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Ausgabe:

Februar/2000

Spalte:

163 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Frühwald-König, Johannes

Titel/Untertitel:

Tempel und Kult. Ein Beitrag zur Christologie des Johannesevangeliums.

Verlag:

Regensburg: Pustet 1998. 278 S. 8 = Biblische Untersuchungen, 27. Kart. DM 48,-. ISBN 3-7917-1581-X.

Rezensent:

Konrad Haldimann

Die überarbeitete Dissertation des Vf.s (Regensburg 1996/97 bei G. Schmuttermayr) versucht, die Christologie des JohEv unter einem bisher eher wenig beachteten Aspekt zu klären und neu zu beleuchten: dem Verhältnis zum Tempel in Jerusalem und seinem Kult. Die schon oft beobachtete Nähe des JohEv zu einzelnen Festen, Festbräuchen und kultischen Traditionen des Frühjudentums wird in der vorliegenden Arbeit in Beziehung gesetzt zu einem scheinbar völlig gegenläufigen Zug desselben Evangeliums, seiner christologischen Ausrichtung und Konzentration.

Die Arbeit gliedert sich in drei Teile: Der erste Teil klärt die begrifflichen Voraussetzungen (Kult, Kultkritik) und stellt in gedrängter Form die alttestamentlich-frühjüdische Traditionslinie dar (17-63), der zweite Teil analysiert vier relevante Texte des JohEv (2,13-22; 4,1-26; 5,1-18; 7,1-52 [65-216]), der dritte Teil formuliert die Ergebnisse (217-236).

In methodischer Hinsicht wird die Arbeit von drei Grundzügen geprägt: 1) Im Blick auf den Entstehungsprozess wird der Text des JohEv traditions- und redaktionsgeschichtlich analysiert, wobei der Schlussgestalt des Textes eine hohe Kohärenz attestiert wird (z. B. bei der Beurteilung von 4,22c [121] oder der jetzigen Textfolge der Kap. 5-7 [179-184]). 2) Im Blick auf den Rezeptionsvorgang wird der Text mit Elementen des literaturwissenschaftlichen Konzeptes des impliziten Lesers analysiert, ohne dass dieses aber die Textwahrnehmung in einem technischen Sinn dominieren würde (vgl. als eine der wenigen theoretischen Erläuterungen 90 Anm. 414). 3) Im Blick auf die religions- und theologiegeschichtliche Beschreibung wird der Text phänomenologisch analysiert: Wesentlich sind die deskriptiv erfassbaren Größen Kultorte, heilige Zeiten, Kultteilnehmer und kultische Handlungen/Kultobjekte (19-27).

Die im ersten Teil herausgearbeitete Grundthese, dass im AT und im Frühjudentum der Kult nicht an sich, sondern stets im Blick auf den Umgang der Kultteilnehmer mit ihm kritisiert werde (z. B. 38; 39 f.; 44; 51 f.; zu Qumran vgl. 52-56) wird im zweiten Teil in modifizierter Form auf die joh. Texte übertragen: Der jüdische Kult wird nicht abgelehnt, er findet aber seinen Sinn und seine Erfüllung in der Person Jesu; erst dessen Ablehnung lässt den Kult seinen Sinn verlieren und macht ihn wertlos (vgl. z. B. 95 f.; 104 f.; 194 f.). Diese These soll im folgenden an zwei der bearbeiteten Texte knapp skizziert werden:

Die joh Bearbeitung und Gestaltung der traditionellen Erzählung von der Tempelreinigung in 2,13-22 (75-105) hat zu einer Darstellung geführt, in der eine "gemäßigt kultkritische Einstellung" zum Ausdruck kommt, die aber "weit weg von radikaler Kultfeindschaft" ist (102). Dass es darum geht, den Tempel in seiner wahren Gestalt und Funktion wieder zu entdecken, zeigen verschiedene Züge der joh Erzählung: die uneingeschränkt positive Rede vom ,Haus meines Vaters’, die narrativ ausgebaute Schilderung der ,Reinigung’, die produktive Aufnahme kultischer Begriffe, die Ausrichtung auf die christologische Erfüllung der Tempelvorstellung (84-89; 93-103). Zu einer grundsätzlichen, aber historisch kontingenten ,Ablehnung’ des Tempels kommt es nur durch die Verwerfung Jesu, die dem Tempel dessen wahren Sinn raubt (104 f.).

Die größten Schwierigkeiten dürften der These des Vf.s aus dem dritten Text erwachsen, der Erzählung von der Heilung in Betesda (5,1-18 [139-174]). Der Vf. arbeitet aber auch hier Züge der Erzählung heraus, die seine These unterstützen können: die konsequente Ausrichtung auf die christologische Pointe in V. 17 f.; die Enttäuschung und gleichzeitige Überbietung der als Groteske gezeichneten Heilserwartung in Betesda; die hintergründige Frage Jesu an den Mann, ob er geheilt werden wolle (V. 6); die Suggestion einer neuen Vorstellung von Sünde in V. 14 (153-161; 162-172). Der Vf. folgert: "Nicht um den Bruch der kultischen Traditionen geht es, sondern um ihre Erfüllung und Ergänzung unter dem Paradigma der Christologie." (173)

Bei breiter Zustimmung zu vielen exegetischen Beobachtungen würde ich im Blick auf die Grundthese an drei Punkten gerne zurückfragen. Erstens: Wie ist der Begriff der ,Erfüllung’ genau zu verstehen? Was widerfährt dem Erfüllten durch seine Erfüllung? Wären hier die Aspekte einer produktiven Verwandlung durch Neuinterpretation nicht stärker zu betonen (vgl. z. B. 173; 198; 215; 227 f.)? Zweitens: Lässt sich im JohEv auf der theologischen Ebene eine Zeit vor dem Tod Jesu und eine Zeit danach derart unterscheiden, dass man z. B. sagen kann, der Tempel verliere nur und erst dort seinen Sinn, wo Jesus abgelehnt werde (vgl. 95 f.; 104 f.; 194 f.)? Denkt das JohEv aufgrund seines Zeitverständnisses nicht konsequenter von der ,Zeit danach’ aus? Drittens: Müssten die nicht-linearen Erkenntnisvorgänge (Erinnerung, Missverständnis) im JohEv für die Wahrnehmung überhaupt nicht stärker berücksichtigt werden? Die Beachtung des schöpferischen Charakters jener Vorgänge schiene mir einerseits die Würde des jüdischen Kultes zu bewahren, andererseits das Neue der Christologie kategorial tiefer zu legen (vgl. die Hinweise 213 f.; 235). Mit diesen Rückfragen soll dem Vf. in einer wesentlichen Hinsicht aber gerade zugestimmt werden: "Es geht darum, etwas Neues zu eröffnen, nicht darum, das Alte anzuklagen." (131)