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Ausgabe:

Mai/2019

Spalte:

501–503

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph

Titel/Untertitel:

›Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freyheit‹ und andere Texte(1809). Hrsg. v. Ch. Binkelmann, Th. Buchheim, Th. Frisch u. V. Müller-Lüneschloß.

Verlag:

Stuttgart-Bad Cannstatt: frommann holzboog 2018. X, 344 S. m. 3 Abb. = Historisch-Kritische Ausgabe. Reihe I: Werke, 17. Lw. EUR 296,00. ISBN 978-3-7728-2647-4.

Rezensent:

Georg Neugebauer

Der hier anzuzeigende Band enthält eine der berühmtesten und bis zum heutigen Tage am stärksten rezipierten Schriften des deutschen Idealismus: Friedrich Schellings Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freyheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände (1809). Diese Abhandlung erschien erstmals in Schellings Philosophischen Schriften, die neben der besagten Freiheitsschrift verschiedene, zuvor bereits veröffentlichte Arbeiten »meist idealistischen Inhalts« (25) umfasst und die dem »ideellen« Teil seiner Philosophie zuzurechnen sind. Dass die Freiheitsschrift hier eine Sonderstellung einnimmt, wird von Schelling in der Vorrede zu den Philosophischen Schriften ausdrücklich be­tont. Diese Vorrede ist in den hier anzuzeigenden Band ebenfalls mit aufgenommen und auf ihre Entstehungsgeschichte hin durchleuchtet worden. In ihr hält der Philosoph das mit der Freiheitsschrift verbundene, ambitionierte Ziel fest, »seinen Begriff des ideellen Theils der Philosophie mit völliger Bestimmtheit« (26) vorzulegen. Um dieses Ziel einlösen zu können, sei es – so lautet eine wegweisende Pointe – erforderlich, den »Gegensatz […] von Nothwendigkeit und Freyheit« (ebd.) zu entfalten. Mit dieser der Vorrede entnommenen Formulierung klingt eine Selbstkorrektur an, die Schellings identitätsphilosophischen Ansatz betrifft, demzufolge Freiheit und Notwendigkeit gerade keine Gegensätze darstellten.
Mit der Freiheitsschrift ist die Absicht verbunden, den gordischen Knoten des Pantheismus zu durchschlagen, was in diesem Falle bedeutet, die Immanenz aller Dinge in Gott und die gleichzeitige, reale Freiheit des Menschen zum Bösen zu begründen. Eine Schlüsselstellung besitzt in diesem Zusammenhang bekanntlich die berühmt-berüchtigte, spekulative Unterscheidung zwischen der Natur in Gott und dem göttlichen Selbst, die Schelling bereits innerhalb der Identitätsphilosophie veranschlagt hatte, jetzt aber auf die besagte Problemstellung anwendet. Werkbiographisch und wirkungsgeschichtlich von grundlegender Bedeutung ist der darauf aufbauende Umriss einer Offenbarungsgeschichte des Absoluten, in der das »Reich der Natur« und das »Reich der Geschichte« die Stationen der göttlichen Selbstexplikation sind.
Der dieser Schrift vorangestellte editorische Bericht informiert über deren komplexe Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte. Christoph Binkelmann, der sich den Fragen der Entstehungsgeschichte angenommen hat, führt in einem ersten Schritt das intellektuelle Feld vor Augen, innerhalb dessen dieses Werk entstanden ist. Diese Ausführungen legen – wie in der Schellingforschung üb-lich – ein besonderes Augenmerk auf den Einfluss Friedrich Heinrich Jacobis und Friedrich Schlegels, die aus unterschiedlichen Blickwinkeln und mit unterschiedlichen Interessen den Pantheismus kritisierten und damit indirekt auch den identitätsphilosophischen Standpunkt Schellings. Jacobi wie Schlegel nehmen eine Schlüsselstellung ein, wenn es um die Bestimmung der Motive geht, die Schelling zur Anfertigung der Freiheitsschrift veranlasst haben. Umfassender, als es bislang der Fall