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Ausgabe:

Februar/2000

Spalte:

127–142

Kategorie:

Aufsätze

Autor/Hrsg.:

Christian Grethlein

Titel/Untertitel:

Praktische Theologie - eine Standortbestimmung1

In den achtziger Jahren schien die Praktische Theologie - lange Zeit in der akademischen Theologie kritisch bis abschätzig beäugt -2 eine gewisse Konsolidierung zu erfahren. Dietrich Rössler stellte in seinem 1986 erschienen "Grundriß der Praktischen Theologie" - historisch reich belesen - die jüngste der theologischen Hauptdisziplinen übersichtlich und wissenschaftlich solide dar. Unter Praktischer Theologie versteht er dabei "die Verbindung von Grundsätzen der christlichen Überlieferung mit Einsichten der gegenwärtigen Erfahrung zu der wissenschaftlichen Theorie, die die Grundlage der Verantwortung für die geschichtliche Gestalt der Kirche und für das gemeinsame Leben der Christen in der Kirche bildet".3 Mit der hier im Hintergrund stehenden Theorie der dreifachen Gestalt des neuzeitlichen Christentums in der Form einer individuell-privaten, einer kirchlichen und einer öffentlich-gesellschaftlichen Spielart4 gelang ihm ein - inzwischen vielfach übernommenes - Wahrnehmungsraster, das zugleich die Grundgliederung seines Werkes darstellte. Durchaus systematisch, aber nicht einem starren Systemzwang gehorchend, ordnete Rössler die traditionell unter den Überschriften Predigt, Seelsorge und Unterricht, aber auch in der Pastoraltheologie abgehandelten Stoffe diesen drei Formen neuzeitlichen Christentums zu und trug so der Veränderung in der Moderne für praktisch-theologische Reflexion Rechnung.

Die - in ihrem ersten Band ebenfalls 1986 erschienene - "Praktische Theologie" Gert Ottos zeigt, dass solch ein reflektiert systematischer Zugriff nicht unbestritten ist. Zwar stimmen Rössler und Otto darin überein, dass beiden dringend ein Gesamtverständnis der Praktischen Theologie nötig erscheint und die traditionelle Disziplineneinteilung nicht mehr hinreicht; doch kritisiert Otto von einem Verständnis der Praktischen Theologie als "kritische(r) Theorie religiös vermittelter Praxis in der Gesellschaft"5 aus jede "sektorale" Gliederung der Praktischen Theologie und schlägt stattdessen eine grundsätzlich nicht systematisch abschließbare "perspektivische Gliederung" vor.6 Deutlich tritt bei ihm der Bezug auf Kirche und die pastorale Praxis zurück; der "Denkhorizont der Kritischen Theorie" soll die "Problemperspektiven der Praktischen Theologie ... entwickeln".7



1. Neue praktisch-theologische Ansätze

Inzwischen vollzieht sich auf den unterschiedlichsten Ebenen - durchaus auf dem Fundament der Lehrbücher von Rössler und Otto - sowohl in den Einzeldisziplinen wie auch im Gesamtverständnis ein Umbruch in der Praktischen Theologie.8

Dies kommt - neben den in 3. aufgezeigten inhaltlichen Beobachtungen- in formaler Hinsicht im Erscheinen neuer praktisch-theologischer Reihen,9 der Gründung einer bewusst das Gesamtfach thematisierenden neuen Zeitschrift10 und nicht zuletzt dem sich gegenwärtig vollziehenden Generationenwechsel auf den Lehrstühlen der Praktischen Theologie im deutschsprachigen Raum zum Ausdruck.

Von verschiedenen Seiten werden Vorschläge zu einer "Neuvermessung des Forschungs- und Studienfeldes Praktischer Theologie", "einem neuen Grundverständnis Praktischer Theologie"11 oder einer Weitung des "der Theologie allzuoft doch noch anhaftende(n) provinzielle(n) Blick(s) auf das eigene, wenn nicht schon kirchliche, so doch zumindest christliche Gefüge"12 unterbreitet.

1.1.

Besondere Beachtung verdienen dabei - neben einer Vielzahl anderer, z. T. ganz ähnlich argumentierender Beiträge13 - folgende zwei Publikationen, denen die vorstehenden Zitate entnommen sind und die fast zeitgleich (1998) erschienen, insofern sich in ihnen größere Forschungsvorhaben niederschlagen bzw. ankündigen und sie zugleich jeweils eine Weiterführung der beiden großen praktisch-theologischen Lehrbücher der achtziger Jahre von Dietrich Rössler und Gert Otto versuchen:

- der gemeinsam von den beiden Frankfurter Praktischen Theologen Wolf-Eckart Failing und Hans-Günter Heimbrock erstellte Band "Gelebte Religion wahrnehmen. Lebenswelt - Alltagskulturen - Religionspraxis", der den vor allem im Magie-Projekt14 schon erprobten, in Frankfurt entwickelten primär phänomenologisch arbeitenden Ansatz Praktischer Theologie entfaltet; - die Präsentation von Berichten über Ergebnisse des seit 1992 am Fachbereich Evangelische Theologie der Universität Marburg durchgeführten Graduiertenkollegs "Religion in der Lebenswelt der Moderne". Zwar war dieses Kolleg - wie üblich- interdisziplinär besetzt, doch schon seine wesentliche Anregung durch (den leider vor Beginn verstorbenen) Henning Luther zeigt seine praktisch-theologische Grundprägung.

1.2.

Deutlich tritt im Titel der beiden Bücher eine wichtige Gemeinsamkeit zu Tage: Offensichtlich bemühen sich beide - "Religion in der Lebenswelt der Moderne" und "Gelebte Religion wahrnehmen. Lebenswelt - Alltagskultur - Religionspraxis" - um einen Bezug zum "Leben" und haben als Thema "Religion", allerdings bei näherem Hinsehen in durchaus unterschiedlicher Akzentuierung, die explizit in den Anfragen von Hans-Günter Heimbrock zum Konzept des Marburger Graduiertenkollegs hervortritt:15

- Gemeinsam ist beiden Ansätzen die nicht mehr von einem einzelnen Gelehrten, sondern von Forschergruppen getragene Arbeitsweise.

- Inhaltlich nehmen beide Arbeiten ihren analytischen Ausgangspunkt bei den offenkundigen "Veränderungen von Religion in der Lebenswelt"16, die es - so das vorrangige Anliegen- "wahrzunehmen" gilt. Damit wird der traditionelle Gegenstandsbereich der Praktischen Theologie, die Kirche (worunter de facto in den Publikationen evangelischer Autoren die evangelische Kirche in Deutschland gemeint ist, allerdings ohne dies zu markieren)17 oder z. T. auch das Christentum, weit überschritten.

