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Ausgabe:

Februar/2000

Spalte:

141–144

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Donohue, John J., u. Christian W. Troll [Eds.]

Titel/Untertitel:

Faith, Power, and Violence. Muslims and Christians in a Plural Society, Past and Present.

Verlag:

Rom: Pontificio Istituto Orientale 1998. 315 S. gr.8 = Orientalia Christiana Analecta, 258. ISBN 88-7210-322-3.

Rezensent:

Andreas Feldtkeller

Der Band veröffentlicht in englischer und französischer Sprache vierzehn Beiträge eines Symposions der internationalen Arbeitsgruppe "Jesuits working Among Muslims", das vom 9.-15. April 1996 in Tanail (Libanon) stattfand. Die Autoren, die sich hier zu Problemen des muslimisch-christlichen Zusammenlebens äußern, sind sämtlich Christen, doch vorwiegend solche, die aus einer eigenen Perspektive des Zusammenlebens mit Muslimen berichten.

Die Sammlung ist nominell in drei, faktisch in zwei Teile untergliedert. Jeweils ungefähr die Hälfte des Umfangs nehmen "normative Zugänge" (9-140) und regionale Studien (141-276) ein. Die kurzen Überlegungen von Henri Sanson über die Entwicklungen des Zusammenlebens in Algerien (277-281) sind im Inhaltsverzeichnis als ein dritter Teil "Epilog" ausgewiesen, ließen sich aber ebenfalls unter die regionalen Studien einordnen.

Im Folgenden seien einige Beiträge exemplarisch herausgegriffen: Robert Benedicty (9-59) beschreibt eine gemeinsame theokratische Struktur, die sowohl kleinräumig in einem maronitischen und einem schiitischen Dorf des Libanon zu finden ist als auch großräumig für die politische Theorie der christlich-orthodoxen wie der islamischen Reiche des Vorderen Orients und Osteuropas charakteristisch ist. Als verbindende Merkmale werden das Ineinander von weltlicher und religiöser Struktur herausgestellt hinsichtlich der Loyalität der einzelnen Mitglieder, der Autorität und der Gemeinschaft, jeweils gebunden an ein bestimmtes Territorium.

Während damit ein sinnvoller und erhellender Vergleich zwischen christlichen und islamischen Strukturen innerhalb eines gemeinsamen Kulturraums vorgelegt ist, scheitert der Beitrag von Martin McDermott (75-83) an den methodischen Anforderungen, die an eine Erforschung von Austauschbeziehungen zwischen Islam und Christentum zu stellen wären. Er beschäftigt sich mit der Frage, ob Imam Khomeini mit seiner Theorie des Djihad einen Einfluss auf die Entwicklung der lateinamerikanischen Befreiungstheologie ausgeübt haben könnte. Eine solche Möglichkeit wird verneint, doch nach einer historisch plausiblen Begründung dafür sucht man vergeblich. Am Ende einer Zusammenstellung von Fakten zu beiden Größen steht die plakative Feststellung, dass Khomeini treu zur ursprünglichen Lehre des Islam stünde, während die Befreiungstheologie eine Abweichung vom Christentum darstelle, weil nämlich der Islam sich selbst untreu werde, wenn er der Gewalt absage und friedlich werde, während das Christentum sich selbst untreu werde, wenn es sich mit Gewaltanwendung in Verbindung bringe (82). Selbst wenn sich Gut und Böse so klar verteilen ließen- ist denn bewiesen, dass eine von der Tradition abweichende Bewegung in einer Religion nicht Impulse einer traditionstreuen Lehre aus einer anderen Religion aufgegriffen haben könnte?

John J. Donohue (85-101) verfolgt die Traditionen des Martyriums in Judentum, Christentum und Islam durch ihre Geschichte, jeweils aufeinander aufbauend, um sich dann ausführlich mit modernen islamischen Stellungnahmen zum Martyrium und seiner Institutionalisierung in der islamischen Revolution des Iran zu befassen.

