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Ausgabe:

Februar/2000

Spalte:

199–202

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Weitzmann, Kurt, u. a.

Titel/Untertitel:

Die Ikonen. Übers. von Th. Münster.

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien: Herder 1998. 419 S. m. zahlr. farb. Abb. auf Taf. 4. Lw. DM 49,90. ISBN 3-451-26542-7.

Rezensent:

Hans-Dieter Döpmann

Die 1981 in Mailand und Laibach erschienene internationale Ausgabe war 1982 vom Herder Verlag als deutschsprachige Ausgabe herausgebracht worden und liegt nunmehr als - in Spanien gedruckte - Sonderausgabe 1998 vor.

Das Werk versteht sich als ein Handbuch der Ikonenkunst, eine Gesamtschau über die Besonderheit und die geistige Welt der Ikonen und vermittelt mit über 390 Farbbildern einen umfassenden Eindruck von deren Schönheit und Vielfalt. In den Textteilen vermitteln acht international renommierte Fachleute unterschiedlicher Nationalität und Konfession in individueller Betrachtungsweise und thematischer Auswahl eine Vielfalt von Aspekten, bieten Überblicke über die Geschichte der Ikonenmalerei von ihren Anfängen bis zur Gegenwart, veranschaulichen die Bedeutung der Ikonen in der Kunstgeschichte, in ihrem Zusammenhang mit der Spiritualität, Theologie und Liturgie. Gemeinsames sowie regionale Spezifik kennzeichnet die einzelnen Beiträge in ihrer Behandlung der Regionen von Byzanz über Syrien bis zum Sinai, von Griechenland über Georgien nach Rußland, von Serbien über die Walachei bis zum Moldauraum. Man vermisst allerdings einen eigenen Abschnitt über Bulgarien.

In seiner Einführung über Ursprung und Bedeutung der Ikonen (5-10) skizziert K. Weitzmann den Übergang von Kultstatuen der klassischen Antike seit der Spätantike mit einer geistigeren Vorstellung der Gottheit zunächst zum Flachrelief, bis infolge der Bestrebung, den menschlichen Körper zu vergeistigen, zu entmaterialisieren, die plastischen Künste zugunsten der Malerei zu schwinden beginnen. Er schildert in Kürze die Entwicklung von christlicher Bilderfeindschaft (2. Gebot) bis zur Bilderverteidigung durch Johannes von Damaskus, Theodoros von Studios u. a., verweist auf die unterschiedliche Gestalt von Ikonen. - Jedes regional bezogene Kapitel verbindet den Text mit einem reichen Abbildungsteil.

K. Weitzmann: Die Ikonen Konstantinopels (11-24, Abb. S. 25-83), behandelt Ikonen der einstigen Hauptstadt, Tafelmalerei, Fresken und Wandmosaiken. Es handelt sich vorwiegend um Kunstschätze, die sich seit der Eroberung Konstantinopels von 1204 in westeuropäischen und amerikanischen Museen befinden, oder auch von Konstantinopel aus als Geschenke verschickt worden waren. Beschrieben werden Elfenbein- und Email-Tafeln. Gemalte Ikonen sind vor allem aus dem Katharinen-Kloster auf dem Sinai bekannt. Verschiedene Stilentwicklungen und Ausdrucksformen werden dargestellt, darunter das Bemühen um einen plastischen Ausdruck in der Ikonenmalei. Diverse Materialien und Techniken beeinflussten sich gegenseitig. Auch finden sich Bezüge zu Ikonen aus provinziellen Schulen, die, z. B. in Georgien, Stilmittel der Palaiologen in eigener Meisterschaft fortführten.

G. Alibegasvili, A. Volskaja: Die Ikonen Georgiens (85-91, Abb. S. 92-127). Ausgehend von vorchristlichen Beispielen der Goldschmiedekunst und Beispielen getriebener Ikonen aus dem 5. Jh. wird die Kunst der einzelnen historischen Epochen Georgiens im Bezug zu den jeweiligen politischen Herrschaften und Einflüssen behandelt. Im 16. Jh. gab es eine Wiederbelebung der Metalltreibtechnik. Neben den Nationalcharakter widerspiegelnden Werken findet sich im 17. Jh. iranischer Einfluss, öffnete die Orientierung nach dem orthodoxen Rußland dem russischen und ebenfalls dem westeuropäischen Einfluss die Tore. Die vom Land abgeriegelte Bergregion Hoch-Svanetiens blieb der sicherste Ort, um geweihte oder wertvolle Gegenstände zu bewahren.

