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Ausgabe:

Februar/2000

Spalte:

207–210

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Groh, Ruth

Titel/Untertitel:

Arbeit an der Heillosigkeit der Welt. Zur politisch-theologischen Mythologie und Anthropologie Carl Schmitts.

Verlag:

Frankfurt/M.: Suhrkamp 1998. 314 S. 8 = Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, 1383. Kart. DM 22,80. ISBN 3-518-28983-7.

Rezensent:

Mathias Eichhorn

Der Feind sei die eigene Frage in Gestalt, so ein von Carl Schmitt aufgegriffener Satz Theodor Däublers. Die eigene Frage ist für gewöhnlich die Frage danach, wer man ist. Für Ruth Groh stellt Carl Schmitt diese Frage ohne Zweifel dar, gleichwohl G. den Satz über den Feind als eigene Frage bei Carl Schmitt gerade nicht im identitätsstiftenden Sinne verstanden wissen will. Für Schmitt fordere der Feind nämlich zum Kampf heraus, und daraus folge: "Die eigene Frage ist nichts anderes als die Machtfrage" (68). So wie aber dem Machtbesitz der Machtkampf vorausgehe, so gehe der Frage Quis judicabit ? logisch die Frage Quis interpretabitur? voraus, denn der Kampf werde auch um Begriffe geführt. Schmitt sei ein Meister darin gewesen, Begriffe zu besetzen und in seinem Sinne zu politisieren. G. unterstellt Schmitt eine theologische Grundhaltung, d. h. seine politische Theologie beschränke sich nicht alleine darauf, eine Strukturverwandtschaft zwischen theologischen und juristischen Begriffen zu behaupten, sondern er vertrete auch eine appellative politische Theologie; sie herauszuarbeiten ist G. bemüht.

Dabei folgt sie Hans Blumenberg und Heinrich Meier. Sie beleuchtet besonders die sich wandelnde Hobbesrezeption Schmitts von den dreißiger Jahren an bis in die sechziger Jahre. Beide, Hobbes und Schmitt, eine, dass sie Nominalisten gewesen seien, und besonders für Schmitt gelte: "Der Kampf um Begriffe wird auf dem Boden einer nominalistischen Sprachtheorie geführt, die die Existenz des Allgemeinen bestreitet und Wörter und Namen je nach politischer Lage auf voluntaristische Weise mit Bedeutung versieht mit dem Ziel, eine ,Wende’ herbeizuführen" (273). In seinem Frühwerk habe Schmitt zwar noch begriffsrealistisch argumentiert und das Recht von der Macht als unabhängig betrachtet, aber schon da sei von ihm ein Naturrecht ohne Naturalismus vertreten worden, das dem Menschen eine Würde von Natur aus bestreite. Nach 1918 habe Schmitt aber ungehemmt den Primat der Macht vor dem Recht propagiert. Diametral stünden sich Hobbes und Schmitt freilich im Verständnis dessen gegenüber, was für Hobbes die Friedensformel zur Beendigung des konfessionellen Bürgerkriegs gewesen sei, that Jesus is the christ. Bei Hobbes formuliere dieser Satz den Minimalkonsens zwischen den sich gegenüberstehenden konfessionellen Bürgerkriegsparteien als öffentliches Bekenntnis, dessen Auslegung alleine den privaten Gewissen überlassen bleibe. Abgesehen davon, dass Schmitt in diesem Gewissensvorbehalt die Einbruchstelle gesehen habe, von der aus der mächtige Leviathan des Thomas Hobbes zur Strecke gebracht worden sei, sei die grundlegende Kritik Schmitts an Hobbes noch anders motiviert: "Hobbes Ziel ist der Friede, Schmitts Ziel die Auseinandersetzung, die Polemik, der Kampf, denn Frieden ist für ihn des Teufels" (269). Schmitts Feindschaft habe all den "Diesseitsaktivisten" gegolten, die die Machbarkeit irdischen Heils erstrebten, so dass er sich stets in den Dienst an der Arbeit an der Heillosigkeit der Welt gestellt habe, denn die heillose Welt gelte es für Schmitt in der Haltung hinzunehmen, wie die Gottesmutter sich als gehorsame Magd erwiesen habe.

