im Blick auf die allgemeine schulpolitische Diskussion und schulpädagogische Praxis erbracht wird. Dabei fällt vor allem in dem Beitrag von M. Schreiner auf, wie schwer es offensichtlich ist, das spezifisch Evangelische an evangelischen Schulen zu beschreiben. Die im Band dokumentierten Gründungen, so gibt Schreiner zu, verraten "kein einheitliches bildungstheoretisches oder bildungspolitisches Konzept ... - wie es beispielsweise bei den katholischen und anthroposophischen Schulen der Fall ist" (178). Schreiner sieht das evangelische Profil der evangelischen Schulen darin, dass er sagt: "Das Besondere dieser Schulen besteht einzig und allein in der kontinuierlichen Suchbewegung nach der Gestaltwerdung der libertas christiana im alltäglichen Erziehungs- und Bildungsgeschehen." (180)

Demgegenüber betont F. Schweitzer zu Recht, dass die Erziehung zu verantwortlicher Freiheit, zu Selbstbestimmungs-, Handlungs- und Solidaritätsfähigkeit zu den allgemeinen Bildungszielen gehört, auf die programmatisch alle Schulen im öffentlichen Bildungswesen verpflichtet sind. Es sei deshalb erst einmal darauf zu sehen, ob und wie evangelische Schulen dieses Programm, das gar kein sie besonders profilierendes ist, einlösen. Es wäre in zukünftigen empirischen Untersuchungen zu prüfen, ob sie den allgemeinen Ansprüchen an humane Bildung durch die Praxis von Unterricht und Erziehung auf besondere Weise gerecht werden. Schweitzer bemerkt zutreffend, dass das Besondere evangelischer Schulen, somit auch ihr Profil nicht in den inhaltlichen pädagogischen Zielsetzungen zu suchen ist (diese sind allgemein geworden und gehören der öffentlichen Schule in staatlicher Trägerschaft mit ihren ja doch zahlreichen evangelischen Lehrerinnen und Lehrern gleichermaßen), sondern dass sie die Quellen ausdrücklich machen, welche diese humanen Zielsetzungen im christlichen Menschenbild haben. Das spezifische Profil evangelischer Schulen, so betont Schweitzer, liegt in der Ausdrücklichkeit, die sie den religiösen Sinndimensionen, den Fragen der Lebens- und Weltanschauung, den Werten und Normen, der Gottesthematik verschaffen. Sie geben - jedenfalls dem Programm nach - diesen Fragen Gewicht. Sie artikulieren und diskutieren (nicht allein im Religionsunterricht), was im öffentlichen Schulwesen und auch in der allgemeinpädagogischen Diskussion eher unausdrücklich bleibt, zu wenig Aufmerksamkeit und Beachtung findet: Religion und Kultur in der ganzen Ambivalenz ihres Verhältnisses. Darin liegt der besondere Beitrag evangelischer Schulen zur allgemeinen Bildung und Erziehung junger Menschen, ihr besonderes Profil, mit dem sie in die allgemeinpädagogische Diskussion förderlich eingreifen.

Dem Buch ist ein ausführlicher Dokumentenanhang beigegeben, in dem die Schulprogramme der neugegründeten evangelischen Schulen nachgelesen werden können und über staatliche Finanzhilfen für allgemeinbildende Schulen in Bayern, Sachsen und Thüringen informiert wird. Das Buch ist ein Ratgeber für alle, die sich für die Gründung und Weiterentwicklung evangelischer Schulen interessieren. Es gibt darüber hinaus der bildungspolitischen, pädagogischen und religionspädagogischen Diskussion über die Kriterien und konstitutiven Faktoren einer guten Schule wichtige Anregungen, in genau dem Sinne, dass zu einer guten Schule eben auch die pädagogische Aufmerksamkeit auf die religiöse Sinnthematik gehört.