Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Februar/2000

Spalte:

154–157

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Eriksson, Anders

Titel/Untertitel:

Traditions as Rhetorical Proof. Pauline Argumentation in 1 Corinthians.

Verlag:

Stockholm: Almquist & Wiksell Intern. 1998. XIII, 352 S. gr.8 = Coniectanea Biblica. New Testament Series 29. ISBN 91-22-01775-5.

Rezensent:

Lars Aejmelaeus

Dieses Buch ist eine Dissertation der Universität Lund. Der Vf. hat hauptsächlich unter der Leitung von Birger Gerhardsson, Birger Olsson und Walter Übelacker gearbeitet. Thema der Untersuchung ist die Benutzung der Traditionen in der rhetorischen Argumentation des Paulus im Ersten Korintherbrief. Als Methode dient die rhetorische Kritik. Dabei werden nur solche christlichen Glaubenstraditionen unter die Lupe genommen, die schon vor der Niederschrift des 1Kor in der Gemeinde als zentrale und autoritative Zeugnisse des gemeinsamen und rechten christlichen Glaubens und Lebens akzeptiert worden waren. Sie gehörten dadurch schon zum "symbolischen Universum" der Korinther, und Paulus hatte darum die Möglichkeit, sie effektiv in seiner Argumentation zu benutzen.

Zu Beginn stellt der Vf. seine Methode und die dazu gehörenden Begriffe vor. An der Diskussion, wie vertraut Paulus mit den Theorien und der Praxis der antiken Rhetorik gewesen ist, will sich der Vf. nicht beteiligen, obwohl beim Weiterlesen ganz klar wird, dass Paulus E. zufolge mit den rhetorischen Feinheiten seiner Zeit gut bekannt war. Dies zu untersuchen ist dem Vf. jedoch nicht die Hauptsache, sondern ihm geht es v.a. darum, die spezifische Art und Weise der konkreten Anwendung der paulinischen Rhetorik aus dem Blickwinkel der antiken Regeln zu betrachten und zu beurteilen. Die entwickelte rhetorische Theorie der Antike ist für ihn also nur ein Werkzeug, mit dem er die Methode, mit der Paulus seine Zuhörer überzeugen will, analysiert. Weil die Rhetorik einen wesentlichen Teil der antiken Kultur bildete, ist zu folgern, dass auch Paulus nicht unberührt von der Rhetorik seiner Zeit hat schreiben können. Die klassische Rhetorik ist auch aus diesem Grund eine naheliegende Wahl zur Analyse der paulinischen Argumentation.

Es muss deshalb für einen gelungenen Ausgangspunkt einer Dissertation gehalten werden, die Benutzung der Traditionen in der paulinischen rhetorischen Beweisführung zu analysieren. Die Forschung hat sich früher hauptsächlich damit zufrieden gegeben, die als Traditionen zu betrachtenden Verse zu sortieren und nach ihrem Ursprung in der christlichen Bewegung zu fragen. Der Vf. will weiter gehen. Die bisherige Forschung wird von ihm nur als der Ausgangspunkt benutzt. Sein Interesse gilt der synchronen Betrachtungsweise, der Anwendung der Traditionen in ihrem jetzigen Kontext. In der paulinischen Rhetorik spielen die Traditionen in der Behandlung der verschiedenen Probleme eine wichtige Rolle: Sie vertreten die Zeugen und die Tatsachen, auf die man bauen kann. Bei dem Versuch, die Zuhörer zu überzeugen, werden die Traditionen von Paulus nicht nur auf der Ebene der logischen Schlussfolgerung (logos), sondern auch auf den Ebenen der Gefühle und der Autorität (pathos und ethos) als Zeugen benutzt.