Beeinflusst durch den Dichter Konrad Weiß und dessen marianischer Geschichtsauffassung habe Schmitt sich selbst als den christlichen Epimetheus stilisiert, letztlich auch einen epime-theischen Christus geglaubt, den er dem promethischen Christus, wie er etwa in der politischen Theologie der sechziger Jahre von Johann Baptist Metz oder Jürgen Moltmann verkündet worden sei, dem in seiner Sicht judenchristlichen Christus, gegenübergestellt habe. Der Glaube an eine Weltverbesserung basiere aber für Schmitt auf dem jüdischen Glauben, und die Hobbessche Friedensformel sei von ihm in eine Kriegserklärung umfunktioniert worden. Sein durchgehender Antijudaismus habe sich während des Dritten Reichs sogar in einen Antisemitismus gesteigert, er habe ihn sogar nach 1945 weiter vertreten.

So wie G. die Schmittsche Hobbesrezeption rezipiert, bleiben freilich Fragen offen. Als einen Schlüsseltext für das ideale Verständnis des Staates bei Schmitt betrachtet sie das "Hobbeskristall", eine von Schmitt der Neuveröffentlichung von "Der Begriff des Politischen" 1963 beigefügte Notiz, in der er die Logik der Hobbesschen Staatskonstruktion schematisch zur Darstellung zu bringen versucht: Die Frage, was das Bekenntnis Jesus is the christ bedeute, beantworte Hobbes mit auctoritas, non veritas facit legem. Eine potestas directa, die in der Lage sei, den einzelnen Menschen zu schützen, verkörpere die auctoritas und fordere den entsprechenden Gehorsam. Schmitt stellt sich nun die Frage, ob auch andere Gegensätze so neutralisiert werden können, d. h. ob die genannte Formel ersetzt werden könnte etwa durch "Allah ist groß", was er aber eher bezweifelt. G. dagegen glaubt, im theokratischen Herrschaftssystem des Iran eine Aktualisierung jener Art politischer Theologie ausmachen zu können, die Schmitt vertreten habe (21), obgleich sie in ihrer Untersuchung alles daransetzt nachzuweisen, dass es Schmitt gerade nicht um Frieden, sondern um Krieg gegangen sei. Es bleibt also unentschieden, ob Schmitt nun dem Hobbesschen Staatsideal anhing oder ein Prophet des Bürgerkriegs war, sich dem Leviathan oder dem Behemoth andiente.

Aber es bleibt darüber hinaus auch trotz des Argumentationsaufwandes von G. fraglich, ob es wirklich gelingen kann, aus dem Werk Carl Schmitts eine Theologie herauszudestillieren. Nicht ohne Grund greift G. vorwiegend auf das "Glossarium", auf Schmitts Tagebuchaufzeichnungen aus den Jahren 1947 bis 1951, zurück, die sie zum hermeneutischen Schlüssel für das Gesamtwerk Schmitts erhebt. Es scheint sich einmal mehr zu bestätigen, dass die Veröffentlichung dieses Tagebuchs nicht gerade zu einer Versachlichung der Schmittrezeption beigetragen hat.

Schmitt hat, was die Theologie betrifft, sich stets nur in Andeutungen geäußert und wohl auch viele falsche Fährten gelegt. Er hatte so wenig einen Theologiebegriff wie jene, die ihm eine Theologie unterstellen. Theologie, Religion, Weltanschauung und Metaphysik werden da als Begriffe oft synonym verwendet oder doch unzureichend voneinander abgegrenzt. G. formuliert etwa: "Nun ist nach Schmitt Metaphysik etwas Unvermeidliches, d. h. Weltanschauungen wie der eigene Antiliberalismus, der befeindete Liberalismus oder der Anarchismus sind unauflöslich mit dem Theologischen verknüpft" (12). Abgesehen davon, dass der Antiliberalismus keine Weltanschauung ist, sondern allenfalls die Grundlage für eine Weltanschauung bilden kann, ist Metaphysik für Carl Schmitt sicherlich nicht im Sinne einer Verknüpfung zu verstehen. Was ist hier das Theologische im Unterschied zur Theologie? Es scheint jedenfalls so, dass nicht nur Schmitt in diesen Zusammenhängen Nebelbomben warf, sondern dass mit einer ganzen Latte von Begriffen, die niemand mehr zu erläutern für nötig erachtet, in dieser Soße herumgefahren wird. Nun aber noch einmal zu dem Feindverständnis im Sinne einer Identitätsversicherung, denn wer über Schmitt schreibt, sagt oft mehr über sich als über Schmitt aus.

