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Ausgabe:

Februar/2000

Spalte:

182–184

Kategorie:

Autor/Hrsg.:

Bleistein, Roman

Titel/Untertitel:

Augustinus Rösch. Leben im Widerstand. Biographie und Dokumente.

Verlag:

Frankfurt/M.: Knecht 1998. 478 S. m. 30 Abb. gr.8. Pp. DM 78,-. ISBN 3-7820-0794-8.

Rezensent:

Christoph Kösters

Wenn sich in der Erforschung des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus mittlerweile ein deutlich differenziertes Bild auch über die Rolle der katholischen Kirche abzeichnet, so ist dies neben anderen auch den Arbeiten des Jesuitenpaters und langjährigen Redaktionsmitgliedes der "Stimmen der Zeit" Roman Bleistein zu verdanken. B.s bleibendes Verdienst ist es, in den letzten zwanzig Jahren Quellen insbesondere aus dem Archiv seines Ordens veröffentlicht und ausgewertet zu haben. Sie geben Aufschluss nicht nur über das Schicksal der Jesuitengemeinschaft im "Dritten Reich", sondern auch über das aktive Engagement katholischer Führungseliten gegen die totalitäre NS-Diktatur. Mit der Publikation und Kommentierung von Dokumenten aus den Jahren 1933 bis 1945 verbindet B. stets auch eine v. a. an die jüngere Generation gerichtete erzieherische Absicht (Vorwort, 13).

Der Jesuit A. Rösch ist zweifellos eine geeignete Persönlichkeit, diesem doppelten, historischen und pädagogischen, Anliegen gerecht zu werden. Bereits 1985 hat B. ein Lebensbild und Quellen zu dieser Schlüsselfigur des katholischen Widerstandes publiziert und in den folgenden Jahren durch weitere Forschungen über den Kreisauer Kreis (1987 u. 1990) sowie die Jesuitenpatres Lothar König (1986), Alfred Delp (1989) und Rupert Mayer (1993) erweitert. Die nunmehr vorliegende Biographie bietet gleichsam die Quintessenz dieser Forschungen.

Etwa ein Drittel der 441 Textseiten entfällt auf die Biographie (15-172), ein weiteres Drittel auf bisher unveröffentlichte Texte Röschs aus den Jahren 1937 bis 1956 (174-314)und ein letztes Drittel auf im Nachlass Röschs aufgefundene Dokumente (315-441), darunter eine Denkschrift von Eduard Stadtler zur Kriegslage im Herbst 1941 (326-368). Das Buch schließt mit Fotos aus dem Leben Röschs (444-458).

B. beschreibt den Lebensweg Röschs in strenger chronologischer Folge: die von selbstverständlicher, tiefer Religiosität geprägte Kindheit im katholischen Bayern der Jahrhundertwende, die Teilnahme am Ersten Weltkrieg, welche Rösch - für einen Jesuiten ungewöhnlich - als dekorierter Frontoffizier beendete, Theologiestudium, Priesterweihe und der sich anschließende Aufstieg innerhalb des Ordens bis zum Rektor des renommierten ordenseigenen Gymnasiums und Internats, der Stella Matutina in Feldkirch. 1935 schließlich wird Rösch an die Spitze der Oberdeutschen Provinz der Gesellschaft Jesu in München berufen. Unweigerlich gerät er daher in den Brennpunkt eines in diesen Jahren auf einen vorläufigen Höhepunkt zusteuernden nationalsozialistischen Kirchenkampfes. In von aggressiver Propaganda auch gegen die Jesuiten begleiteten Auseinandersetzungen um Jugend und Schule, Devisen- und Sittlichkeitsprozesse sowie im Dauerkonflikt um den Münchener Ordensbruder Rupert Mayer vertrat Rösch, stets in Abstimmung mit dem Münchener Kardinal Faulhaber, auch gegenüber der Gestapo den Standpunkt einer unbedingten Verteidigung der kirchlichen Freiheiten (74).

Die Strategie änderte sich, als 1941 die nationalsozialistischen Machthaber die zahllosen Klöster und kirchlichen Anstalten auflösten, ihr Eigentum beschlagnahmten und Ordensbrüder in das KZ Dachau verschleppten (94-107). "Er ging", so B., "zu einer überlegten Opposition über, sei es im Ordensausschuss der Fuldaer Bischofskonferenz, sei es im Widerstand des ,Kreisauer Kreises’" (93). Der angesichts des "Klostersturms" im August 1941 von den katholischen Bischöfen eingesetzte "Ausschuß für Ordensangelegenheiten" wurde treibende Kraft für eine öffentliche und konsequente Verteidigung der allgemeinen Menschenrechte durch die Kirche (107-116). Rösch bildete auch ein wichtiges Scharnier zwischen katholischen Bischöfen und dem überkonfessionellen "Kreisauer Kreis", in dem er - gemeinsam mit dem von ihm vermittelten P. Alfred Delp - an den Gesprächen über eine Neuordnung von Staat und Gesellschaft nach dem Ende des Regimes beteiligt war (117-124). Am 11. Januar 1945 durch die Gestapo verhaftet, saß der - wie man auch im Vatikan meinte - "stärkste Mann des Katholizismus in Deutschland" (121) in Erwartung eines Hochverratsprozesses im Berliner Gefängnis Moabit. Nach seiner Befreiung durch die sowjetischen Truppen am 25. April gelang Rösch die Rückkehr nach München, wo er von 1946/47 bis zu seinem Tod 1961 in Politik (Mitglied des bayerischen Senats) und Caritas (Landescaritasdirektor) ein neues bedeutsames Betätigungsfeld fand (153-167).

