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Ausgabe:

Februar/2000

Spalte:

202–207

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Goldstein, Jürgen

Titel/Untertitel:

Nominalismus und Moderne. Zur Konstitution neuzeitlicher Subjektivität bei Hans Blumenberg und Wilhelm von Ockham.

Verlag:

Freiburg-München: Alber 1998. 328 S. 8 geb. DM 88,-. ISBN 3-495-47863-9.

Rezensent:

Philipp Stoellger

Es könnte sein, dass sich die neuzeitliche Subjektivität im Nominalismus und nicht gegen ihn entwickelte. Denn die neuere Nominalismusforschung hat insbesondere Ockham als einen der "Vorväter der Moderne" entdeckt (15, H. Krings). Damit würde ein begründeter Zweifel gestreut, ob die ,humane Selbstbehauptung’ sich gegen den Nominalismus konstituierte, wie Blumenberg meinte, oder ob sie nicht vielmehr schon in ihm am Werk war. "Dem Zusammenhang von Nominalismus und Moderne kommt - so oder so - eine epochengenetische Schlüsselstellung zu" (15). In seiner Untersuchung dieses Zusammenhangs geht es Goldstein "weder um eine Widerlegung Blumenbergs noch um eine Apologie Ockhams", sondern darum, "in dem Nominalismus Ockhams eine genealogische Tiefenschicht der Moderne zu erkennen", die es von einer leichtfertigen Nominalismuskritik verdeckt erst "noch zu entdecken gilt" (16). Aber der genannten Alternative wird er sich kaum gänzlich entziehen können, wenn sein erhellender Rückgang hinter Blumenbergs Neuzeitthese nicht ohne Folgen bleiben soll.

In einem ersten Teil erörtert G. den "Widerstand gegen den Nominalismus als Konstitutionsbedingung neuzeitlicher Subjektivität bei Hans Blumenberg" (17-143), in einem zweiten den "Nominalismus als Konstitutionsbedingung neuzeitlicher Subjektivität bei Wilhelm von Ockham" (145-293). Die Blumenberg-Studie gliedert sich in die Teile: "Die Analogie von neuzeitlichem Subjekt- und Epochenbewußtsein" (18-41), "Das Subjekt und die Hermeneutik des geschichtlichen Hintergrundes" (42-83), "Der theologiegeschichtliche Hintergrund der Neuzeit" (84-113) und "Die legitime Selbstbehauptung des Subjekts gegen den nominalistischen Gott" (114-143); die Ockham-Studie in die Teile: "Das Allgemeine und das Besondere" (146-175), "Die Allmacht Gottes und die Ordnung der Welt" (176-203), "Die allgemeine Erkenntnis des Besonderen" (204-223), "Von der Logizität der Welt zur Logik der Zeichen" (224-250) und "Ekstatische Faktizität: Facetten einer nominalistischen Welt" (251-293).

G.s Studie beginnt mit einem Anfang, dem vermeintlichen Anfang der Neuzeit bei Descartes, allerdings indem dessen verspätete Ernennung zur Gründerfigur in der Philosophiegeschichte des 18. und 19. Jh.s erzählt wird, als sich das emphatische Selbstverständnis erst ausbildete, in der Neuzeit als einer neuen Epoche zu leben (18 ff.). Für diese Selbstinszenierung sei eine "Analogie von Subjekt- und Epochenbewußtsein" konstitutiv (24): die Entdeckung des sich infallibel selbstgewiss bewussten Subjekts begründete die Epochenzäsur, wie sie in Descartes’ ,Konversion’ von 10.11.1619 zur Darstellung kam.