- Für die Frankfurter Praktischen Theologen gelten "nicht Pragmatik und Kasuistik, sondern religiöse Praxis als kritisch bestimmte und konstruktiv praktizierte Teilhabe an Kultur"18 als Gegenstand der Praktischen Theologie; in der Marburger Publikation sucht man vergeblich selbst nach einer solchen umrisshaften Bestimmung. Statt dessen orientiert sie sich an "einer der Leitfragen zeitgenössischer Religionsforschung", nämlich: wie "denn ,Pluralisierung’ und ,Individualisierung’ (als zwei wesentliche Merkmale der fortgeschrittenen Moderne) im Bereich von Religion und Religiosität zur Geltung kommen und welche Folgen damit verbunden sind".19

Insgesamt wird beide Male ein kulturwissenschaftliches Verständnis von Praktischer Theologie präsentiert. Während jedoch in Frankfurt immer wieder das Bemühen spürbar ist, das "Wahrgenommene" an Religionspraxis christlich-theologisch zu interpretieren - am deutlichsten vielleicht im kreuzestheologisch begründeten ",pathischen’ Handlungsverständnis"20 -, dominiert in Marburg aus Abgrenzung gegenüber "der verengenden Perspektive, die unter Religiosität immer schon christliche Religiosität versteht und so die inzwischen auch in der Bundesrepublik Realität gewordene religiöse Vielfalt einfach ausblendet",21 die religionswissenschaftliche Perspektive. Vielleicht war dies - wie Schwab andeutet - ursprünglich nicht so geplant, sondern ergab sich erst im Laufe des Forschungsprozesses.22

- Vermutlich hängt diese unterschiedliche Akzentuierung auch mit den Differenzen im methodischen Vorgehen zusammen. Failing und Heimbrock lassen sich - neben Verwendung psychoanalytischer und ethnologischer Methoden - vor allem durch die "(nach-husserlsche) Phänomenologie"23 leiten, die im Gegensatz zum in den siebziger und achtziger Jahren üblichen handlungswissenschaftlichen Zugang bestimmt wird:

"Jedenfalls unterscheidet sich phänomenologische Wahrnehmung vom handlungswissenschaftlichen Zugang gerade dort prinzipiell, wo es auf den ersten Blick gesehen eine Konvergenz gibt: Beide setzen bei der Störung der Praxis ein, die sie beide nicht absichtlich erzeugen, sondern finden. Während aber im Regelkreismodell ... solche Störung durch bessere Kenntnis von Handlungsbedingungen zur Wiederherstellung der Funktionsabläufe kirchlichen Handelns bereinigt und beseitigt werden soll, geht phänomenologischer Zugang gerade von Wahrnehmungssituationen aus, die die Plausibilität des Regelkreises als ganzen betreffen und sich deshalb nicht auf institutionell prädisponierte Wahrnehmung eingrenzen lassen."24

Damit ist bei aller Offenheit gegenüber Unvorhergesehenem und der Erwartung, dass "Lebenswelt und Alltag ... (sich) ... als konstitutiver Ort von ,Er-Findung’ christlicher Theologie im Kontext vorhandener Lebens- und Todesproblematik und immer schon darauf bezogener und vorhandener Volksreligiosität" erweisen,25 doch auch ein kritisches Widerlager gegenüber dem "Wahrgenommenen" möglich.

Demgegenüber ist die einzige Gemeinsamkeit des in Marburg praktizierten "Methodenpluralismus", "daß hier auf standardisierte Erhebungsinstrumente weitgehend verzichtet wurde".26 Kritische, theologisch bestimmte Widerlager gegenüber der Vielfalt "religiöser" Phänomene sind zumindest in den vorgestellten Projekten nicht zu erkennen. Dass dies auch durchaus in wissenschaftstheoretischer Sicht Probleme aufwirft, zeigt der Hinweis Ulrich Schwabs auf die letztlich ohne gemeinsames Resultat gebliebenen "vielfältigen Diskussionen darüber, was denn überhaupt unter ,Religion’ zu verstehen sei".27

2. Einsichten aus der Geschichte

der Praktischen Theologie


Eine Beurteilung dieser sehr umfassenden Vorschläge, Praktische Theologie konzeptionell neu zu fassen, und damit eine Standortbestimmung gegenwärtiger Praktischer Theologie dürften nur gelingen, wenn wenigstens kurz die Entwicklung des Fachs insgesamt in den Blick genommen wird. Dies kann nämlich verhindern, dass - wie schon manchmal in der Geschichte der Praktischen Theologie - Einsichten früherer Theoriebildung vergessen werden und gleichsam versucht wird, das Fach von neuem zu erfinden. Gerade angesichts des starken Gegenwartsbezugs Praktischer Theologie und der damit gegebenen besonderen Prägungen durch die jeweiligen gesellschaftlichen Entwicklungen auf den unterschiedlichen Gebieten und Ebenen bedarf es dringend der geschichtlichen Aufklärung.28

Solche wissenschaftsgeschichtliche Rückschau muss aber, soll sie in der Gesamtargumentation der Gewinnung von Beurteilungskriterien dienen, auf dem Hintergrund der neuen gesellschaftlichen und kulturellen Herausforderungen interpretiert werden, die in beiden Büchern zu Recht den analytischen Ausgangspunkt bilden. Auf diesem Hintergrund kann dann der Beitrag der zwei genannten Versuche, die praktisch-theologische Theoriebildung zu fördern, kritisch gewürdigt werden.

2.1.

In der ersten Phase praktisch-theologischer Theoriebildung29 ging es primär - in Distanz zur traditionellen Pastoraltheologie- um die enzyklopädische Konstitution des neuen Fachs.30 Grundlegend wurde dabei Friedrich Schleiermachers zuerst 1811 vorgetragene, aber erst in der zweiten Auflage der "Kurze(n) Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen" von 1830 allgemeiner beachtete31 Bestimmung der Praktischen Theologie als "Theorie des Kirchenregimentes im engeren Sinne" und "Theorie des Kirchendienstes" ( 275)32. Angesichts seines Verständnisses von Theologie als des "Inbegriff(s) derjenigen wissenschaftlichen Kenntnisse und Kunstregeln, ohne deren Besitz und Gebrauch eine zusammenstimmende Leitung der christlichen Kirche, d. h. ein christliches Kirchenregiment, nicht möglich ist" ( 5), war die Praktische Theologie als unverzichtbarer Bestandteil der Theologie als positiver Wissenschaft konstituiert. Zwar wurde in der Folgezeit das Verständnis der Praktischen Theologie als "Technik", wenn auch im ursprünglichen Sinn der Kunstlehre verstanden ( 260), kritisiert, doch bot die Orientierung am kirchlichen Handeln die Möglichkeit, die traditionellen, für die Ausbildung von Pfarrern unerlässlichen pastoraltheologischen Fragen zu behandeln, ohne sich hierin zu erschöpfen. Zudem wird schon bei Schleiermacher die große interdisziplinäre Weite deutlich, die ein strikter Bezug der Theologie (und dann auch deren Disziplin Praktische Theologie) auf die Aufgabe der Kirchenleitung und damit eben die Kirche ermöglicht.

