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Ausgabe:

Februar/2000

Spalte:

198 f

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Schlingensiepen, Ferdinand, u. Manfred Windfuhr [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Heinrich Heine und die Religion. Ein kritischer Rückblick. Ein Symposium der Evangelischen Kirche im Rheinland vom 27.-30. Oktober 1997.

Verlag:

Düsseldorf: Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland 1998. 244 S. 8 = Schriften des Archives der Evangelischen Kirche im Rheinland, 21. Kart. DM 28,-. ISBN 3-930250-31-4.

Rezensent:

Godwin Lämmermann

Der Sammelband dokumentiert ein Symposium der Evangelischen Kirche im Rheinland anlässlich des Heine-Jahres 1997 und will ein Signal für eine positive kirchliche Heine-Rezeption im Unterschied zur negativen des 19. Jh.s und der Eskamotierung Heines aus der Theologiegeschichte am Beginn unseres Jahrhunderts geben.

Einleitend referiert der Gesamtherausgeber der Düsseldorfer Heine-Ausgabe M. Windfuhr über den privaten Heine: Antisemitische Diskriminierungen sowie politische und publizistische Angriffe in der Restaurationszeit verhinderten einen privatistischen Rückzug, gleichwohl "hatte der Privatraum positive Auswirkungen auf Heines Biographie und Werk" (33). Der Beitrag P. Guttenhöfers über Heine als exzellenten Bibelkenner zeigt zunächst, dass die positive Heine-Rezeption durchaus schon früher, nämlich in der Studentenbewegung, begonnen hat. Heines Bibelbezug ist nicht nur persiflierender, ironisierender und blasphemisch-religiöser Art, sondern auch eine konstruktive, quasi interreligiöse Auseinandersetzung eines Mannes, der - wie P. Lapide es formulierte - "jüdisch beschnitten, evangelisch getauft, katholisch getraut" und stets "ein unsteter Grenzgänger zwischen den Welten gewesen" (11) sei.

Weil Heine interreligiöser Grenzgänger war, sei er - so die Hgg. - besonders geeignet, den jüdisch-christlichen Dialog zu fördern. Zwei Beiträge sind dementsprechend den "jüdischen" Aspekten des Werkes Heines gewidmet: A. Bodenheimer zeigt, daß "Heines Rabbi von Bacherach als Entwurf einer jüdischen Historiographie der Moderne" (62) gelesen werden kann, die Hegels Geschichtsphilosophie mit dem Geschichtsdenken des Judentums synthetisiert und auf diese Weise bereits auf die Geschichtstheorie W. Benjamins vorgreift. E. Lutz führt die Veranlassung zu diesem Werk auf Heines Vereinstätigkeit im "Verein für Kultur und Wissenschaft der Juden" aus den Jahren 1822/23 zurück; ihr Beitrag illustriert das interne Leben eines Vereins, dessen Zweck "die Schaffung einer Harmonie zwischen der jüdischen und der deutschen Kultur" (71) war. Die Umstände der Taufe Heines im Jahre 1825 illustriert und dokumentiert F. Schlingensiepen. Entsprechend der biographischen Fiktionen zeigt auch das Christusbild Heines (B. Wirth-Ortmann) eine charakteristische Entwicklung: Während er vor seiner Taufe die Vorstellung vom leidenden Christus ablehnte, rückte er davon in der Folgezeit ab und einer Christusvorstellung zu, "die er letztlich auch unter dem Eindruck der politischen und ihn persönlich betreffenden Verhältnisse" (139) als konkreten Handlungsauftrag verstand.

Die negative kirchliche Heine-Rezeption begann mit der kirchlichen Indizierung seiner Schriften 1836 bzw. 1845. H. Wolf zeigt, dass eine unmittelbare Koinzidenz zwischen der kirchlichen und der politisch-staatlichen Zensur besteht. W. Schopf zeigt nachfolgend, inwiefern sich Heine dadurch in eine ästhetisch-literarisch verarbeitete Opferrolle gedrängt sieht, aus der heraus er zu einer gewissen Selbstzensur bezüglich religiöser Themen tendiert. Heines literarische Äußerungen zu Leben und Tod, Vergänglichkeit und Ewigkeit sind Gegenstand des Beitrages von J. A. Kruse. Dabei zeigt auch das dichterische Werk vergleichbare Tendenzen wie das philosophiegeschichtliche: "Das Leben darf nicht pervertiert werden zugunsten eines postulierten besseren Nachher" (201).

Dass Heine dabei durchaus nicht nur als atheistisch zu verstehen ist, zeigt W. Gössmanns Beitrag über die Rückgewinnung eines persönlichen Gottesverständnisses des späten Heines, das ihm zum Modell einer religionskritisch geläuterten interkonfessionellen und interreligiösen, der profan gewordenen Welt vermittelbaren Religiosität führt. Abschließend stellt M. Schmidt Heine als Visionär für das nachfolgende ambivalente Verhältnis zwischen Juden und Christen vor: Heine antizipiert nicht nur den nachfolgenden Pogrom-Antisemitismus, sondern auch die Friedensperspektive eines christlich-jüdischen Gesprächs.