Damit einher ging die Abwertung des Mittelalters, das aber als nicht Überwundenes wiederkehrte in der philosophischen wie theologischen Mediävistik (25 ff.), die seit Gilson und Honnefelder auch den Nominalismus neu zu bewerten vermochte. Auf diesem Hintergrund loziert G. die Säkularisierungsdebatte des zweiten Drittels des 20. Jh.s, in der die Neuzeit in ihrer Genese aus dem christlichen Mittelalter zu verstehen versucht wurde (32). "Während sich die Mediaevistik ... endgültig von einer Perspektive löst, die auf eine normative Neuzeitkritik zielt, ... hebt die Säkularisierungsdebatte den Streit um die Neuzeit noch einmal auf das Niveau einer grundsätzlichen Stellungnahme zur Epoche" (34). Blumenberg wollte in diesem Streit die ,Legitimität’ der Neuzeit gegen den ,theologischen Absolutismus’ des Nominalismus dezidiert als eine "historische Kategorie" (LN 107) verstanden wissen, wodurch er die Kritik C. Schmitts auf sich zog, es handle sich bei dieser These allenfalls um den Erweis der ,Legalität’, weil es sich nur um einen Akt der ,Selbstermächtigung’ gehandelt habe, der zudem aus eben derselben Perspektive beschrieben werde (38). Dieser hermeneutische Zirkel von Blumenbergs Neuzeittheorie sei aber, so G., unvermeidlich, und die Legitimität die einer unvermeidlichen ,Reaktion’ (41). Die Pointe Blumenbergs liege so gesehen nicht in einer überzogenen Selbstrechtfertigung, sondern in einer raffinierten "Hermeneutik des geschichtlichen Hintergrundes" als Versuch, den retrospektiven Möglichkeitshorizont zu sichten, auf dem die Neuzeit erst verständlich werde (42 ff.). In dieser genealogischen Methode wird nicht mit einer Zäsur, sondern mit der ,Epochenschwelle’ operiert, die im Impliziten liegt, beispielsweise zwischen Cusanus und Bruno. Die Interpretationsfigur der Selbstbehauptung ist daher auch nicht emphatisch affirmiert, sondern (im Bewusstsein von deren Aporien) eine heuristische Kategorie aus dezidiert nicht mehr idealistischer (47 f., 120), sondern anthropologischer Perspektive (des Renaissancehumanismus 126 ff.).

"Sämtliche tragenden Begriffe" von Blumenbergs hermeneutischer Methode der Geschichtsphänomenologie seien, so G., im Rückgang auf Husserl zu entwickeln (49 ff.). Das zeigt sich prägnant an beider verschiedenen Einstellungen zur ,Lebenswelt’: War für Husserl ihre Entselbstverständlichung der emphatisch autonome Anfang der Philosophie, so für Blumenberg der Eintritt in die Kontingenz, die die "Selbsterhaltung des Subjekts aufnötigt" (58). Keinen absoluten Anfang also und keine Geschichte der Freiheit, sondern Vernunft bedeutet hier ",mit etwas - im Grenzfall: mit der Welt - fertig werden zu können" (56, Blumenberg). Die Figur des (nie gänzlichen) Lebensweltausgangs als Eintritt in die geschichtliche Kontingenz impliziert einen Geschichtsbegriff, der nicht mehr teleologisch verfasst ist, sondern antagonistisch resp. antiabsolutistisch: gegen die Indifferenz der Zeit geht es um "Gegengift gegen Kontingenz: Was ist, kann nicht gleichgültig sein, weil es gewesen sein wird" (65, Blumenberg). Hier muss G. denn doch über Husserl hinaus auf Heidegger eingehen, sofern Blumenberg ihm entgegen seine Umbesetzung von Subjektivität und Existenz entwickelt: die Anthropologie als "Fluchtpunkt ..., der über Husserl und Heidegger hinausführen sollte" (68, hier fehlen Landgrebe, die Ritterschule und Blumenbergs katholisch-theologische Hintergründe).

Am Beispiel der funktionalen Äquivalenz heterogenen Weltverhaltens in Mythos wie Logos als Unsicherheitsverminderung fungiert die Anthropologie als Hintergrund seiner "Problemgeschichte" (71) in Gestalt von Kultur-, Wissenschafts- wie Begriffsgeschichte. Die Metapher tritt in diesen Geschichten dort ein, wo Selbstbehauptung und Wirklichkeits,bewältigung’ versagen oder nie ans Ziel kommen können. Die Hintergrundmetaphorik sei (gegen Kuhn) die Ressource, aus der Neuorientierungen hervorgehen gegenüber einem Problemdruck, der als heuristische Kontinuität die Neuzeit an ihre Vorgeschichte rückbindet (76 f.). Die Perspektive einer historisch-genetischen Anthropologie fungiere dabei als Umbesetzung von Subjektivitätstheorie und Geschichtsphilosophie (77 ff.).