In der Nachfolge Schleiermachers arbeitete Carl Immanuel Nitzsch diese Einsicht aus, indem er die Kirche sowohl als Subjekt als auch Objekt der Praktischen Theologie begriff.33 Allerdings zeigt die Wirkungsgeschichte dieser für die folgenden Entwürfe leitenden Annahme auch deren Problematik. Denn
zunehmend führte die Rede von der Kirche als "Subjekt" zu lehrhaften "idealen" Ausführungen über Kirche, die den Bezug zur Empirie zu verlieren drohten und - entsprechend der damaligen allgemeinen wissenschaftlichen Lage, deren Hauptinteresse mit Begriffen wie "System" und "Geschichte" charakterisiert werden kann34 - lange historische Abhandlungen enthielten. Diese häufig mit dem kybernetischen Stichwort der "Erbauung"35 verbundene Tendenz dürfte mit dem "Verlust selbstverständlicher Geltung von Kirche in der Moderne", dem man sich entgegenstemmen wollte, zusammenhängen, hatte aber schwerwiegende theologische Konsequenzen: "Die Frage, was die Kirche ist und tut, überwuchert dann die Frage nach ihrem Kriterium: was die Kirche zur Kirche macht - und das ist ja offensichtlich nicht die Kirche selbst."36 Neben dieser theologischen Problematik tauchte schon in der Anfangszeit der Praktischen Theologie im Prozess ihrer beginnenden Professionalisierung37 die bis heute virulente Frage nach einer angemessenen Verankerung in der Lebenswelt, konkret nach dem Bezug zur (empirischen) Kirche auf.

2.2.

Genau an dieser Stelle kam es dann - auch herausgefordert durch eine zunehmend historische Ausrichtung der Praktischen Theologie38 - zu einem Neuansatz.39 Programmatisch formulierte ihn - im engen Verbund des "Triumvirats" mit den "modernen" Theologen Friedrich Niebergall und Otto Baumgarten stehend40 - Paul Drews, u. a. im Zusammenhang mit Reformvorschlägen für das Theologiestudium.41

"Niemand wird leugnen können, daß der nicht den Anspruch auf wirkliche theologische Bildung wird erheben können, der zwar über das Alte und Neue Testament wohl Bescheid weiß und die methodische Fähigkeit erworben hat, hier mit zu reden, oder der, der zwar einen genauen Ueberblick über die Kirchengeschichte hat und weiß, um welche große Fragen es sich zu den verschiedenen Zeiten gehandelt hat, oder endlich der, der zwar eine gediegene dogmatische und ethische Bildung besitzt, der aber von dem Tatsächlichen und Charakteristischen unsres gegenwärtigen kirchlichen Lebens keinen wirklich zusammenhängenden, geordneten und wohlbegründeten Begriff hat, der keine klare und gesicherte Vorstellung besitzt von den Kräften, die heute in der Kirche wirken, oder gegen die die Kirche anzukämpfen hat, der die Tendenzen nicht scharf erkennt, von denen das kirchliche Leben bestimmt wird usf."42

Demgegenüber gilt es, "das kirchliche Leben der Gegenwart in allen seinen Verzweigungen, seinen mannigfaltigen Ausgestaltungen und Erscheinungsformen wissenschaftlich zu erfassen
und darzustellen".43 Dazu empfiehlt Drews u. a. eine Erweiterung des praktisch-theologischen Fächerkanons um Kirchen- kunde, religiöse Volkskunde und religiöse Psychologie. Besonders widmete er sich dem Projekt der religiösen Volkskunde und stieß dabei - an der Wende des 19. zum 20. Jh.! - auf Gebiete wie das moderne Sektenwesen und "das ganze weite Gebiet der Surrogate für die christliche Religion, die heute auf dem öffentlichen Markte feilgeboten werden".44

Für die Entwicklung der Praktischen Theologie dürfte die große Leistung von Drews - und seinen Mitstreitern - darin liegen, dass sich systematisch gesehen als deren Thema "das methodisch angemessen zu erschließende Verhältnis von Allgemeinheit und Individualität in der gegenwärtig gelebten religiös-sittlichen Praxis unter den tatsächlichen Verstehens- und Handlungsbedingungen neuzeitlicher Kultur und moderner Gesellschaft"45 herauskristallisierte. Allerdings vermochte es Drews - vielleicht durch seinen frühen Tod daran gehindert -, weder die neuen Subdisziplinen in ihrem Verhältnis untereinander genauer zu bestimmen46 noch sie in das Ganze der Praktischen Theologie einzubinden.47 Daraus konnte sich dann schnell der - wohl für Drews unberechtigte - Vorwurf ergeben, dass der Bezug auf die Empirie zur Aufgabe wichtiger christlicher Glaubenssubstanz führe.

2.3.

Dem "modernen" Konzept Praktischer Theologie, das - jenseits vom Anliegen der Systembildung und historischen Vollständigkeit - durch interdisziplinäre Öffnung zu Psychologie, Volkskunde u. a. zugleich eine Öffnung zur "modernen" Lebenswelt bedeutete, trat Anfang der dreißiger Jahre der Ruf zur "Sache" entgegen.48 Auf dem Hintergrund des kulturellen Zusammenbruchs in Deutschland im Zuge des 1. Weltkriegs,49 aber auch der sich bereits seit längerem abzeichnenden Relativismusproblematik50 strahlte der wesentlich durch Karl Barth inszenierte dogmatische Neuaufbruch auch auf die Praktische Theologie aus. Die hinter der "modernen" Praktischen Theologie stehende, nicht zuletzt religionswissenschaftlich vermittelte51 Synthese mit der bestehenden Kultur erschien nicht mehr tragfähig.

Die Profilierung der Theologie als einer gegenüber den (anderen) universitären Fächern radikal separierten Wissenschaft,
die ihr Zentrum in der Verkündigungaufgabe hat, stellte das seit
der Jahrhundertwende die praktisch-theologische Theoriebildung prägende interdisziplinäre Gespräch grundlegend in Frage und machte eigentlich eine eigenständige Praktische Theologie überflüssig. Spätestens nach der Konsolidierung der politischen Verhältnisse in den fünfziger Jahren wurde aber nicht zuletzt Praktikern in Gemeindearbeit und Religionsunterricht deutlich, dass eine rein deduktive dogmatische Theologie keine ihrer Berufspraxis angemessene Theoriebildung er-möglicht.

Wohl zuerst in der - jetzt wieder möglichen - "Religionspädagogik",52 dann aber auch in der Seelsorge53 kam es zu Neuaufbrüchen, die bewusst in der Spannung zwischen theologischer Tradition und außertheologischen Erkenntnissen standen.

Homiletik54 und Liturgik55 öffneten sich - vom Ansatz der Barthschen Theologie bei der Predigt gut verständlich - erst später erfahrungswissenschaftlichen Einsichten.

Darüber darf aber nicht der - allerdings nur indirekte - Ertrag56 des dialektisch-theologischen Einspruchs für praktisch-theologische Theoriebildung vergessen werden. Er schärft die Bedeutung eines relativen Primats des Theologischen ein,57 der ja erst ein echtes interdisziplinäres Gespräch ermöglicht. Dies gewinnt für heutige praktisch-theologische Arbeit dadurch an Relevanz, dass mittlerweile nicht nur aus theologischen Gründen, sondern auf Grund neuerer politischer und gesellschaftlicher Entwicklungen, die in 3. skizziert werden, die Herstellung der alten Synthese zwischen Protestantismus und allgemeiner Kultur nicht mehr möglich erscheint.

2.4.

