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Ausgabe:

Februar/2000

Spalte:

170–172

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Wiefel, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Das Evangelium nach Matthäus.

Verlag:

Leipzig: Evang. Verlagsanstalt 1998. XXIV, 497 S. gr.8 = Theologischer Handkommentar zum Neuen Testament, 1. Geb. DM 64,-. ISBN 3-374-01639-1.

Rezensent:

Ingo Broer

Nachdem der kürzlich verstorbene Emeritus für Neues Testament an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig bereits 1987 einen Lukaskommentar in derselben Reihe vorgelegt hatte, der an die Stelle des alten Grundmannschen Kommentars getreten ist, hat er 1998 seine Auslegung des Matthäus-evangeliums vorgelegt, die ebenfalls an die Stelle des Grund- mannschen Kommentars treten soll und die wesentlich stärker von der Grundmannschen Auslegung abweicht als die des Lu-kasevangeliums. Der Vf. eröffnet sein Werk mit der Behandlung von Vorfragen, die ihr Zentrum weniger bei den sog. Einleitungsfragen haben als bei den Vorlagen des Matthäus und deren Einarbeitung in das Werk des Evangelisten reflektieren.

Das Markusevangelium lag dem Evangelisten in schriftlicher Form vor, was sehr wahrscheinlich auch für die Logienquelle gilt. Deren weithin wenig geordnetes Material hat der Evangelist "in die strukturbildenden Zusammenhänge" (=Anfang und die Reden) seines Werkes eingebaut, hat sie also wesentlich stärker seinen Zwecken dienstbar gemacht als Lukas mit seinem "schonsamen Umgang mit dem Q-Material" (8). Bei der Sonderüberlieferung ist nicht von einer in sich geschlossenen Traditionsschicht auszugehen und teilweise ist sie auf den Evangelisten selbst zurückzuführen. Dies ist z. B. bei der Grabeswächtergeschichte und der Perikope vom Ende des Judas der Fall, obwohl der Vf. sich gerade bei der Frage nach der Sonderüberlieferung in der Passionsgeschichte besonders große Zurückhaltung auferlegt.

Das Papiaszeugnis wird intensiv ausgelegt und in Bezug auf eine hebräische Fassung des heutigen Evangeliums klar und deutlich als historisch kaum zutreffend abgelehnt. Auffälligerweise wird die Schlußwendung des Papiaszeugnisses, "es übersetzte hermeneusen ein jeder, so gut er konnte" nicht mit der gleichen Deutlichkeit als nicht zutreffend bezeichnet, sondern lediglich in Frageform oder im Konjunktiv behandelt. Eine Übersicht über "Die Arbeit am Matthäusevangelium in den letzten Jahren" beschließt den allgemeinen Teil. Dass dabei eine wirkliche Würdigung der Thesen der behandelten Werke oder gar eine Auseinandersetzung mit diesen nicht geleistet werden kann, versteht sich von selbst.

Die eigentliche Auslegung beginnt mit einer Übersetzung des jeweiligen Abschnittes, dann folgen nach Anmerkungen zu textkritischen Fragen Ausführungen zum Anschluss der Perikope nach vorne und hinten, zu Verbindungen und Zusammenhängen, sodann Bemerkungen zur Traditionsgeschichte, zur Sprache und zur Theologie. Daran schließt die Einzelerklärung der Verse an. Eine zusammenfassende Darstellung der von Matthäus mit der jeweiligen Perikope beabsichtigten Intention, oder um es weniger autororientiert zu sagen, eine Darstellung der theologischen Intention der jeweiligen Perikope bzw. eine Sicherung der Ergebnisse der Analyse der Einzelverse am Schluss erfolgt entsprechend dem Stil der Reihe nicht, alles Wichtige muss bereits vor der Einzelanalyse dargelegt sein. Zu jeder Perikope wird knappe Literatur angeführt, die in der Regel auf bereits Bewährtes zurückgreift und selten aus den 90er Jahren stammt. So konnte der Rez. das für die Behandlung der matthäischen Passionsgeschichte grundlegende Werk von D. P. Senior aus dem Jahre 1982 z. B. nicht entdecken, was vermutlich mit der Entstehungsgeschichte des Kommentars zu erklären ist. - Auch auslegungsgeschichtliche Hinweise sind immer wieder vorhanden.