Die rhetorische Gattung des 1Kor muss nach dem Vf. hauptsächlich als "deliberativ" bestimmt werden. Es geht vor allem um einen Versuch, den Zuhörern zu raten, wie sie in bestimmten problematischen Fragen denken, handeln und leben sollten- also um das, was ihnen nützlich ist. Der Vf. schildert in dem informativen ersten Hauptkapitel auch andere rhetorische Begriffe, die in der Betrachtung des Briefes wichtig sind. Auf diese Weise werden die Seiten 11-72 neben ihrer Funktion als Einleitung in den speziellen Gegenstand dieses Buches auch zu einer hilfreichen Einleitung in die Formen der rhetorischen Methode überhaupt. Die Bedeutung vieler lateinischer und griechischer rhetorischer Begriffe und die Methoden und Feinheiten verschiedener rhetorischer Strategien werden geklärt und geschildert.

Nach der Beschreibung der Methode werden die Traditionen, um die es geht, dargestellt (73-134). In der Forschung herrscht eine beachtliche Übereinstimmung darüber, welche Stücke des Briefes für fertiges traditionales Material zu halten sind. Oft meldet Paulus selbst es an, wenn er traditionales Material bringt. Die Traditionsstücke, die sich für dieses Buch als relevante Forschungsobjekte ergeben, sind die folgenden: 1Kor 8:6; 8:11b; 10:16; 11:23-25; 12:3; 12:13; 15:3-5; 16:22. Diese acht Einheiten werden näher vorgestellt, die Abgrenzungen und die Formen des traditionalen Materials analysiert und auch die Frühgeschichte der Stücke wird beleuchtet. Auch aus der früheren Anwendung der Traditionen in der christlichen Bewegung kann der Vf. nämlich einige zusätzliche Schlussfolgerungen für die Bedeutung und den Wert des Traditionsmaterials für die akute korinthische Diskussion ziehen.

Das Kapitel, in dem die schon vor dem Schreiben des 1Kor entstandenen christlichen Traditionstücke vorgestellt werden, gehört zu den notwendigen Vorarbeiten, nach denen der Vf. seine eigentliche Arbeit, d. h. die rhetorische Kritik, beginnen kann. Aus dem Blickwinkel der rhetorischen Argumentation werden dann alle "rhetorischen Einheiten", in denen Paulus mit Hilfe der früher hervorgehobenen Traditionsstücke auf die Korinther wirken will, durchgegangen. Einige von den oben gezeichneten Traditionsstücken gehören in dieselbe Texteinheit. Auf diese Weise teilt sich die eigentliche Analyse des Buches in fünf Hauptkapitel, in denen folgende rhetorisch zusammengehörende Stücke behandelt werden: 8:1-11:1; 11:17-34; 12:1-14:40; 15:1-58; 16:13-24.

In diesen Analysen werden die bekannten und vielbehandelten Texte aus einem neuen und frischen Blickwinkel betrachtet. Der Vf. behält dabei den Kontakt mit der älteren Forschung und mit ihren Ergebnissen. Auf diese Weise dient seine Methode als willkommene Ergänzung der traditionellen exegetischen Methoden. Beim Lesen des Buches wird man in der Tat von den Vorteilen einer rhetorischen Kritik überzeugt. Viele Einzelheiten, die gewöhnlich als grobe Widersprüche innerhalb des 1Kor betrachtet worden sind und Anlass zu Teilungshypothesen waren, finden nach Überzeugung des Vf.s ihre natürlichen Erklärungen aus der Perspektive der rhetorischen Kritik. Die Unterschiede im Ton, in dem in den Kapiteln 8 und 10 von Götzenopferfleisch die Rede ist, erkläre sich aufgrund der rhetorischen Strategie des Paulus. Wenn man sie analysiert, werde deutlich, dass sich Paulus in dieser Streitfrage eher auf der Seite der "Schwachen" als auf der der "Starken" befinde. Hier konnte ich dem Vf. nicht vollständig zustimmen, z. B. in Bezug auf die Rekonstruktion des Standpunktes der "Starken" (161). In dieser Sache würde ich dem Apostel - auch in einem einheitlichen 1Kor - mehr Widersprüchlichkeit in seiner Argumentation zutrauen als dies der Vf. tut.