Seit den sechziger Jahren beginnt von den äußeren Gegebenheiten her gesehen ein Aufschwung der Praktischen Theologie. Im Zuge des Ausbaus der Universitäten und dann auch der Errichtung von Fachhochschulen entstehen zahlreiche neue Stellen. Damit wird - in Entsprechung zu einem allgemeinen wissenschaftlichen Trend - die Spezialisierung praktisch-theologischer Arbeit gefördert. Vor allem die straffe Organisation der pastoralpsychologischen Arbeit in eigenen Verbänden sowie die Einrichtung etlicher Lehrstühle für Evangelische Theologie und Didaktik des Evangelischen Religionsunterrichts an Pädagogischen Hochschulen bzw. Erziehungswissenschaftlichen Fachbereichen führten dazu, dass besonders Seelsorge und Religionspädagogik zunehmend als eigenständige Gebiete bearbeitet werden, ohne dass der Zusammenhang mit dem Ganzen der Praktischen Theologie im Blick ist. - Den daraus resultierenden Problemen eines angemessenen Selbstverständnisses Praktischer Theologie versucht deren Einordnung ins Ensemble der sog. Handlungswissenschaften beizukommen.

Wie schon bei den "modernen" Praktischen Theologen am Beginn des Jahrhunderts waren zumindest in der Anfangszeit
die unter diesem Signum vorgetragenen Innovationen häufig zugleich Beiträge zu einer Reform des Theologiestudiums.

Wissenschaftstheoretisch führte das handlungswissenschaftliche Paradigma zu enger Kooperation mit der Soziologie, was zu einer Widerspiegelung der dort geführten Diskurse, vor allem des Positivismus-Streits, in der Theoriediskussion der Praktischen Theologen führte.

Während auf der einen Seite Gert Otto und vor allem sein Schüler Bernd Päschke sich der Kritischen Theorie bedienten und Praktische Theologie als "kritische Theorie religiös vermittelter Praxis in der Gesellschaft"58 begriffen, stützte sich Hans-Dieter Bastian auf den Kritischen Rationalismus.59

Eine gewisse, wenn auch nur wenig beachtete Klärung in die nicht zuletzt wegen mangelnder historischer und begrifflicher Tiefenschärfe zunehmend konfusere Diskussion brachte der 1977 veröffentlichte "Grundriss der Praktischen Theologie als Handlungswissenschaft". Karl-Fritz Daiber betonte hier die Notwendigkeit einer "überzeugenden Methodologie" als Dreh- und Angelpunkt einer Konzeptualisierung der Praktischen Theologie als Handlungswissenschaft und plädierte für eine "empirisch-kritische Methode".60 Vielleicht noch wichtiger ist der Hinweis auf die - gerade unter handlungswissenschaftlicher Perspektive - unabweisbare genaue Beschreibung des Gegenstandsfelds, um wirkliche Forschungspraxis initiieren zu können. Daiber selbst empfiehlt: "Gegenstand Praktischer Theologie ist die Praxis von Gemeinden und Kirchen im jeweiligen Zusammenhang gesellschaftlicher Praxis. Im Rahmen dieses Gegenstandsfeldes beschäftigt sich die Praktische Theologie schwerpunktmäßig mit der Praxis kirchlicher und theologischer Berufe."61 Demnach hat sich ein Konzept Praktischer Theologie auch daran zu erweisen, dass es konkrete Forschungspraxis ermöglicht bzw. dass es angesichts der bestehenden personellen und sächlichen Kapazitäten realistisch erscheint.

2.5.

Fasst man die vier bei diesem zugegebenermaßen äußerst selektiven Durchgang durch die Geschichte der Praktischen Theologie gewonnenen Einsichten noch einmal zusammen, ergibt sich:

- Aus der Phase der Konstitution und Konsolidierung kann gelernt werden, dass die Bindung der Praktischen Theologie an die Kirche, etwa in Form der Aufgabe der Kirchenleitung, der Praktischen Theologie einen klaren Gegenstand gibt, dass dabei aber das Kirchenverständnis näher bestimmt werden muss.

- Die Bemühungen der "modernen" Praktischen Theologen am Beginn des 20. Jh.s ergaben, dass der Gegenwartsbezug im
Sinne empirisch erhebbarer Vorfindlichkeit für praktisch-theologische Arbeit, nicht zuletzt für den Bezug auf Kirche unverzichtbar ist. Dadurch öffnete sich die Praktische Theologie für die Erkenntnisse anderer Wissenschaften, ohne dass es zu einer klaren wissenschaftstheoretischen Zuordnung kam.

- Die Anfragen der dialektischen Theologen machen auf die Bedeutung des Primats der Theologie in der Praktischen Theologie aufmerksam, soll es nicht zu einer unreflektierten Anpassung an das jeweils in der Wissenschaft aktuell Erscheinende und damit zu deren Duplizierung in der Praktischen Theologie kommen. Allerdings führte der mit dem Ruf zur "Sache" de facto verbundene Abbruch des interdisziplinären Austausches mit nichttheologischen Disziplinen in eine Sackgasse.

- Schließlich wurde im Zusammenhang der Konzeptualisierung der Praktischen Theologie als Handlungswissenschaft die Notwendigkeit eines klar abgegrenzten Gegenstandsbereichs herausgestellt, insofern praktisch-theologische Konzeptionen nur so konkrete Forschungspraxis initiieren können.

3. Neue Herausforderungen

Gilt es auf der einen Seite, bisherige Einsichten praktisch-theologischer Theoriebildung auch bei Neuansätzen zu berücksichtigen, sind auf der anderen Seite die politischen und gesellschaftlichen Veränderungsprozesse zu beachten, die in verschiedener Hinsicht Rahmenbedingungen für kirchliches Handeln und damit auch für hierauf bezogene Theoriebildung darstellen. Dabei kann hier nicht in die Diskussion um Erklärungsentwürfe der gegenwärtigen gesellschaftlichen Konstitution und Entwicklung eingetreten werden. Vielmehr will ich versuchen, die vier im vorhergehenden herausgearbeiteten Einsichten praktisch-theologischer Arbeit auf dem Hintergrund gegenwärtiger gesellschaftlicher Entwicklungen und politischer Entscheidungen genauer in ihrer Erschließungskraft zu profilieren.

3.1.

Der schon von Schleiermacher herausgestellte und im folgenden meist nur modifizierte, grundlegende Bezug von Praktischer Theologie auf Kirche führt dazu, dass die Veränderungen in dieser Institution direkte Auswirkungen auf die Praktische Theologie haben.