Der Vf. ist im Rahmen des zur Verfügung stehenden Raumes gründlich den Besonderheiten des mt Textes nachgegangen und ist in der Regel zu begründeten Urteilen gelangt. Die exegetischen Einzel-Probleme (z. B. bei der Behandlung der Bergpredigt) werden keineswegs außen vor gelassen, sondern knapp dargestellt und die vom Vf. vertretene Lösung erläutert. Bei der Behandlung von Q-Perikopen wird zu Recht die Lk-Fassung intensiv mit berücksichtigt.

Die Knappheit des Textes muss nach Ansicht des Rez. angesichts der überbordenden Anzahl von Kommentarwerken und deren Umfang nicht unbedingt als Nachteil angesehen werden. Allerdings wäre man an manchen Stellen doch für eine etwas größere Ausführlichkeit dankbar. Denn der Kürze der Darlegungen fällt gelegentlich deren Begründung zum Opfer, so wenn der Vf., um wiederum ein Beispiel aus der Passionsgeschichte anzuführen, auf S. 450 behauptet, der Wechsel des Matthäus im Abendmahlsbericht vom markinischen (und lukanischen) upes (für, zugunsten) zu pesi (für) beinhalte eine inhaltliche Veränderung und hänge mit der Hinzufügung von "zur Vergebung der Sünden zusammen", so hätte man das doch gerne etwas genauer erläutert gefunden. Das Gleiche gilt nicht für die vom Vf. dargebotenen alternativen Auslegungen ohne eigene Entscheidung des Vf.s - hier kann die Darstellung der Alternativen zu einer vertieften Auseinandersetzung des Rezipienten mit dem Text führen.

Es handelt sich bei dem Werk des Vf.s um einen geeigneten Handkommentar, der eine relativ schnelle Orientierung über die von der Exegese erkannten mt Intentionen des ersten Evangeliums erlaubt, dessen theologischer Charakter freilich in einer eigenen Darlegung der theologischen Intention des jeweiligen Abschnittes noch deutlicher zum Ausdruck gekommen wäre.

Ob die Kommentarreihen sich einen Gefallen tun, wenn sie konsequent griechische und hebräische Termini nicht in Umschrift wiedergeben und auch nicht übersetzen, sollten die Herausgeber m. E. überdenken. Zwar gibt es bei beiden Konfessionen Pfarrer mit glänzenden Hebräisch- und Griechisch-Kenntnissen, aber in der jüngeren Pfarrergeneration ist es mit der Kenntnis der alten Sprachen doch wohl nicht immer zum Besten bestellt, um von den Lehrern der Sekundarstufe II, die während des Studiums in manchen Bundesländern z. B. zwischen dem Erwerb von Griechisch und Hebräisch wählen können, ganz zu schweigen. Sollte nicht auch der Pfarrer, der sich das Griechische nicht (mehr) zutraut, für die Predigtvorbereitung zum Blick in einen/diesen Bibel-Kommentar ermutigt werden? Man muß sich hierbei ja nicht unbedingt den Neuen Pauly zum Vorbild nehmen, der bei der Umschreibung und Übersetzung der griechischen Termini nicht immer konsequent vorgeht, aber orientieren kann man sich sehr wohl an ihm. Dieses klassische Nachschlagewerk gibt dem nicht des Griechischen Kundigen bei griechischen Termini immer eine Verständnishilfe - wenn das in der Altphilologie geschieht, sollte die Theologie da abseits stehen?