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Ausgabe:

Februar/2000

Spalte:

194 f

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Eichholz, Georg

Titel/Untertitel:

Das Abendmahl Leonardo da Vincis. Eine systematische Bildmonographie.

Verlag:

München: Scaneg 1998. 624 S. m. Abb., 64 Taf., 32 Farbtaf. gr.8 = Concetto, 1. ISBN 3-89235-222-4.

Rezensent:

Gerlinde Strohmaier-Wiederanders

Auf insgesamt 555 Seiten Text (ohne Anmerkungen, Literatur- und Bildverzeichnis) untersucht Georg Eichholz das bekannte und eigentlich sogar populäre Abendmahlsbild, das Leonardo da Vinci für das Refektorium des Dominikanerklosters Santa Maria della Grazie in Mailand 1497/98 geschaffen hat. Wenn der Vf. sein Werk im Untertitel eine "systematische Bildmonographie" nennt, dann wird sofort klar, dass er umfassend und gründlich zu Werke gehen will. Und in der Tat wird ein weiter Bogen gespannt. Kunstgeschichte, Philosophie, Religionsgeschichte, Theologie - alles wird herangezogen, um auch das kleinste Detail des Bildes in sämtliche nur mögliche Zusammenhänge zu stellen. Denn: "Ein konkretes Einzelding, was es auch immer sei, eignet sich ... in hervorragender Weise als Prüfstein jeder anspruchsvollen oder gar auf verbindend Ganze zielenden Theorie." (1) Deshalb beginnt das Buch mit einer Einleitung: Il Paragone - Zur allgemeinen Struktur des Geistes. E. beginnt bei Hegel, zieht Paul Valéry, Nietzsche, dann Thomas Kuhn hinzu (16), um die Fragen der Geistesstruktur zu diskutieren und in ein System zu bringen, das dann in einem tetradischen Grundmodell vorgestellt wird. Dabei wird noch Gott als Außenbegriff (24) in die Darstellung eingeführt und als unableitbare, oberste Voraussetzung und lebensnotwendiges Hoffnungsziel konstatiert. E. will statt von verschiedenen Systemen der Wissenschaft und Kunst von einem System geistiger Disziplinen ausgehen und entfaltet daraus dann das Muster der bildenden Künste (38).

Nach diesen grundsätzlichen Systematisierungen wendet er sich dem Abendmahl Leonardos zu. Ausgehend von dessen eigenen Vorstellungen widmet E. ein Unterkapitel der Einleitung dem Verhältnis von Malerei und Wissenschaft und entwirft dabei ein Begriffsraster der Wissenschaftsbereiche, um dann (ab 60) die Grundprinzipien der Malerei und deren informationstheoretischen Zugang darzulegen. Nach den dort entwickelten Strukturen geht E. an das "Abendmahl" selbst heran. Er beginnt mit "Raum" und Raumdefinition, dem Verhältnis von Raum und Zeit, dem Prozess der Wahrnehmung, um sich dann mit Maßverhältnissen, Tiefendimensionen, Geometrie, Flächengliederung und schließlich mit dem neutestamentlichen Abendmahlsbericht (95) zu beschäftigen. Neben dem Originalwerk Leonardos werden auch sämtliche Kopien in die Untersuchung mit einbezogen und verglichen. Ganz deutlich wird dabei nicht, warum so vorgegangen wird, doch erfährt der Leser eine Fülle von Informationen.

Jedes Hauptkapitel (Perspektive, Muster, Design und Modellierung, Kolorit und Zeichnung, Ausdruck und Entwurf) endet mit einem Unterkapitel, das der Deutung aller untersuchten Details und deren geistesgeschichtlichen Zusammenhängen gewidmet ist. Dabei wird S. 116 der Frage nachgegangen: Hat Leonardo das Abendmahl "rein menschlich" oder "der Tradition entsprechend religiös ,überhöht’ darstellen wollen"? Eine etwas eigenartige Frage, die man nur stellen kann, wenn man nichts von der Bedeutung des Abendmahls und seiner zentralen sakramentalen Stellung im christlichen Gottesdienst weiß.

