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Ausgabe:

Februar/2000

Spalte:

148 f

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Schmidt-Leukel, Perry [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Wer ist Buddha? Eine Gestalt und ihre Bedeutung für die Menschheit.

Verlag:

München: Diederichs 1998. 280 S. 8 = Schriftenreihe der Gesellschaft für europäisch-asiatische Kulturbeziehungen. Kart. DM 28,-. ISBN 3-424-01418-4.

Rezensent:

Ulrich Dehn

Die Gesellschaft für europäisch-asiatische Kulturbeziehungen setzt ihre Reihe, die mit einem Band zur "Idee der Reinkarnation in Ost und West" begann, mit diesem Buch zum Buddha fort, ebenfalls unter der kundigen Herausgeberschaft von P. Schmidt-Leukel. Dass die Frage nach dem Buddha in ihrer faszinierenden doppelten Bedeutung längst nicht mehr nur für Buddhisten relevant ist, wird von vielen Zeugnissen seit dem Ende des 19. Jh.s beredt dokumentiert. Der Buddha - das Buddha-Sein - ist eine Gestalt der allgemeinen Menschheits-, Geistes- und Religionsgeschichte geworden. Sch.-L. entfaltet die Aspekte dieses reichen Themas in einem aufsatzlangen und gehaltigen einleitenden Beitrag (7-20).

Die Beiträge des ersten Teils des Buches, das auf den Referaten einer Tagung beruht, beziehen sich auf den buddhistischen Binnendiskurs, der zweite Teil blättert die moderne bzw. außerbuddhistische Wahrnehmung auf. Einer Einführung in vermutbare Historie und Legende um die Vita des Gautama Buddha von Konrad Meisig (22-34) folgt eine "Buddhologie" im engeren Sinne für den Theravada-Buddhismus aus der Feder von Claudia Weber (35-49). Ein erhebliches Spektrum wird hier vorgestellt, noch bevor es zum "Pantheon" des Mahayana-Buddhismus und seiner entsprechenden Ordnungslehre des Trikaya (der drei Leiber) kommt. Diese erläutert ausführlich Helmut Tauscher (93-118), der ausgehend vom Buddha-Gedanken den Bogen bis hin zu den Besonderheiten des tantrischen Buddhismus schlägt. Eine Spezialität bietet der Band mit den ikonographischen Ausführungen von Monika Zin (50-74), die einfühlsam die Entwicklung der Darstellung bzw. symbolischen oder Nicht-Darstellung des Buddha nachzeichnen, ohne zu verheimlichen, dass der Autorin die ikonographische Zurückhaltung des frühen Buddhismus (anikonische Phase) nicht plausibel erscheint (57).

Margareta von Borsigs Einzelstudie über das Buddhabild des Lotos-Sutra (75-92) ist in Anbetracht der Bedeutung des Sutra in Ostasien von besonderer Wichtigkeit, leidet aber phasenweise unter dem fast erbaulich-affirmativen Stil. Der offenkundig christliche Blick, der auf die Entwicklung des Lotos-Buddha-Bildes bis hin zur "Juwelenstätte" geworfen wird, könnte den Rez. freuen, kollidiert jedoch ein wenig mit der Konzeption des ersten Teils des Bandes. V. Borsig kann jedenfalls auf reichhaltige Vorstudien zum Lotos-Sutra zurückblicken sowie auf eine eigene Übersetzung aus dem Chinesischen (1992).

Schließlich meldet sich der Hg. selbst mit einem Beitrag zum Buddhismus des Reinen Landes zu Wort (119-139) und weist nach, dass dieser als "Gnadenreligion" keineswegs gegen den Strom eines "selbsterlösenden" Meditationsbuddhismus steht, sondern vom Begriff des Mitleids her eine deutliche Linie vom Gautama Buddha zu Shinran, dem Gründer des "Wahren Buddhismus des Reinen Landes", zu ziehen ist.