Im Weiteren stellt G. Blumenbergs Sicht der Theologiegeschichte von der Apokalyptik zur Gnosis über Augustin bis zum Nominalismus dar (84 ff., 91 ff., 97 ff.), ohne allerdings über den bisherigen Diskussionsstand hinauszugehen, und auch ohne Blumenberg durch eine differenziertere Sicht der Gnosis oder Augustins zu problematisieren. Dass im 14. Jh. dann eine Größe namens ,die Theologie’ zusammenbreche, wird daher nicht als mehr oder minder mythische Großgeschichte in Zweifel gezogen (vgl. aber Teil 2). Die Plausibilität dieses Versuchs, die Theologie ,zu Ende zu bringen’ (105 f)., hängt daher an sehr fraglichen Thesen zur Apokalyptik und der gnostischen Verarbeitung von Theodizee und Parusieverzögerung. Das Risiko, aber auch die tiefengrammatische Subtilität dieser Hermeneutik ,der’ Geschichte wird bei G. leider nicht eigens thematisch und nicht von Blumenbergs zweifelhaften materialen Thesen unterschieden (vgl. aber 103 ff.).

Nach der Erörterung des für Blumenberg aporetischen Verhältnisses von Heil und Freiheit im Nominalismus geht G. der ,Wiederholung’ dieser Problemlage bei Bultmann nach (106 ff.). Wollte dieser gerade die intrinsische Relation von ,Glauben und Verstehen’ aufweisen, wirft Blumenberg ihm ,Entscheidungspositivismus’ vor (107). Seine präsentische Eschatologie, die Existenzialanalyse und das ,welt- und geschichtslose’ Kerygma, das die "Marginalisierung der Historizität Jesu" bedinge, veranlasst Blumenberg, ihm "Doketismus" vorzuwerfen (110, mit LN 49; hier fehlt die Behandlung der ,Matthäuspassion’). Dass Bultmann aber gerade darauf insistierte, dass dem Hörer durch das Kerygma seine Existenz verständlich werde und Offenbarung so zum Verstehen führe, "verleitet" (!) Blumenberg dazu, mit Respekt (und impliziter Barthkritik) zu bemerken, "daß mit diesem Theologen noch - oder: wieder - gestritten werden kann" (110; PhR 2, 121). G. meint aber, dass es nach Bultmann keinerlei Vorbereitung auf den Glauben geben könne, der damit zur Voraussetzung des Verstehens werde, so dass "der Vernunft eine Ohnmacht zugemutet" werde (112), die die gestellte Vermittlungsaufgabe scheitern lasse. So findet er mit Blumenberg hier (leider) nichts als erneuten Nominalismus (113). Auch wenn hier zu Recht Probleme benannt sind, wird die Pointe Bultmanns, das Verstehen gerade als Bewegung des Glaubens zu verstehen, in gut katholischer Perspektive verspielt (vgl. 292). Der Mythos vom Ende der Theologie wird fortgeschrieben. Dass Blumenberg Theologie auch im Horizont der Neuzeit für möglich hält (etwa im Anschluss an Cusanus oder den ,biblischen Gottesgedanken’), ist G. keiner Erwägung wert (vgl. 121).

,Absolutismus und Widerstand’ ist das Modell, in dem die Selbstbehauptung analysiert wird, so dass deren Vernunft nicht spontan und autonom anfange, sondern ursprünglich provoziert und zur Antwort genötigt sei (115 f.) als "alternativlose Konsequenz" angesichts des "Gnadenvoluntarismus" (119). Der Rekurs auf das anthropologische Minimum der Selbstbehauptung (114 ff.) begründet die Legitimität der Neuzeit als deren Unausweichlichkeit angesichts des forcierten Ordnungsschwunds. Und der Abbau des Mythos von der ursprünglich anfangenden neuzeitlichen Subjektivität geht mit deren Umbesetzung durch den Renaissancehumanismus einher (129 ff.), allerdings nicht ohne Bewusstsein der Ambivalenz des neuzeitlichen Selbstverständnisses (135, 136 ff.). Denn wie Nietzsche zeigt, ging die Selbstbehauptung und -steigerung mit einem übertriebenen Pathos der Freiheit einher. Dieser absolute Selbstentwurf scheiterte unvermeidlich an der Indifferenz der Zeit uns gegenüber (139 ff., hier wäre Blumenbergs Einsicht in die "Sinnlosigkeit der Selbstbehauptung" auszuführen, LN 149).