Auch wenn es stimmte, dass Paulus die Methoden der antiken Rhetorik stärker und bewusster benutzte, als in der Forschung gewöhnlich angenommen wird, würde die rhetorische Kritik dennoch nicht zu einem Zaubermittel, das automatisch die richtigen Lösungen bringt. Auch in ihrer Anwendung muss man viele kleinere und größere Einzelfragen abwägen, um eine Entscheidung für die beste Auslegung zu treffen. Obwohl der Vf. durchgängig methodisch musterhaft arbeitet - der Leser weiß immer, warum er so interpretiert, wie er es tut -, bedeutet dies nicht, dass man ihm immer - wenn auch sehr oft - folgen wollte.

Bei der Behandlung der in 1Kor 12:1-14:40 vorkommenden Probleme leuchtet die Hauptthese des Vf.s, nach der das eigentliche Problem dieser ganzen Texteinheit die weiblichen Charismatiker seien, nicht ein. Auch mit Hilfe einer besonderen Konzentration der Mittel der rhetorischen Kritik findet man dafür nicht genügend Begründungen. Paulus hätte sich sicher viel klarer ausgedrückt, wenn die Frauen, die expressis verbis nur am Rande der langen Betrachtung der charismatischen Gaben behandelt werden, wirklich das wichtigste Ziel der Argumentation gewesen wären. In diesem Kapitel sammeln sich viele hypothetische und wenig überzeugende Ein-zelauslegungen.

Besonders wertvolle neue Einsichten bietet der Vf. aufgrund seiner Methode dagegen, wenn er die Probleme der richtigen Feier des Herrenmahls (1Kor 11), des Auferstehungsglaubens (1Kor 15) und des aramäischen Gebets "marana tha" (1Kor 16:22) behandelt. Es gelingt dem Vf., die rhetorische Bedeutung des aramäischen Gebets im Kontext des Briefschlusses überzeugend zu erklären. Bei den Problemen des Herrenmahls ging es nicht um die richtige Einschätzung der Natur der Speise oder um ähnliche dogmatische Spezialfragen, sondern um die richtige Einheit der Gemeinde als Leib Christi.

Im Bezug auf die Schwierigkeiten der Korinther mit der Auferstehung, gelingt es dem Vf., das ganze Kapitel 15 als eine rhetorische Einheit zu behandeln, so dass der Zusammenhang des Traditionsstückes am Anfang des Kapitels mit dem Inhalt des ganzen Kapitels klar wird. Mit der Hilfe der Tradition kann Paulus in diesem Kapitel zwei schwierige Fragen der Korinther beantworten: Einige haben die Zukünftigkeit der Auferstehung der Glaubenden bezweifelt, andere die Körperlichkeit der zukünftigen Auferstehung. Als Hintergrundsfaktor spielte die Idee von einem schon gegenwärtigen Auferstehungsleben der Glaubenden eine zentrale Rolle. Gleichzeitig war die Auferstehung Christi für alle eine selbstverständliche Glaubenswahrheit, was dem Heidenapostel einen guten rhetorischen Ausgangspunkt für seine Argumentation gab. Gerade im Kapitel 15 wird deutlich, wie geschickt und gut Paulus die Feinheiten der Rhetorik anwenden kann.

Insgesamt ist die Untersuchung ein sehr gelungenes Unternehmen, das neue Aspekte der neutestementlichen Exegese aufzeigt. Zu vielen Problemen gibt die rhetorische Methode frische und innovative Orientierungsvorschläge. Der Leser bekommt aus dem Buch wertvolle methodologische Informationen, die nicht ausschließlich zur Auslegung des 1Kor nützlich sind, sondern für alle frühchristliche Briefliteratur. Der Vf. ist mit Würde den besten schwedischen exegetischen Traditionen gefolgt und hat einen wichtigen, die Diskussion weiterführenden Beitrag zur Forschung am Neuen Testament geschrieben.