Die vor allem in den sechziger und siebziger Jahren dominante (und immer noch in weiten Teilen der Massenmedien anzutreffende) Säkularisierungsthese im Sinne einer Verfallsgeschichte von Kirchen, Christentum und vielleicht auch Religion in der modernen Gesellschaft erwies sich zunehmend als defizitär, insofern religiöse Aufbrüche und die erhebliche Stabilität der Kirchen als Organisationen nicht erklärt werden konnten. Zunehmend verstellte die Gleichsetzung bestehender kirchlicher Angebote und explizit dogmatischer Lehre mit Religion, also ein einseitig substantielles Religionsverständnis, den Blick für neuere Entwicklungen. Demgegenüber führt das funktionale Verständnis von "Säkularisierung" als "die gesellschaftsstrukturelle Relevanz der Privatisierung religiösen Erlebens"62 weiter. Denn: "dieser strukturelle Begriff der Säkularisierung sagt noch nichts über die Zu- und Abnahme religiöser Phänomene in einer Gesellschaft aus, wohl aber etwas über die veränderte Funktion von Religion in modernen Gesellschaften."63 Offensichtlich beginnen für eine wachsende Zahl von Menschen die Kirchen ihre (Allein-)Zuständigkeit für die Behandlung religiöser Fragen zu verlieren.64

Allerdings muss darauf geachtet werden, dass jetzt nicht - gleichsam in Umkehrung der früheren Säkularisierungsthese - unreflektiert ein allgemeiner, gesellschaftsfunktional bestimmter Religionsbegriff an die Stelle von "Kirche" tritt. Dadurch würde die unbestreitbare Prägekraft der Kirchen und des Christentums in unserer Kultur aus dem Blick geraten. Wissenschaftstheoretisch gesehen würde dadurch der Zusammenhang der Praktischen Theologie mit der Theologie aufgelöst; die Religionswissenschaft wäre - falls deren Vertreter(innen) an solcher Forschung Interesse zeigten - der wissenschaftliche Zusammenhang eines neuen Fachs.

Praktisch-theologisch gilt aber festzuhalten, dass sich Kirche unter neuen Rahmenbedingungen vollzieht, die meist mit den beiden Stichworten "Individualisierung" und "Pluralismus" beschrieben werden.65 So stellt sich der Praktischen Theologie die Aufgabe, auf der einen Seite - in heuristischer Hinsicht - durch Verwendung eines funktionalen Religionsverständnisses Entwicklungen in der Gesellschaft aufzuspüren, die eine Konzentration auf direkt kirchliche Praxis und die Inhalte christlichen Glaubens ausblenden würde, die aber zumindest indirekt für kirchliche Praxis von Bedeutung sind, insofern hier gesellschaftliche Grundbedingungen für den Umgang mit religiösen Fragen und damit auch für die Praxis der Kirche in den Blick kommen. Auf der anderen Seite sind aber diese Erkenntnisse, soll Praktische Theologie nicht in eine Subdisziplin der Religionswissenschaften aufgelöst werden, auf die kirchliche Praxis zu beziehen mit dem Ziel, "religiöses Suchen und kirchliches Handeln kongruenter (zu) vermitteln".66

3.2.

Ein solches heuristisch orientiertes Suchen nach neuen Gestaltungsformen des Umgangs mit Fragen und Problemen, für die auch christlicher Glaube Deutungshilfen gibt, nimmt das Anliegen der "modernen" Praktischen Theologen mit ihrer Hinwendung zur Empirie auf. Allerdings - und hieran kann ein Studium ihrer kirchenkundlichen Arbeiten erinnern - darf darüber nicht die Beschäftigung mit den konkreten Vollzügen in den Kirchen vergessen werden. Vielmehr gilt es - so wie es damals in Kooperation mit der Volkskunde geschah -, die Erkenntnisse, die mittels eines funktionalen Religionsverständnisses gewonnen wurden, für die Beschäftigung mit der konkreten kirchlichen Praxis fruchtbar zu machen. Dabei dürfte - wie schon in den Arbeiten zur Kirchenkunde am Anfang des 20. Jh.s - Praktische Theologie eine deutlich regionalspezifische Prägung bekommen, die es dann wiederum mit den allgemeinen Globalisierungstendenzen zu vermitteln gilt.

Methodologisch gilt es hier, ein Gleichgewicht zwischen qualitativen Studien, die vor allem heuristisch von Interesse sind, und quantitativen Erhebungen zu wahren, die allein eine Verzerrung der Wahrnehmung der Gesamtwirklichkeit verhindern können.67 Dabei bedarf die empirische Arbeit sorgfältig geklärter Rahmenkonzepte und Begriffe, soll es nicht zu einer bloßen Bestätigung von Vorurteilen und einseitiger Wirklichkeitswahrnehmung kommen.68

3.3.

Es ist nicht sinnvoll, vor allem in der Frühzeit der dialektischen Theologie gebräuchliche Kampfbegriffe wie "Wort Gottes" oder "Verkündigung", vielleicht auch "Offenbarung"69, wieder direkt in den praktisch-theologischen Diskurs einführen zu wollen, insofern sie wenig aufgeklärte, mit der gesellschaftlichen Realität unvermittelte Implikationen mit sich führen. Doch erinnert der Ruf zur "Sache" an die unverzichtbare Bedeutung inhaltlicher Arbeit für Praktische Theologie. Gerade in einer "häretischen" Gesellschaft, in der also grundsätzlich auch die Daseins- und Wertorientierung zur Wahl steht,70 bekommt die Frage nach den Inhalten neue Bedeutung.

Praktische Theologie hat in dieser Situation die wichtige Aufgabe, nach Verknüpfungsstellen zwischen Inhalten christlichen Glaubens und Plausibilitäten sowie Einstellungen heutiger Menschen, funktional gesprochen: deren "Religion", zu suchen.71 Dabei ist zu beachten, dass - bei aller scheinbarer Abständigkeit subjektiver Daseins- und Wertorientierung - in unserem Kulturraum meist ein Zusammenhang zu christlichen Inhalten besteht. Hier ist - auf der Basis historischen Wissens um die Christentums- und Kirchengeschichte - die hermeneutische Kompetenz Praktischer Theologie gefragt, die auch - entgegen dem ersten Augenschein - Verknüpfungsmöglichkeiten aufdeckt.72

Voraussetzung für diese hermeneutische Aufgabe ist auf der anderen Seite die klare Vorstellung von den zentralen, unverzichtbaren Inhalten christlichen Glaubens. Hier weist die wissenssoziologische Einsicht in die Bedeutung von Ritualen für die Sicherung fundamentaler Wissensbestände73 den Weg. In den beiden seit Beginn des Christentums grundlegenden Riten, der Taufe und des Abendmahls, dürften wohl die wesentlichen Einsichten christlichen Glaubens sowohl in verbaler als auch nonverbaler Weise repräsentiert sein. Für Praktische Theologie, die sich der Aufgabe inhaltlicher Präzision bei der Verknüpfung christlicher Inhalte mit "subjektiver Religion" stellt, wird eine entsprechende Beschäftigung mit den beiden Sakramenten eine gute Hilfe bei der unverzichtbaren Elementarisierungsaufgabe sein.74 Gerade das Ineinander von verbalen und nonverbalen Inhalten im Ritual gewährt eine Flexibilität im inhaltlichen Bereich, die aber durch einen klaren, orientierenden Richtungssinn bestimmt ist.

Konkret scheinen sich mir gegenwärtig die in den Diskursen um das Zeitverständnis und das Sicherheitsbedürfnis zum Ausdruck kommenden Fragen und Probleme als solche Anknüpfungspunkte anzubieten.75

3.4.

Das handlungswissenschaftliche Verständnis Praktischer Theologie, wie es Karl-Fritz Daiber zusammenhängend präsentierte, macht darauf aufmerksam, dass die Bestimmung eines wissenschaftlichen Fachs auch die Frage einer Operationalisierung von Konzepten in konkrete Forschungspraxis beachten muss. Angesichts der in den letzten dreißig Jahren expansiven Differenzierung der Forschungsansätze und -methoden im Bereich der Erfahrungswissenschaften, mit denen die Praktische Theologie das empirische Interesse teilt, stellt sich hier eine schwere Aufgabe. Einerseits kann Praktische Theologie nicht hinter den in anderen Fächern gewonnenen methodischen Standards zurückbleiben, andererseits sind hier die Forschungskapazitäten im Vergleich zu anderen Wissenschaften eher gering.