Im zweiten Teil analysiert G. den Nominalismus am Beispiel Ockhams nicht unter dem "Leitbild der Destruktion" (147, gegen Blumenberg), sondern nimmt "eine genealogische Perspektive auf die Neuzeit ein", in der dessen "Innovationspotential" zum Tragen kommen soll (150; vgl. 195). Der Primat des Allgemeinen vor dem Besonderen, wie er von Platon über Aristoteles bis zu Plotin galt (151 ff.), wurde in der Patristik fortgeschrieben in Gestalt einer "Metaphysizierung des biblischen Gottesbegriffs" (160 ff.) als "Apologie des Monotheismus unter spätantiken Bedingungen" (163) und gipfelte in Eriugenas dialektischer Theologie mit dem bezeichnenden Ausfall einer Individualitätstheorie, wogegen sich der Einspruch des Nominalismus richtete (167 ff.). Den Anfang nahm dieser Einspruch bei Roscelin von Compiègne, der anhand der Selbstidentität der drei göttlichen Personen einen Ansatz zur Theorie der Singularität und Differenz entfaltete (173 ff.). Hier, wie bei seinem Schüler Abaelard, zeigt sich bereits der entscheidende Anspruch auf Intelligibilität und damit der humanen Vernunft auch in Fragen der Trinität (175).

Ockhams Kritik des theologischen Nezessitarismus sei in besonderer Weise differenzierte Metaphysikkritik, indem er die Themen und das Verfahren der Metaphysik kritisch versprachliche und perspektiviere (180 ff.). Dadurch werde der Begriff Gottes wie der des Wissens neu konzipiert, wobei der "Wahrung der absoluten Souveränität Gottes" die "Aufwertung der menschlichen Vernunft als dem Ort metaphysischer Wahrheit" entspreche (184). Die Nezessitarismuskritik motiviert den Rekurs auf Gottes Willen, während zugleich aber die Ordnung der Zweitursachen gewahrt bleibt (185 f.). Dadurch werde einerseits die Willkür abgewiesen, weil Gott seiner Potentia ordinata nicht widersprechen könne, andererseits ebendiese an seine freie potentia absoluta rückgebunden (186). Die Ordnung der Welt ist daher kontingent und prinzipiell veränderbar, aber dabei gilt ,Deus nihil potest facere inordinate’. Die Einheit von Macht und Wille verhindert ungeordnete Willkür, so dass eine Gefährdung humaner Intelligibilität gar nicht bestehe. Zwar könnte Gott die Zweitursachen umgehen, aber er will es nicht, daher entsteht hier de facto kein Problem, sondern die potentia absoluta sei lediglich ein Argument gegen den Nezessitarismus. "Nichts spricht dafür, dass bei Ockham der heilsgeschichtlich verbürgte Gott einem maßlosen Souveränitätsprinzip geopfert wird" (188), wie auch die humane Vernunft nicht destruiert, sondern transformiert werde (196 ff.); damit wendet sich G. zu recht gegen Iserlohs wie Blumenbergs Kritik (187 ff., 190 ff.), die in unzulässiger Weise die beiden Potentiae spalten, während deren Pointe gerade in ihrer Einheit besteht.

Ockhams exemplarische Darstellungen von Gottes Freiheit seien allerdings problematisch überspitzt: Wenn Gott etwa im Menschen die Wahrnehmung eines nicht existenten Dinges verursachen könne (206, 212 ff.), scheint er von einem Genius malignus kaum unterscheidbar zu sein, und die Möglichkeitsspekulation droht sich zu verselbständigen (199 ff.). Aber gerade die intuitive Erkenntnis vermag reale von irrealen Gegenständen sicher zu unterscheiden (213 ff.). G. schlägt zum Verständnis dieser Gedankenexperimente eine (zwar anachronistische, aber) raffinierte Lesart à la Blumenberg gegen Blumenberg vor: Es handle sich hier um "Metaphysikkritik aus dem Geist des Konjunktivs" (201, vgl. 216 f., 275), in der durch die Erwägung irrealer Möglichkeiten der aristotelisierende Nezessitarismus destruiert werde, ohne dabei in totale Skepsis abzugleiten. - Eine von G. nicht problematisierte Prämisse Ockhams ist aber das vermeintlich kontradiktorische Verhältnis von Notwendigkeit und Freiheit (199, 202), die jede Notwendigkeit nezessitaristisch verkürzt; hier wird Leibniz zu recht anders optieren.

