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Ausgabe:

Februar/2000

Spalte:

169 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schildgen, Brenda Deen

Titel/Untertitel:

Crisis and Continuity. Time in the Gospel of Mark.

Verlag:

Sheffield: Sheffield Academic Press 1998. 176 S. gr.8 = Journal for the Study of the New Testament, Suppl. Series 159. Lw. £ 27.95. ISBN 1-85075-851-4.

Rezensent:

Petr Pokorny

S. hat ihre Monographie über das Zeitverständnis des Markusevangeliums (Dissertation der University of San Francisco) praktisch als eine Applikation der theoretischen Arbeiten von Gérard Genette (Discours du récit, 1972) z. T. auch von Paul Ricur (Temps et récit, 1983) geschrieben. Nach kurzer Einleitung, in der die Vfn. den Begriff des Mythus (literarisch) definiert und die lineare Dimension der Zeit erläutert, wie sie schon Oscar Cullmann für die Evangelien beschrieben hat, eröffnet sie ihre Untersuchung mit einer Analyse der Rolle des kairos in Mk 1,15, seinem Unterschied zu chronos und seiner Beziehung zu Adverbien wie euthys und palin. Außer diesen zwei Dimensionen der Zeit wird die mythische Zeit als Rahmen vorausgesetzt. Die Zitate aus der hebräischen Bibel verbinden die im Evangelium erzählte Geschichte mit der Vergangenheit, die allerdings für die Gegenwart und für die unmittelbare Zukunft von besonderer Bedeutung ist.

In dem ersten Kapitel wird das Markusevangelium als narrativer Text untersucht, der allerdings keiner Gattung eindeutig zuzuschreiben ist: Weder dem Roman, noch der Geschichtsschreibung, noch der Biographie oder gar der Komödie. Eindeutig kann nur gesagt werden, dass es sich um keine Hochliteratur handelt, dass der Text viele Parabeln enthält und dass die vorliegenden Gattungen adaptiert (innoviert) worden sind. Richtig ist die schon öfter beschriebene Beobachtung: Der Grund, der diese spezifische Gattung ins Leben gerufen hat, ist die seltsame Erfahrung, die an der Wurzel des christlichen Glaubens liegt - die Erfahrung der apokalyptischen Eschatologie innerhalb der täglichen Wirklichkeit.

Kap. 2 ist der Intertextualität gewidmet, die zur Umdeutung der kultischen Tradition Israels führt. Die Einsetzung des Herrenmahls muss als Gipfel dieser Tendenz zur Überwindung der kultischen Blutopfer betrachtet werden - eine Tendenz, die auch schon in den prophetischen Traditionen verankert ist. Die Umdeutung des alttestamentlichen Erbes ist aber gleichzeigt mit seiner Bewahrung verbunden. Das nächste Kapitel ist den flashbacks und den chiastischen Kompositionen gewidmet, welche die lineare Organisation der Zeit stören, auf die Knotenpunkte aufmerksam machen (fokalisieren) und sie doch mit der gemeinsamen Zeitachse in Verbindung bringen. - Der letzte Abschnitt untersucht den mythischen Rahmen, der mehrmals (am Ende durch das Opfer Christi) durchbrochen wird. Jene Grenzerfahrung überwindet mehrere Gegensätze des "normalen" Zeitraums und macht eine zweite Erzählebene deutlich. Sie stellt die alternative "grüne Welt" dar, den locus amoenus mit dem gerechten Machtverhältnis. Er wird durch die Eucharistie repräsentiert und ist für die Orientierung in der Welt entscheidend.

Insgesamt haben wir es mit einer sympathischen Arbeit zu tun, die leider durch einige Inkonsequenzen belastet ist: Die Untersuchung der verschiedenen Dimensionen und Rollen der Zeit, die offensichtlich vom Evangelisten nur indirekt reflektiert wird und meistens unbewusst gestaltet ist, wird als Schlüssel zu seinem Denken benutzt, das (diesmal wiederum) die Vfn. nur indirekt reflektiert. Vor allem hätte sie sich viel Arbeit ersparen können, wenn sie die neueren größeren Kommentare und z. B. die Arbeiten von D. Dormeyer, C. Breytenbach oder B. M. F. van Iersel bzw. von E. Lämmert zu Rate gezogen hätte.