Samir Khalil Samir (115-140) stellt die Debatte dar, die gegenwärtig in der islamischen Welt über die Bestrafung der Apostasie geführt wird und weit über die Kreise der Rechtsgelehrten hinaus Aufmerksamkeit findet. Für die Thematik von Macht und Gewaltanwendung zwischen Muslimen und Christen ist diese Frage deshalb relevant, weil der Übertritt vom Islam zum Christentum in einer Reihe von islamischen Ländern mit dem Tod bestraft wird. Samir stellt die Belege aus Koran und Sunna vor, auf die sich diese von Islamisten verstärkt eingeforderte Praxis stützt und folgt in seiner Argumentation liberalen muslimischen Autoren, denen zufolge sich der Koran nirgends klar zur Bestrafung von Apostaten im Diesseits äußert und die beiden für die Praxis der Todesstrafe angeführten Hadith-Traditionen nach den Kriterien der einschlägigen Gelehrsamkeit unglaubwürdig sind. In seinem Resümee wirbt Samir um Unterstützung für diese im Westen noch zu wenig bekannte islamische Position.

Die regionalen Studien im zweiten Teil führen nach Ägypten, Ghana, Tschad, Indonesien und Indien/Pakistan. Aus deutscher Perspektive von besonderem Interesse ist die Untersuchung von Georg Stoll über das Selbstverständnis von Muslimen in Deutschland (259-276). Stoll referiert ausführlich die berüchtigten Umfrageergebnisse von Wilhelm Heitmeyer zur Gewaltbereitschaft muslimischer Jugendlicher in Deutschland und kritisiert, dass die Heitmeyer-Studie eine Auskunft darüber schuldig bleibe, wie weit ihre Ergebnisse auf soziale und psychologische Faktoren zurückzuführen seien und wie weit sie tatsächlich mit der besonderen Prägung des Islam zu tun hätten, dem diese Jugendlichen anhingen. Der Beantwortung dieser Frage soll eine Durchsicht von vier deutschsprachigen muslimischen Zeitschriften der Jahrgänge 1989 bis 1995 dienen. Aus diesem Material wird erhoben, dass Muslime sich selbst als machtlos wahrnehmen, als Opfer westlicher Machtinteressen, dass sie unter der Spaltung des Islam leiden, sich aber dem Westen moralisch überlegen fühlen und betrogen durch das Versprechen einer sozialen Integration in Deutschland. Eine offene Diskussion werde darüber geführt, wie weit muslimische Identität mit der säkularen Gesellschaft des Westens zum Ausgleich gebracht werden könne. Auf die oft vorgetragene These von einer Kluft zwischen deutschsprachigen und in anderen Sprachen verfassten Äußerungen von Muslimen in Deutschland gerade hinsichtlich ihrer Einstellung zur umgebenden Gesellschaft geht Stoll nicht ein.

Zur Ausstattung des Buchs gehört ein Anhang mit Zusammenfassungen der Artikel in der jeweils anderen Sprache (französisch bzw. englisch), Kurzbiographien der Autoren, ein Personenregister, ein englischsprachiges Sachregister, ein Register für Begriffe auf Arabisch, Indonesisch und Urdu, Stellenregister zu Bibel und Koran (die beide gemeinsam auf einer knappen Seite Platz finden und fast ausschließlich auf die Beiträge von Donohue und Samir verweisen) sowie eine Langfassung des Inhaltsverzeichnisses mit Zwischenüberschriften innerhalb der einzelnen Beiträge.

Ein Teil der Beiträge bietet Bibliographien jeweils direkt im Anschluss an den Text, die jedoch leider im Inhaltsverzeichnis nicht aufgeführt wurden. Der Beitrag von Samir zeichnet sich typographisch dadurch aus, das er die verwendeten Zitate ausführlich in arabischer Schrift darbietet, jeweils ergänzt durch eine französische Übersetzung. Im Text verwendete arabische Begriffe sind dagegen bei allen Autoren in lateinischer Umschrift gesetzt; die Herausgeber haben dabei den einzelnen Verfassern freigestellt, welches Umschriftsystem sie verwenden wollten.