Wenn Ockham aber von radikaler Singularität ausgeht, wird dessen Erkenntnis ebenso problematisch wie die des Allgemeinen (204 ff.). Möglich werde die Erkenntnis des Singulären durch die Notitia intuitiva als unvermittelter Kausalrelation von Ding und Intellekt (leider von G. nicht problematisiert), woraus sich das Problem sekundärer Abstraktion ergibt (206 ff.). Das Denken ist somit nicht mehr Wesensschau oder Begriffsbegreifen, sondern Allgemeinheit generierende Bearbeitung der sinnlichen Mannigfaltigkeit, wobei der Intellekt rein rezeptiv und damit infallibel sei (210 f. die Position der Subjektivität bleibt hier unklar, vgl. 211, 218, 233 ff.). Angesichts des Verlustes eines geschlossenen Systems und dem folgenden Problemdruck werde die Rationalität mittels der (bloß methodischen, Komplexität reduzierenden) Ökonomiemaxime offen und operativ konzipiert, ohne resignativ zu werden (223, vgl. 246). Der genannte Verlust setzt die Vernunft unter "Konsolidierungsdruck" (225) gegenüber der nicht selber logisch verfassten Welt. Statt auf die kontingente Welt rekurriert Ockham auf die nicht kontingente Logik der mentalen Sprache: die "Suppositionslogik" einer invarianten Metasprache (232 ff.). Die passive Notitia intuitiva supponiert das Einzelding durch einen natürlichen Begriff, womit die propositionale Wahrheit korrespondentistisch und empirisch verifizierbar konzipiert wird (236 ff., vgl. 241, mit R. Paqué); allerdings drohe die Supposition des Singulären durch Begriffe zu einer erneuten Vernachlässigung des sinnlich Wahrnehmbaren zu führen (248 ff., Ockhams ,Empirismus’ bleibt unklar).

In einem letzten Kapitel untersucht G. die politische Philosophie Ockhams (251 ff.), an der deutlich wird, wie auch in dieser Hinsicht keine metaphysisch begründete universale Ordnung mehr gedacht werden könne. In der Theodizeefrage erwägt Ockham die unmittelbare Mitursächlichkeit Gottes am Malum (275 f.). Schließlich erörtert G. die Kunsttheorie der Renaissance, deren Porträtmalerei eine nominalistische Aufwertung des Individuellen voraussetze und deren Konstruktion der Zentralperspektive die Perspektivität des Subjekts und die Homogenität des Raumes zur Darstellung bringt (276 ff., ohne Rücksicht auf Blumenbergs Cusanus-Kommentar, 286). In einer kurzen Erörterung der Kontingenzthematik unter dem prägnanten Titel "Ekstatische Faktizität: Das Besondere als das Normale" zeigt G. abschließend, dass die von Gott gewollte Faktizität des individuell Kontingenten nominalistisch gerade nicht blind zufällig gedacht wird und die Macht Gottes keine ,Ohnmacht’, sondern eine Freisetzung und neue Forderung der Vernunft bedeutet (288 ff.). ,Warum’ dieses Gleichgewicht von ,Theonomie’ und ,Autonomie’ nur von kurzer Dauer gewesen sei, erörtert der Vf. leider nicht mehr.