So lässt auch G. einen imaginären Kritiker gegenüber Schmitt einwenden- warum sie es nicht offen selber tut? -, dass Gegensätze nicht erst politisiert werden müssten, denn "Gegensätze religiöser, ökonomischer oder ethnischer Natur sind bereits ein Politikum, bevor sie sich derart intensivieren, daß sich Gruppen kriegsbereit als Feinde gegenüberstehen" (192). Welche Aussagekraft hätte dann aber der Begriff des Politischen dann noch, außer dass er alles bedeutete, was nicht Natur wäre? Weiter heißt es bei G., Schmitts Definition des Politischen als der Unterscheidung zwischen Freund und Feind könne von all jenen abgelehnt werden, die sich "einer Politik des Ausgleichs ... mit dem Streben nach vertraglich abgesicherter Kooperation und Partnerschaft" verpflichtet wüssten (193). Vor diesem Hintergrund wäre dann die Überwindung von Gegensätzen durch den gewaltlosen und herrschaftslosen Diskurs die Definition des Politischen, womit der Krieg zu einem unpolitischen Akt erklärt werden könnte; eine Vorstellung, die wohl dem heute oft zu hörenden Vorwurf zu Grunde liegt, im Falle eines militärischen Eingreifens habe die Politik versagt. Weiter schreibt G., dass zwar einzugestehen sei, dass der Mensch ein böses, gefährliches und riskantes Wesen sei, doch sie setzt fort: "Aber er ist auch ein gutes, d. h. soziales und kooperatives Wesen. Das jedenfalls lehrt die Erfahrung, dass er sowohl zum ,Bösen’ als auch zum ,Guten’ fähig ist" (206). Mit einer solch unentschiedenen Anthropologie lassen sich vielleicht noch gefahrlos die Kirchentage beider Konfessionen in Deutschland besuchen, aber schon nicht mehr Parteitage der Bündnisgrünen, wie der derzeitige Bundesaußenminister am eigenen Leibe hat erfahren müssen.

Interessant dagegen ist G.s Bemerkung, dass alle im Sinne Schmitts "echten" politischen Theorien eine voluntaristische Anthropologie voraussetzen: "Politische Theorien, die vom Primat des Willens vor der Vernunft ausgehen, definieren das ,Wesen’ des Menschen politisch" (281). Auch die von G. behauptete Nähe Schmitts zu Calvin verdient weiteres Interesse. Aber statt Schmitt nun in die Nähe eines Ignatius von Loyola zu rücken, bestreitet G. Schmitt, sowohl Katholik als auch Christ gewesen zu sein, und sie rettet sich aus dem Wirrsal der Begriffe in den der Mythologie; Schmitt sei ein Mythophant gewesen mit dem Ziel, Feindschaft zu stiften. Am Ende der neunziger Jahre wird so noch einmal versucht, Schmitt im Geiste der Linken der achtziger Jahre beizukommen. Bezeichnend ist dabei G.s Berufung auf Leo Strauss, der Hobbes und Schmitt wie folgt gegenübergestellt hat: Ersterer habe in einer illiberalen Welt die Grundlage des Liberalismus vollzogen, Schmitt dagegen in einer liberalen Welt den Liberalismus kritisiert. Kann man wirklich die Welt zwischen 1914 und 1945, die Zeit, in der Schmitt sein Denken entwickelte, eine liberale Welt nennen?

So bleibt nach Beendigung der Lektüre des Buchs von G. der Eindruck, es sei, entsprechend abgewandelt, auch hier zu sagen, was schon Hobbes einem seiner Kritiker antwortete, der vermeinte, er habe den Leviathan gefangen: Her Ladyship has catched nothing! Wer Schmitt erledigen will, wird sich doch anders mit dem Sachverhalt auseinanderzusetzen haben, den Schmitt nicht erfand, sondern vorfand, nämlich die Welt des Politischen. Und den Leviathan fängt man einer mittelalterlichen Deutung nach nicht anders als mit dem Kreuz als Angelhaken, d. h. mit einer theologia crucis als reißfesten Schnur.