M. Chatzidakis, G. Babic’: Die Ikonen der Balkanhalbinsel and der griechischen Inseln, Teil I (129-143, Abb. S. 145-199). Lokale Zentren werden im Gemeinsamen und Speziellen behandelt. Saloniki eignete als Verkehrsknotenpunkt während byzantinischer Zeit und ottomanischer Besetzung auch in der Kunst eine führende Rolle, die auf das Schaffen anderer Länder einwirkte. Dargestellt werden monumentale Mosaiken und Wandmalereien, der Ausbau von Balustraden des Templon zur Ikonostase, das Herausbilden ikonographischer Regeln, mit denen sich durchaus gestalterische Freiheit verband. Weitere Abschnitte bieten Beispiele aus Ochrid, aus Griechenland südlich des Olymps mit seinen Inseln im 13. Jh. sowie besonders aus Serbien.

K. Weitzmann: Die Ikonen der Kreuzfahrer (201-207, Abb. S. 209-235). Völlig neue Akzente finden sich bei den "Kreuzfahrer-Ikonen". Insbesondere im Katharinen-Kloster wurden über hundertzwanzig Ikonen entdeckt, die man westlichen Künstlern zuschreiben muss. Italienische und französische Maler hatten gutgehende Werkstätten eingerichtet. Trotz ernsthaften Bemühens, sich an byzantinische Vorbilder zu halten, erlaubten sich lateinische Maler in Stil und Komposition charakteristische Freiheiten. Aufgezeigt wird das Einbringen eigener Stilelemente, wie etwa die betont realistische Wiedergabe des menschlichen Körpers, in die byzantinische Kunst. "Die Geschichte der Beeinflussung in umgekehrter Richtung muß noch geschrieben werden." (207)

M. Alpatov: Die Russischen Ikonen (237-251, Abb. S. 253-303). A. verbindet einen kurzen, schematischen Abriss der russischen Malerei mit grundsätzlichen Ausführungen. Es war üblich, sagt er, in der frühen russischen Kunst nach einem stetigen Fortschreiten zu suchen - von den mittelalterlichen ,Konventionen’ zum ,Realismus’ der Nach-Renaissance. Aber man darf nicht das Schema der stilistischen Entwicklung des Westens zugrunde legen. Immer wieder gab es Höhepunkte, wie auch Verfall und Zeiten der Stagnation. Die Russen blieben bemüht, als Sucher durch Kunst zur Wahrheit vorzudringen. Im Streben nach spiritueller und ästhetischer Vollendung verbanden die russischen Maler hohe sittliche Ideale mit beachtlicher Intelligenz, ohne Fanatismus oder Verachtung des sterblichen Leibes. Einfühlsam werden einzelne markante Ikonen interpretiert. Der moderne Mensch könnte von den früheren Russen lernen: ihre Fähigkeit, ein Kunstwerk zu betrachten, mit ihm zu leben und sich eins mit ihm zu fühlen.

G. Babic’, M. Chatzidakis: Die Ikonen der Balkanhalbinsel and der griechischen Inseln, TEIL II (305-316, Abb. S. 317-371). Eingegangen wird auf die Entwicklung unter der Osmanenherrschaft seit Ende des 14. und Anfang des 15. Jhs. Die orthodoxen Maler der verschiedenen Gegenden - speziell behandelt werden die serbischen Länder, Kreta und Mittelgriechenland - suchten in gleicher Weise Anregung und Belehrung in den Werken der "Palaiologischen Renaissance".

T. Voinescu: Die Ikonen der Walachei and der Moldau-Provinz (373-379, Abb. S. 381-411). Als Ausdruck nachbyzantinischer Kunst geht der Ikonenschatz Rumäniens auf das Ende des 15. und die ersten Jahrzehnte des 16. Jh.s zurück, knüpft ebenfalls an Formen und Prototypen der palaiologischen Kunst an. Solche Aufnahmebereitschaft ist noch durch Modell-Notizbücher für das 18. Jh. belegt. Daneben zeigen sich eigenwillige Züge besonders an den Außenwänden der Moldau-Klöster, nach 1700 auch westlicher Einfluss.

W. Nyssen: Die theologische und liturgische Bedeutung der Ikonen (413-416). Nyssen (1994 verstorben) macht zusammenfassend deutlich, dass diese Kunst bei aller Verschiedenheit der Techniken und ihrer Entwicklung in den einzelnen Ländern einen geistlichen Impuls und ein geistliches Ziel ausstrahlt, die Ikonen sich zu einem Bestandteil des Lebens der Kirche entwickelten. Er stellt fest, dass als der eigentliche Ort der Ikone "die Ikonostase in der Kirche gilt, die Versammlung aller Heiltümer, die das Fenster zur Ewigkeit öffnen". Im Privathaus wird die Ikone "als in den Alltag hineingeholter Teil der göttlichen Liturgie aufgefaßt, als häusliches Siegel göttlicher Ereignisse, die das Leben des Menschen durchdringen und verwandeln wollen" (415).

Das reichhaltige Werk ergänzen Kurzbiographien der Verfasser, Erklärungen einiger Fachbegriffe, Literatur- und Quellenhinweise (416-419).