Röschs aktiver Widerstand gegen die nationalsozialistische Diktatur war geistig-religiösen Ursprungs. Es ging ihm, wie er auch nach dem Krieg mehrfach unterstrich, nicht um Umsturz oder Tyrannenmord (146, 149f.; 224, 229). Die Antwort auf die Frage nach der inneren Antriebskraft dieses patriotischen Jesuiten und Kirchenmannes findet B. in Röschs Willen zum Martyrium (15, 75, 151, 166, 185). Damit ist zweifellos das zentrale Handlungsmotiv genannt.

B.s wichtiges Buch ist allerdings nicht frei von Unzulänglichkeiten: Die zentralen Kapitel über das Engagement Röschs im Ordensausschuss der Fuldaer Bischofskonferenz und im "Kreisauer Kreis" hätte man sich ausführlicher gewünscht; gleiches gilt für die sozialen und politischen Aktivitäten, die Rösch über 14 Jahre hin als bayerischer Landescaritasdirektor entfaltete, eine Aufgabe, die er länger als jedes andere Amt in seinem Leben wahrnahm. Gerne hätte man erfahren, wie der Mann, der die Revolution von 1918 ablehnte und im Kreisauer Kreis an Entwürfen zur Nachkriegsordnung mitarbeitete, nach 1945 als Mitglied im bayerischen Senat und in gesellschaftspolitischen Fragen engagierter Caritasdirektor über die sich etablierende moderne Demokratie geurteilt hat. Allerdings bleibt offen, ob dies auch einer dürftigen Quellenüberlieferung geschuldet sein könnte. B. spart historische Hintergrundinformationen weitgehend aus; eine eingehendere Schilderung der Auf- und Umbrüche sowie Verwerfungen dieses Jahrhunderts hätten dem Profil des hervorragenden Kopfes, wie Helmuth James von Moltke nach seiner ersten Begegnung mit Rösch festgehalten hatte (117), womöglich eine größere Tiefenschärfe verliehen.

Ärgerlich sind sachliche Fehler: Die Sittlichkeitsprozesse folgten den Devisenprozessen und nicht umgekehrt (64), die kurzzeitige Atempause im Kirchenkampf 1936 hatte ihren Grund in Hitlers "kirchenpolitischem Experiment" (H. G. Hockerts) sowie den Olympischen Spielen und ist nicht auf das Reichskonkordat zurückzuführen (67), über dessen Aufkündigung zu diesem Zeitpunkt im Reichskirchenministerium nachgedacht wurde. Auch waren 1936 die katholischen Jugendverbände noch keineswegs verboten (70). Es kann auch keine Rede davon sein, daß 1943 die normale Seelsorge nicht behindert worden wäre (101); Verfolgungsmaßnahmen, Einberufungen junger Geistlicher zur Wehrmacht und kriegsbedingte, teilweise schikanöse Einschränkungen reduzierten die ordentliche Seelsorge gezwungenermaßen auf das Notwendigste. Und wenn schließlich für das Jahr 1944 behauptet wird, infolge des Krieges habe das Regime von der Verfolgung der Jesuiten abgelassen (106), zugleich aber neben den Patres Rösch, Delp und König die Namen von drei weiteren Jesuiten aufgeführt werden, die in diesem Jahr hingerichtet wurden oder in der Haft starben, ist der Widerspruch offensichtlich (106 f.). Schließlich, Rösch hat seinen Mitbruder Alfred Delp bereits 1931 in seiner Zeit als Leiter der Stella Matutina (50, 448) und nicht erst 1934 (149) kennengelernt.

Der Gesamteindruck wird zusätzlich getrübt von einer ganzen Reihe von Druck- und Schreibfehlern, von denen an dieser Stelle nur auf die falsche Namensschreibweise Bernings (Wilhelm, nicht Adolf, 110) und Yorcks von Wartenburg (nicht York von Wartenburg) hinzuweisen ist. Die Fehler setzen sich bis in ein zudem unvollständiges Literaturverzeichnis fort, in dem unerklärlicherweise wichtige Titel der Katholizismusforschung fehlen. Die Veröffentlichung hätte, zumal im Hinblick auf die Bedeutung des Themas und das angestrebte historische wie pädagogische Anliegen, einen sorgfältiger arbeitenden Verlagslektor verdient gehabt.