Doch das kann man E. und seiner in diesem Buch zu Tage tretenden Gelehrsamkeit nicht unterstellen. Es scheint vielmehr, als sei er einer Kunstauffassung verpflichtet, die eine "religiöse Überhöhung" der Darstellung des "Rein-Menschlichen" als abträglich ansieht.

Weitere Darlegungen sind der Zahlenstruktur, den perspektivischen Verhältnissen, den Tiefenabständen, den Linien und geometrischen Figuren gewidmet. Beim Thema Ornament wird Fragen zum Muster bzw. Emblem nachgegangen. Proportionen, Licht, Schatten, Figuren-Modellierung werden in weiteren Abschnitten untersucht. All diese genannten und noch viele weitere Themen werden philosophisch-systematisch unter Einbeziehung fast der gesamten Kulturgeschichte abgehandelt. Auch ältere theologische Arbeiten, etwa die von Rudolf Bultmann, werden zitiert. Eine Fülle von Wissen und Gelehrsamkeit ist eingesetzt worden, um Leonardos "Abendmahl" als Quelle der Erkenntnis vorzustellen im Sinne André Chastels, der von der Malerei als "Spiegel des Universums" sprach.

Deshalb werden immer wieder Wahrnehmungsmöglichkeiten ausgelotet (vgl. 296), wird zwischen Eigenwert und Darstellungswert der Farbe unterschieden, werden Physiognomikfragen diskutiert, um schließlich noch über Esoterik und Astrologie zu reflektieren (ab 529). Trotzdem bleibt die Lektüre etwas unbefriedigend. Das liegt zum einen daran, dass der Leser bei der Fülle des dargebotenen und diskutierten Materials leicht den roten Faden verliert. Letztlich aber wird Leonardos Werk aus dem historischen Zusammenhang gelöst. Das geschieht u. a. dadurch, daß Aussagen von Vasari, Alberti, Hegel, Leo Sternberg unverbunden nebeneinander gestellt werden und Vergleiche mit anderen Kunstwerken - ebenfalls durch alle Epochen ohne deren jeweils historische Bezüge - gezogen werden: Das Abendmahlsrelief vom Naumburger Westlettner wird auf Einzelmotive befragt in gleicher Weise wie ein Beispiel aus dem Barock oder die byzantinische Apostelkommunion, ohne die jeweils spezifische Aufgabe und Funktion zu bedenken. Viele Bereiche historischer Zusammenhänge werden überhaupt nicht in Erwägung gezogen.

Auf Seite 212 z. B. wird über das Mille-Fleurs-Motiv nachgedacht und dabei Rose und Iris als "homerische" Blumen bezeichnet. Welche spezielle und durchaus festgelegte Symbolik Blumen und Pflanzen im Mittelalter hatten, wird dabei übergangen, obwohl gerade sie die Darstellung solcher Motive wie Rose, Veilchen usw. im Bild begründet hat. Gewichtiger freilich ist, daß E. die zentrale Bedeutung des Abendmahls als Sakrament nicht genügend bewusst macht. Welche Funktion Leonardos Werk für das Refektorium eines Dominikaner-Konvents hat vom Selbstverständnis monastischen Lebens her, scheint nicht bekannt zu sein, zumindest wird das an keiner Stelle deutlich. Es werden auch zu wenig neuere Forschungsergebnisse zur Abendmahlsexegese (264 f.) und ebenso bei dem frühchristlichen Rekurs (268 f.) herangezogen. Die byzantinische wie auch die mittelalterliche Ikonographie (s. o.) scheint nur umrisshaft wahrgenommen worden zu sein. Es ließen sich noch weitere ähnliche Defizite benennen, die deshalb auffallen, weil - wie schon erwähnt - eine imponierende Fülle geistesgeschichtlichen Materials für jedes Detail herangezogen worden ist. Das Problem sind eigentlich auch nicht die Defizite, sondern das Konzept, das hinter dieser umfangreichen Monographie steht, und das den Autor das eine darstellen und das andere übergehen ließ. Es ist eine dem Idealismus verpflichtete abstrakte Kunstbetrachtung, die religiösen Anliegen und geschichtlichen Umständen offenbar keine aussagefähige Eigenständigkeit zuzubilligen vermag.