In dieser Situation erscheinen zum einen eine deutliche Beschränkung des Forschungsfelds, zum anderen eine interdisziplinäre Kooperation unerlässlich. Der die Praktische Theologie von Beginn an prägende Bezug auf die Leitungsaufgabe von Kirche erscheint mir gerade heute unverzichtbar, wenn dabei - wie in 3.1. ausgeführt - der Zusammenhang zwischen Kirche und individuellen Formen der Daseins- und Wertorientierung nicht ausgeblendet wird. Allerdings wird in Zukunft sehr viel stärker die gerade für die evangelische Kirche von ihrem ekklesiologischen Ansatz des Priestertums aller Glaubenden charakteristische76 Ausdifferenzierung der Leitung zu beachten sein als dies in der traditionell noch immer häufig anzutreffenden Fixierung praktisch-theologischer Arbeit auf den Pfarrberuf zum Ausdruck kommt. Nicht zuletzt in der Ausbildung künftiger Pfarrerinnen und Pfarrer ist es wichtig, die (mögliche) Breite der Leitung von Kirche - repräsentiert durch die Vielzahl ehren- und hauptamtlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - ins Bewusstsein zu rufen und so u. a. darauf hinzuweisen, dass die in 3.1. beschriebenen Prozesse auch die Leitungsebene von Kirche betreffen.

4. Probleme und Chancen der neuen Ansätze

4.1.

Mustert man auf dem eben skizzierten problemgeschichtlichen Hintergrund der Entwicklung Praktischer Theologie die beiden eingangs vorgestellten Entwürfe, so fällt auf, dass sie mit ihrem
Bestreben, möglichst umfassend Religionspraxis wahrzunehmen, an die - kurz unter 2.2. skizzierte - Phase der liberalen Praktischen Theologie anknüpfen.77 Allerdings unterscheiden sie sich hiervon, ohne dass dies markiert wird, in der Ausdehnung des Gegenstandbereichs, konkret in der geringen Berücksichtigung der Kirchen. Dazu kommt, dass sich offensichtlich - wiederum unter der Hand - das Religionsverständnis geändert hat. War es für Niebergall noch selbstverständlich, dass sich Praktische Theologie auf die christliche Religion bezieht - mit dem Ziel, der Erziehung christlicher Gemeinde zu dienen -,78 so scheint zumindest im Marburger Graduiertenkolleg in manchen Beiträgen dieser Horizont weit überschritten. - Dass diese Ausweitung die Praktische Theologie aus dem Gesamtzusammenhang der Theologie herauslöst und so letztlich - entgegen ihrer Intention - interdisziplinäre Arbeit unmöglich macht, ist eine nicht von der Hand zu weisende Gefahr. Umgekehrt kann- und hierin liegt zweifellos das Recht der Anstöße aus Marburg und Frankfurt - eine zu enge Konzentration praktisch-theologischer Arbeit auf explizit kirchliche Praxis zu einem Ausblenden eben hierfür relevanter Phänomene führen.

Der schon in der Arbeitsform des Graduiertenkollegs implizierte interdisziplinäre Ansatz dürfte deshalb für Praktische Theologie zunehmend unverzichtbar sein (und müsste auch in seiner Bedeutung für die praktisch-theologische Ausbildung reflektiert werden). Er kann aber nur gewinnbringend - und zwar sowohl für die Theologie als auch die jeweils kooperierende Wissenschaft - sein, wenn Praktische Theologie sich auch deutlich vom Frage-interesse her als theologische, d. h. auf die Förderung der Kommunikation des Evangeliums zielende Theorie gegenwärtiger Religionspraxis präsentiert. Entsprechende, obgleich nur eher vereinzelte Ansätze hierzu finden sich bei Failing und Heimbrock und verdienen stärkere Berücksichtigung.

Eine wichtige Aufgabe einer solchen interdizplinär arbeitenden Praktischen Theologie (!) ist - und hier liegt das bleibende Recht des ansonsten eher problematischen Rufs zur "Sache" in der dialektisch-theologischen Phase - die theologische Interpretation nichttheologischer Diskurse,79 die zum einen den entsprechenden Wissenschaften neue Impulse geben könnte, zum anderen aber durch die theologisch reflektierte Aufnahme entsprechenden Wissens die Kommunikation des Evangeliums in der gegenwärtigen Gesellschaft fördern hilft, insofern nicht abständige Traditionen "übermittelt" werden, sondern gegenwärtiges Leben in christlicher Perspektive erschlossen wird. Dazu wird Praktische Theologie in hohem Maße auf die enge Kooperation mit den anderen theologischen Disziplinen angewiesen sein.

4.2.

Von dem beide Ansätze charakterisierenden heuristischen Grundanliegen her ist die Konzentration auf eine qualitativ empirische Methodik einleuchtend. Schon bei Niebergall findet sich deutliche Distanz zu Statistiken, demgegenüber er aber "typische Einzelerkenntnisse" erstrebt.80 Allerdings ermöglichen mittlerweile faktoren-, regressionsanalytische und ähnliche Verfahren einen genaueren und differenzierteren Umgang mit statistischen Daten. Zwar bleibt auch solcher verfeinerter quantitativer Methodik das genaue Innenleben etwa befragter Personen verborgen81 bzw. sind sie wenig geeignet, sich anbahnende Tendenzen zu erfassen. Aber allein ihre Anwendung kann verhindern, dass Singuläres unter der Hand verallgemeinert und allgemeiner Bedeutungsvolles übersehen wird.

Betrachtet man auf diesem Hintergrund die materialen Ausarbeitungen in beiden Büchern, fallen sofort zwei erhebliche Lücken auf, die allerdings schon bisher - leider - für praktisch-theologische Arbeit typisch waren, bei sorgfältigem Studium quantitativer Erhebungen aber vermeidbar wären:



- Die Bedeutung der elektronischen Massenmedien wird nicht (hinreichend) berücksichtigt,82 was in seiner Problematik schon ein Blick in das durchschnittliche Zeitbudget der Deutschen aufweist.

- Dazu bleibt, was angesichts der geforderten Ausdehnung des Forschungsgebiets der Praktischen Theologie einigermaßen merkwürdig wirkt, die Rede von "Kirche" auf die evangelischen Kirchen beschränkt. Schon ein flüchtiger Blick in die Bevölkerungsstatistik macht deutlich, dass mittlerweile in Deutschland die Zahl der römisch-katholischen Kirchenmitglieder der der evangelischen etwa gleich ist. Angesichts der zunehmenden familiären Vermischung der beiden großen Konfessionen in Deutschland und der - trotz Auflösung der geschlossenen konfessionellen Milieus - deutlichen Unterschiede in derFrömmigkeitspraxis ist diese Ausblendung ein schweres Manko. Müsste für evangelische Praktische Theologie83 der Kooperation mit katholischer Pastoraltheologie (bzw. Praktischer Theologie) nicht ebenso großes Gewicht wie der mit anderen nichttheologischen Wissenschaften zukommen?

