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Ausgabe:

Februar/2000

Spalte:

181 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Sallmann, Martin

Titel/Untertitel:

Zwischen Gott und Mensch. Huldrych Zwinglis theologischer Denkweg im De vera et falsa religione commentarius (1525).

Verlag:

Tübingen: Mohr 1999. XVI, 281 S. gr.8 = Beiträge zur historischen Theologie, 108. Lw. DM 148,-. ISBN 3-16-147100-8.

Rezensent:

Peter Opitz

Die vorliegende Arbeit stellt sich im Blick auf Zwinglis "Commentarius" die Aufgabe, einerseits dessen "historisches Umfeld ausführlich zu untersuchen" und andererseits "bei Aufbau, Gedankengang und Durchführung zu verweilen und damit die Schrift als Ganzes im Blick zu behalten." (242)

Ersteres wird im ersten Kapitel in erhellender Weise geleistet (4-68). Ausgehend von einer vornehmlich unter rhetorischen Gesichtspunkten vorgenommenen Analyse des Widmungsbriefes an Franz I. wird die Zwinglischrift von 1525 in ihren historischen Kontext gestellt und in ihrer Gattung profiliert.

Vom zweiten Kapitel an geht es um Letzteres. Nun wird Zwinglis Gedankengang minutiös nachgezeichnet. Die ersten vier Abschnitte des "Commentarius": "De vocabulo religionis", "Inter quos constet religio", "De deo" und "De homine" werden zusammengefasst unter dem Titel: "Das Spannungsfeld der ,Religion’" (69-111): Zwinglis zentraler Begriff "religio" bezeichnet ein "Spannungsfeld" zwischen "zwei ,äußeren Enden’", die "nicht in einem unterordnenden, sondern zuordnenden Verhältnis stehen", und dann als ,Gott’ und ,Mensch’ beim Namen genannt werden (74).

Im dritten Kapitel (112-158) werden die Abschnitte "De religione" und "De religione Christiana" unter den Titel: "Das ,Heilsgeschehen’ Gottes" gestellt. Differenz und Übereinstimmung der beiden Abschnitte ergeben sich aufgrund der "geschichtlich" verschiedenen Modi der Offenbarung Gottes vor und in Christus. Auch Zwinglis unterschiedliche Beurteilung der "Philosophen" ist auf diesem Hintergrund verständlich (vgl. 156 f.).

Die übrigen fünf Abschnitte des "Commentarius" werden im vierten Kapitel (159-226) mit: "Das ,Heilsgeschehen’ Gottes für den Menschen" überschrieben und somit unter den Gesichtspunkt der spezifischen Ausrichtung des göttlichen Heilshandelns auf die menschliche Existenz gebracht.

Das fünfte Kapitel schließlich untersucht Zwinglis zusammenfassenden Epilog (227-233), bevor dann die Ergebnisse der ganzen Arbeit noch einmal zusammengefasst werden (234-249).

Die Untersuchung zeugt von sehr genauer Lektüre und sorgfältiger Beobachtung der Gedankenbewegungen Zwinglis. Indem sie es unternimmt, "paraphrasierend nachzudenken" und anschließend die Beobachtungen zu ordnen und zusammenzufassen (124), wird aber auch die Grenze eines solchen Unterfangens sichtbar: Über weite Strecken wird Zwinglis Gedankengang, manchmal Satz für Satz - mit einem Augenmerk auf die Argumentationsstruktur zwar, aber eben doch - einfach nacherzählt. Wohl aufgrund des engen Anschlusses an den Text Zwinglis ergibt sich außerdem der Eindruck einer gewissen Redundanz, der durch die zahlreichen resümierenden "Fazits" und "Zusammenfassungen" zusätzlich verstärkt wird.

Welchen Gesprächsbeitrag bietet diese Untersuchung einer zentralen theologischen Schrift Zwinglis zur Diskussion um dessen Theologie, über die - überzeugend durchgeführte - Erkenntnis hinaus, dass Zwingli "sein Werk eigenständig aufbaut und insgesamt gesehen konsistent durchführt" (242)? Die Sekundärliteratur wird allermeist zustimmend referiert. Und die "Ergebnisse unter forschungsgeschichtlichem Aspekt" (241-249) bestehen aus Bestätigungen (alt)bekannter Thesen: Bestätigt wird "die dualistische Komponente bei Zwingli" (243) ebenso wie - mit Nuancen (245) - "die zentrale Stellung der Gotteslehre" (243), die Bedeutung der Ethik und des Gesetzes (247) und die Charakterisierung des Begriffes "religio" bei Zwingli, wie sie Feil vorgenommen hat.

Bei genauem Hinsehen scheint aber doch eine - sehr dezent auftretende - eigenständige Interpretationslinie sichbar zu werden, die sich absetzt etwa von Ebelings und Gestrichs kritischer Beurteilung der Art und Weise, wie Zwingli das Gegenüber von Gotteserkenntnis und Selbsterkenntnis bestimmt. Dies obwohl ihnen vordergründig wiederholt beigepflichtet wird (vgl. 81-93). Man ist versucht, das nur Angedeutete interpretierend zu verdeutlichen: Indem der "Commentarius" als ein von Zwingli entfalteter Argumentationszusammenhang mit einer gewissen Dramaturgie bestimmt wird, erhält die aus lutherischer Optik kritisierbare Darstellung der Gotteserkenntnis-Selbsterkenntnis -Relation Zwinglis eine sinnvolle Funktion im Aufbau des spannungsvollen, sich dann im "Heilsgeschehen" entladenden (vgl. 236) Konflikts zwischen Gott und Mensch. Was kritisch gewendet heißen würde: Eine theologische Kritik, welche Zwinglis Aussagen zu Beginn des "Commentarius" gleichsam als chemisch reine "dogmatische" Aussagen nimmt, missachtet diese Dramaturgie und das "Spannungsfeld der ,Religion’", und verfehlt damit Zwinglis Intention. So klar ist dies vom Vf. allerdings nicht ausgesprochen, der, methodisch konsequent, bei sener eingangs genannten Aufgabe "verweilt" und vielleicht gerade dadurch zum Weiterdenken und zu vertiefter Lektüre der Quelle selber einlädt, ganz im Sinne eines anregenden "Kommentars" zum "Commentarius".