ist, gelingt es Binkelmann sodann, die Schriften zu bestimmen, die Schelling im Zuge seiner Ausarbeitung der Freiheitsschrift verarbeitet hat. Das ist nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, bisher unbekanntes Quel lenmaterial herangezogen zu haben. Das gilt allen voran für die sogenannten Collectanea Schellings, die sich in dessen Berliner Nachlass befinden. Diese Notizbücher enthalten Exzerpte von Schriften, die der Philosoph in der Entstehungszeit der Freiheitsschrift studiert hat. In den erklärenden Anmerkungen zur Freiheitsschrift fließen die Ergebnisse dieser Forschungsarbeit ein, indem sie die von Schelling verarbeiteten Schriften an den entsprechenden Stellen kenntlich machen und teilweise auch die entsprechenden Partien zitieren. In einem dritten, der Entstehungsgeschichte gewidmeten Schritt werden Schellings die Freiheitsschrift betreffenden Einträge im Jahreskalender aufgeführt und ausgewertet. Diese Angaben sind allein schon deswegen bemerkenswert, weil sie die einzelnen Arbeitsphasen sowie die damit verbundenen Schwierigkeiten in der Anordnung des Stoffs dokumentieren.
Nicht weniger interessant sind die Ausführungen von Thomas Frisch zur Rezeptionsgeschichte des Freiheitstraktats, die er in fünf Phasen einteilt. Der Schlusspunkt ist dabei mit dem Todesjahr des Philosophen gesetzt. Eine Auswahlbibliographie zur Rezeption der Freiheitsschrift zwischen 1830 und 1854 führt darüber hinaus wichtige und namhafte Autoren auf, die für die von Frisch in Angriff genommene Aufgabe einschlägig sind. Zumindest am Rande sei in diesem Zusammenhang Schellings Enttäuschung und Frustration der weitgehenden Nichtbeachtung seiner Untersuchung wegen erwähnt. Angesichts dessen, dass es sich bei der Freiheitsschrift um Schellings letzte große Publikation handelt, fällt eine – freilich schon bekannte – Aussage Schellings aus dem Juni 1809 ins Auge: »›Ich bin zwar nicht geneigt zu Fichteschem Mismuth; indeß wenn ich die schlechten Wirkungen manches Bestrebens […] sehe, kann ich doch irre werden und die Lust zu literarischer Thätigkeit verlieren.‹« (73)
Etwas ungewöhnlich erscheint auf den ersten Blick ein dritter Beitrag, der in den hier anzuzeigenden Band aufgenommen wurde. Er steht unter der Überschrift: »Carolines Grabstein im Kloster Maulbronn«. Diese Quelle ist die Inschrift auf dem Obelisken, der sich auf Caroline Schellings Grab befindet und die aus der Feder ihres Mannes Friedrich Schelling stammt. Der editorische Bericht von Vicki Müller-Lüneschloß geht auf die Umstände des Todes (7. September 1809) ein und entfaltet ein eindrucksvolles Panorama der vielfältigen und verschiedenen Reaktionen auf den Tod Caroline Schellings. Dementsprechend fallen die als Beilagen abgedruckten Quellen, die aus Anlass dieses Todesfalls entstanden sind, viel umfangreicher als die Inschrift aus. Diese Texte führen einmal mehr die gleichsam schicksalshafte Bedeutung Caroline Schellings für ihren Mann vor Augen, die bereits von Kuno Fischer ausführlich thematisiert wurde.
Neben den bereits erwähnten erklärenden Anmerkungen rundet das Register, das eine Bibliographie, Namen-, Orts- und Sachregister und eine Seitenkonkordanz umfasst, den Band ab. Dessen Zentrum bildet jedoch wie gesagt die Freiheitsschrift. Obgleich diese Schrift wie kaum ein anderes Werk Schellings erforscht ist, gelingt es dessen Herausgebern, sie durch die Auswertung neuen Quellenmaterials noch umfassender zu kontextualisieren, als es bislang der Fall gewesen ist. Schellings bis zum heutigen Tage faszinierende Antwort auf die alte Menschheitsfrage unde malum liegt damit in einer nach allen Regeln der Kunst edierten Fassung vor.