Auch die Beiträge des zweiten Teils bieten jeweils Themen, die je für sich einen ganzen Sammelband gerechtfertigt hätten. Johannes Laube zeichnet an ausgewählten Texten japanischer Philosophen der Moderne ("Kyoto-Schule"), Nishida, Tanabe und Nishitani, die Facetten ihres jeweiligen Buddha-Verständnisses nach (141-158), worüber aber nicht vergessen werden dürfe, dass sie alle sich als Philosophen im Dienste eines allgemeinen Denkens, nicht als "japanische" Philosophen verstünden. Haruko Okano, Japanerin und mit westlichem Buddhismus und Feminismus bestens vertraut, führt präzise in die Stellung der Frau beim Buddha und in der buddhistischen Geschichte ein (159-175) - Okano ist die einzige Vertreterin eines mehr oder weniger buddhistischen Landes, ohne dass sich dies herausragend in ihren Aufsatz in einem Kontrast zu den anderen niederschlüge. Ein spezifisches Vergnügen, auch sprachlich, stellt der gutinformierte Artikel von Wilhelm Halbfass dar (176-194), der die Reihe der andersreligiösen Perspektiven eröffnet mit einem Durchgang durch das hinduistisch-buddhistische Verhältnis: von frühesten Spannungen über den neohinduistischen Inklusivismus bis hin zur sozialrevolutionären Buddhismusrenaissance des A. M. Ambedkar. Dem schließt sich die islamische Sicht aus David Scotts Feder an (195-210), der auch nach künftigen Möglichkeiten des Dialogs (z. B. über Ethik oder Themen der Mystik) sucht. Durch philosophische Schärfe besticht Gregor Pauls Untersuchung (211-224) dessen, was eigentlich im Buddhismus das Element des Nicht-Theistischen oder A-Theistischen aus der Sicht eines philosophisch abgeklärten Atheismus ausmachen könnte - nicht ganz direkt zum Thema gehörend, aber nützlich und erhellend zu lesen sind die eher persönlich gehaltenen Schlussbemerkungen Pauls.

Von besonderem Interesse für den Rez. und die Leser u. Leserinnen dieser Zeitschrift ist der abschließende Beitrag von Michael von Brück zu der Frage "Wer ist Buddha für Christen?" (225-240). - Seine Beobachtungen zu frühesten und dann die gesamte Religionsgeschichte durchziehenden Berührungspunkten der beiden Religionen sind, wie schon in anderen seiner Veöffentlichungen, höchst aufschlussreich und finden im interreligiösen Diskurs zu wenig Berücksichtigung. Allerdings scheinen sich, geleitet vom Bedürfnis einer intensiven Begegnung, dann doch die Unterschiede zwischen Jesus und dem Gautama Buddha stärker abzuschleifen, als dies dem Rez. für gut und für den Dialog fruchtbar erscheint.

So mag bezweifelt werden, ob sich die Unterschiede wirklich auf geschichtlich-existentiell hier, psychologisch dort, Grundübel der Sünde hier, der Unwissenheit dort, Grundtenor der Bejahung hier, der Verneinung dort (Carrin Dunne) (um nur eine Auswahl zu nennen) bzw. auf die anthropologisch-spirituelle Dimension reduzieren lassen. Ist "Reich Gottes" wirklich für Jesus eine Metapher für das Ziel gewesen, das der Gautama Buddha in Gestalt des Weges (dorthin) predigte, und nicht zunächst eine solche für umfassenden Frieden und Gerechtigkeit, eine Umwertung aller traditionellen sozialen Werte? Das scheint umgekehrt im v. Brückschen Buddha-Verständnis auch mitgemeint, spielt aber atmosphärisch eine untergeordnete Rolle.

Sein Vorschlag einer christlichen Buddha-Perspektive lädt zu weiteren Gesprächsversuchen ein, die vielleicht andere Dimensionen der beiden Gestalten betonen werden. Er stellt einen anregenden, auch provozierenden Abschluss eines randvollen und reichen Buchs dar, das nur eine Handvoll von Schnitzern aufweist.

So kolportiert Paul die kontroverse Ansicht der westlichen Esoterik, dass buddhistischer "Linkstantrismus" meine, der Sexualverkehr sei der beste Weg zur Erleuchtung (212), ähnlich bei Scott nachzulesen (198): in letzter Zeit ein boomendes Thema im Streit um den Dalai Lama, aber sicherlich kein Ertrag seriöser Forschung.

Ein Glossar (268-278) hilft all denen auf, die mit buddhistischer Terminologie nicht so vertraut sind. Die Anmerkungen sind an den Schluss des Buchs verbannt, was bei Verlagen wohl als "leserfreundlich" gilt - dem Rez. wären Fußnoten lieber gewesen.

Der multilaterale Dialog, der hier geführt wird, lässt naturgemäß wie jedes gute Gespräch Fragen offen; er bietet eine Fundgrube an Material zu Einzelproblemen und regt zu intensiven eigenen Begegnungen an.