Dies ist theologisch deshalb besonders wichtig, weil gerade im Zentrum christlicher Praxis, dem (keineswegs auf die Zusammenkunft am Sonntagvormittag reduzierbaren) Gottesdienst, nicht unerhebliche konfessionelle Differenzen liegen, deren Bearbeitung praktisch-theologisch sehr innovativ sein kann.84

4.3.

So weisen die beiden Vorschläge zu einem neuen Verständnis der Praktischen Theologie zu Recht auf die Bedeutung genauer
Wahrnehmung religiöser Praxis angesichts allgemeiner gesellschaftlicher und kultureller Veränderungen hin.

Allerdings zeigt schon das freimütig von Schwab offengelegte Defizit eines die unterschiedlichen Marburger Forschungsprojekte verbindenden Religionsbegriffs, dass eine Überbetonung dieses heuristischen Anliegens zu einem Verlust des Gegenstandsfeldes (und damit wohl letztlich auch der Wissenschaftlichkeit) führen kann. Die gleichzeitige Ausblendung katholischer Religionspraxis weist zudem darauf hin, dass offensichtlich auch im kirchlich-institutionell gebundenen Terrain noch Gebiete auf "Neuvermessung" durch die Praktische Theologie (!), also eine an der Förderung der Kommunikation des Evangeliums interessierte Wissenschaft, warten; für den Alltag der meisten Zeitgenossen gilt dies ebenso hinsichtlich der elektronischen Massenmedien. Damit sei keineswegs die Bedeutung einer "Religionsforschung" als Kulturwissenschaft bestritten; sie hat zweifellos wichtige Aufgaben, auch für die Praktische Theologie in heuristischer Sicht. Sie ist aber nicht mit Praktischer Theologie zu verwechseln, die ihren wesentlichen Impuls im Anliegen hat, Menschen das Angebot Gottes im Evangelium nahezubringen.

Summary

After a period of consolidation Practical Theology is in a process of change. Two new approaches are presented and discussed here: the teamwork of Wolf-Dieter Failing and Hans-Günter Heimbrock "Gelebte Religion wahrnehmen" (Perceiving Living Religion), and a survey of papers read at the Graduiertenkolleg in Marburg about "Religion in der Lebenswelt der Moderne" (Religion in the Modern Life).

This essay considers the use of history as a way of understanding the problems facing Practical Theology today. They are connected with the discoveries of recent sociological analysis. Thus "religion" understood here in its widest sense is open to new phenomena outside the institutional churches. The plea for Practical Theology’s cooperation with other disciplines has to be supported. However, to leave out theology and the institutional churches runs the risk of loosing the theology inherent in Practical Theology. Practical Theology will change in this way into religious science.

Fussnoten:

1) Jenseits der praktisch-theologischen Fachdiskussion verdanke ich wesentliche Einsichten und Anregungen meinem Vater, Dr. jur. utr. Gerhard Grethlein, der zwanzig Jahre lang als Oberkirchenrat in leitender Verantwortung für die Gestaltung von Kirche stand. Ihm seien in tiefer Dankbarkeit meine Ausführungen als Gruß zum 75. Geburtstag zugedacht.

2) S. die Zusammenstellung entsprechender "Urteile" von Ritschl über Wellhausen bis Barth und Althaus bei V. Drehsen: Neuzeitliche Konstitutionsbedingungen der Praktischen Theologie. Aspekte der theologischen Wende zur sozialkulturellen Lebenswelt christlicher Religion, Gütersloh 1988, 13.

3) S. D. Rössler: Grundriß der Praktischen Theologie, Berlin u. a. 1986, 3.

4) S. ebd. 78-92.

5) G. Otto: Grundlegung der praktischen Theologie, München 1986, 21 f.

6) Ebd. 73. f.

7) Ebd. 74.

8) Vgl. auch die Sammelrezension von M. Meyer-Blanck: Neuere Entwürfe zur Praktischen Theologie, in: ThR 64 (1999) 197-216.

9) 1992 begannen im Kohlhammer-Verlag die Reihe "Praktische Theologie heute" (mittlerweile etwa 40 Bände) und im de Gruyter Verlag (seit 1998 Evangelische Verlagsanstalt) die "Arbeiten zur Praktischen Theologie" (mittlerweile etwa 15 Bände) zu erscheinen.

10) S. das von Wilhelm Gräb und Richard Osmer verfasste Editorial des "International Journal of Practical Theology" in: IJPT 1 (1997) 6-10.

11) So das Vorwort von W.-E. Failing, H.-G. Heimbrock: Gelebte Religion wahrnehmen. Lebenswelt - Alltagskultur - Religionspraxis, Stuttgart 1998, 9.

12) U. Schwab: "Religion in der Lebenswelt der Moderne" - eine Innenperspektive des Marburger Graduiertenkollegs, in: K. Fechtner, M. Haspel [Hrsg]: Religion in der Lebenswelt der Moderne, Stuttgart 1998, 22.

13) Vgl. etwa W. Gräb: Lebensgeschichten - Lebensentwürfe - Sinndeutungen. Eine praktische Theologie gelebter Religion, Gütersloh 1998, oder auch A. Grözinger: Praktische Theologie als Kunst der Wahrnehmung, Gütersloh 1995.

14) S. H.-G. Heimbrock, H. Streib [Hrsg.]: Magie: Katastrophenreligion und Kritik des Glaubens. Eine theologische und religionstheoretische Kontroverse um die Kraft des Wortes, Kampen 1994.

15) H.-G. Heimbrock: Theologie auf dem Wege zur Lebensweltorientierung. Eine Außensicht des Marburger Graduiertenkollegs, in: Fechtner/Haspel: Religion, 227-250.

16) Failing/Heimbrock 9.

17) Besonders in jüngster Zeit bei P. C. Bloth: Praktische Theologie, Stuttgart 1994.

18) W.-E. Failing, H.-G. Heimbrock: Ausblick. Von der Handlungsorientierung zur Wahrnehmungstheorie und zurück, in: dies.: Religion, 289.

19) K. Fechtner, M. Haspel: Einleitung, zu: dies., Religion, 7.

20) Failing/Heimbrock, Ausblick, 281; vgl. auch ebd. 277.

21) Schwab: Religion, 19.

22) S. ebd. 22.

23) S. z. B. W.-E. Failing: Lebenswelt und Alltäglichkeit in der Praktischen Theologie, in: ders./Heimbrock, Religion, 146; vgl. umfassender die Beiträge in: H.-G. Heimbrock [Hrsg.]: Religionspädagogik und Phänomenologie. Von der empirischen Wendung zur Lebenswelt, Weinheim 1998.

24) H.-G. Heimbrock: Welches Interesse hat Theologie an der Wirklichkeit? Von der Handlungstheorie zur Wahrnehmungswissenschaft, in: Failing/Heimbrock : Religion, 34 f.

25) Failing: Lebenswelt, 152.

26) Schwab: Religion, 20.

27) Ebd. 23; vgl. ebd. auch den - wissenschaftstheoretisch rätselhaften - Hinweis auf eine "Portion postmoderner Offenheit".