In einem (leider recht knappen) Schluß formuliert G. einige systematische Konsequenzen unter dem Blumenberg aufnehmenden Titel "Gotteseskalation als Dramaturgie der Vernunft" (294-298, vgl. Matthäuspassion 295 ff.). Für den Nominalismus Ockhams gelte: "Aufgrund der Freiheit Gottes ist die Welt kontingent, und aufgrund der Kontingenz der Welt ist der Mensch frei" (295). Diese humane Freiheit habe die Aufklärung zwar beerbt, deren theologische Bedingung aber abgestoßen. Blumenberg habe die nominalistische Genese der Freiheit nicht erkennen können wegen seiner "Theologie" (Mtp 28 ff.), derzufolge die ,Furcht des Herrn’ ein Genetivus subjectivus und das Verhältnis von Schöpfer und Geschöpf stets rivalisierend sei: "Theologie als Duell" (ebd. 103). Gott sei daher von ,Eifersucht’ und ,Selbstsicherung’ bestimmt, und der Mensch seinerseits betreibe eine ,Eskalation Gottes’ mit dem Ziel seiner Überwindung und Umbesetzung. "Die Gotteseskalation folgt somit einer Dramaturgie der Vernunft, die durch eine Hervorbringung des Absoluten die Voraussetzung schaffen will, in einem radikalen Gegenzug das Humane absichern zu können" (296). Daher kann der Nominalismus nur als eine solche Übertreibung in den Blick kommen, gegen die sich der Mensch behauptet (296) mit der Prägnanz einer Epochenzäsur (297), obgleich Blumenberg gerade auf der Mehrschichtigkeit der Epochenschwelle insistierte. Den Grund dieser unpassenden Vereindeutigung findet G. in der "apokryphen Theologie" Blumenbergs (297), ohne deren unverkennbar gnostische Züge kritisch zu thematisieren.

Allerdings ist das ,Duell-Schema’ mitnichten alles, was zu Blumenbergs ,Theologie’ zu sagen wäre (denn es finden sich bei ihm affirmative und daher gegenläufige Ausführungen zu einer Theologie im Zeichen des ’human interest’ Gottes, die den Gottesgedanken deeskalieren und als Grund statt als Gegensatz menschlicher Freiheit denken), und er selber forciert keineswegs die Selbstbehauptung zur Umbesetzung Gottes, sondern thematisiert gerade deren finale ,Sinnlosigkeit’. Die antagonistische Dynamik sucht er von beiden Seiten zu deeskalieren, was seine Theologie- wie seine Philosophiekritik motiviert. Und dem zugrunde liegt vermutlich die Horizontintention eines nicht mehr antagonistischen Verhältnisses von Gott und Mensch als Tiefengrammatik. - Was für eine ,enttheologisierende’ Theorie des Absoluten und das notwendige Scheitern dieses Absoluten zugunsten einer Kultur der Individualität zutreffen könnte, betreibt Blumenberg mitnichten, sondern er beschreibt den prekären Antagonismus mit hermeneutischer Distanz und schreibt ihn fort, teils deeskalierend teils rekomponierend. Über seine Ziele kann man dabei geteilter Meinung sein. Sie sind jedenfalls nicht mit der Oberfläche seiner Texte zu identifizieren.

G. führt die Konsequenzen seiner Ockhamuntersuchung für die Neuzeittheorie leider nicht weiter aus, obwohl sich aus seiner gelungenen und hilfreichen Studie erhebliche Folgefragen ergeben. - Der Widerstand der Selbstbehauptung richtet sich in Blumenbergs Antagonismusmodell gegen den Ordnungsschwund. Einerseits ist das, wie G.s Ockhamstudie zeigt, eine Interpretationsfigur, die vermutlich durch die cartesische Problemlage induziert von Blumenberg problematischerweise auf die Nominalismuskonstellation übertragen wurde. Andererseits ist schon der Nominalismus selber eine Form des Widerstandes gegen den ihm vorausliegenden Ordnungsschwund. Dann wäre dieser näher zu erhellen; aber es scheint wenigstens soviel klar, dass dieser Widerstand nicht notwendig als ,Selbstbehauptung gegen Gott’ konzipiert werden muss. Der Nominalismus wäre vielmehr ein Paradigma der sich geschöpflich verstehenden Freiheit gegen den Absolutismus des Malum, ohne sich damit ,contra Deum’ zu stellen. Und es ist keineswegs selbstverständlich, dass ein solcher theologischer Antiabsolutismus mit dem Ende des Mittelalters unmöglich geworden sein sollte.