28) Vgl. hierzu jetzt Chr. Grethlein, M. Meyer-Blanck [Hrsg.]: Geschichte der Praktischen Theologie. Dargestellt anhand ihrer Klassiker, Leipzig 1999 bzw. 2000.

29) Vgl. auch die Periodisierung der Praktischen Theologie bei H. Schröer: Art. Praktische Theologie, in: TRE 27(1997), 197-208; zur etwas anders verlaufenden Entwicklung in der katholischen Praktischen Theologie s. E. Weinzierl, G. Griesl [Hrsg.]: Von der Pastoraltheologie zur Praktischen Theologie 1774-1974, Salzburg 1976.

30) S. zu den ideengeschichtlichen Voraussetzungen der neuen Disziplin in der sich in Orthodoxie und Pietismus anbahnenden, in der Aufklärung vollzogenen Unterscheidung von Theologie und Religion B. Ahlers: Die Unterscheidung von Theologie und Religion. Ein Beitrag zur Vorgeschichte der Praktischen Theologie im 18. Jahrhundert, Gütersloh 1980.

31) S. Drehsen: Konstitutionsbedingungen Bd. 2, 2 (Anm. 1).

32) S. genauer W. Gräbs Beitrag in Grethlein, Meyer-Blanck, Geschichte.

33) S. C. I. Nitzsch: Praktische Theologie (in 3 Bd.en), Bonn 1847, 1848, 1857/67 (s. hierzu genauer den Beitrag von E. Hauschildt in: Grethlein, Meyer-Blanck, Geschichte). Nur wenig bekannt ist, dass bereits Theodor Albert Liebner: Die praktische Theologie, in ThStKr 16 (1843), 17 (1844) 135 f. die "Selbsttat der Kirche an sich selbst als Kirche, die Selbsttat also, in welcher sich die Kirche fortwährend des christlichen Lebens vermittelt" (zitiert nach G. Krause: Praktische Theologie. Texte zum Werden und Selbstverständnis der praktischen Disziplin der Evangelischen Theologie, Darmstadt 1972, 59) als Gegenstand und Inhalt der Praktischen Theologie bezeichnete.

34) S. P. Bloth: Praktische Theologie, Stuttgart 1994, 48.

35) S. hierzu G. Krause: Art. Erbauung. Theologiegeschichtlich und praktisch-theologisch, in: TRE 10 (1982), 22-28.

36) G. Ebeling: Dogmatik des christlichen Glaubens Bd. 3, Tübingen 1979, 333 f.

37) Die Gründung der ersten eigenen "Zeitschrift für Praktische Theologie" 1879 ist - neben der Tatsache, dass in der zweiten Hälfte des 19. Jh.s die Theologischen Fakultäten eigene Lehrstühle für das neue Fach einrichten - ein deutliches Indiz für die zunehmende Professionalisierung praktisch-theologischer Arbeit.

38) Besonders eindrücklich tritt sie in dem bis heute unter historischer Perspektive unverzichtbaren voluminösen Lehrbuch von E. Chr. Achelis: Praktische Theologie, Freiburg 1890 f. (2 Bde., ab 31911 3 Bde.) hervor.

39) Im Hintergrund stand auch die Tatsache, dass bei der Lektüre der Pfarrer die gelehrten, teilweise mehrbändigen Werke der "Praktischen Theologie" die klassischen Pastoraltheologien nicht verdrängen konnten.

40) S. H. v. Bassi: Otto Baumgarten. Ein "moderner Theologe" im Kaisserreich und in der Weimarer Republik, Frankfurt 1988, 346 f.

41) P. Drews: Das Problem der Praktischen Theologie. Zugleich ein Beitrag zur Reform des theologischen Studiums, Tübingen 1910.

42) Ebd. 54 f.

43) P. Drews: Dogmatik oder religiöse Psychologie?, in: ZThK 8 (1898), 145.

44) P. Drews: "Religiöse Volkskunde", eine Aufgabe der praktischen Theologie, in: MKP 1 (1901), 5.

45) Drehsen: Konstitutionsbedingungen Bd. 1, 449.

46) S. Chr. Grethlein: "Die Praktische Theologie lechzt nach Tatsachen ..." Eine praktisch-theologische Erinnerung an Paul Drews, in: U. Schnelle [Hrsg.]: Reformation und Neuzeit. 300 Jahre Theologie in Halle, Berlin 1994, 383 f.

47) Hierauf weist schon sein Vorschlag hin, die Praktische Theologie an der Universität von den "spezifisch technischen Fächer(n): Homiletik, Katechetik, Seelsorge, Liturgik" zu entlasten und diese an den (neu zu gründenden) Predigerseminaren zu lehren (Drews: Problem 79).

48) S. genauer zu dieser Epoche in der Praktischen Theologie den Beitrag von R. Schmidt-Rost in: Grethlein, Meyer-Blanck, Geschichte.

49) Theologiegeschichtlich besonders wirksam war der "Aufruf der 93 Intellektuellen", zu denen auch Adolf v. Harnack zählte, der die Kriegspolitik Kaiser Wilhelm II. unterstützte.

50) S. z.B. schon 1905 Friedrich Niebergall: "Die Wasser des Relativismus steigen vielen bis an den Hals. Wer sich noch seine alte Religion bewahren möchte, hat es unendlich schwer, das feststehende Absolute zu halten, wo alles im Fließen scheint, wo sich das Transzendente und Ewige als subjektive Projektion des Bedürfnisses in die Außen- und in eine Überwelt erweist." (zitiert nach: G. Hummel, Hrsg.: Die Aufgabe der Predigt, Darmstadt 1971, 23 f.).

51 S. hierzu exemplarisch den Abschnitt "Die religionswissenschaftliche Grundlage" in F. Niebergall: Praktische Theologie. Lehre von der kirchlichen Gemeindeerziehung auf religionswissenschaftlicher Grundlage Bd. 1, Tübingen 1918, 9 f.

52 S. als Überblick Chr. Grethlein: Religionspädagogik, Berlin 1998, 138-173.

53) S. als Überblick R. Riess: Seelsorge. Orientierung, Analysen, Alternativen, Göttingen 1973, 186-244.

54) S. als Überblick H. M. Müller: Homiletik, Berlin 1996, 157-169.

55) S. zur etwas anderen Entwicklung in der evangelischen Liturgik H.-Chr. Schmidt-Lauber: Begriff, Geschichte und Stand der Forschung, in: ders., K.-H. Bieritz [Hrsg.]: Handbuch der Liturgik, Leipzig 21995, 26-36.

56) Es ist nicht zufällig, dass die durch die dialektische Theologie bestimmte Phase kein eigenes Lehrbuch der Praktischen Theologie hervorbrachte.

57) S. - auch zum weiteren - H. Schröer: Die theologischen Voraussetzungen kirchlicher Gestaltung, in: PTh 17 (1986), 430-437.

58) S. z. B. G. Otto: Praktische Theologie als kritische Theorie religiös vermittelter Praxis in der Gesellschaft. Zur Einleitung und Standortbestimmung, in: ders., Hrsg., Praktisch theologisches Handbuch, Hamburg 21975, 9-31.

59) H.-D. Bastian: Praktische Theologie und Theorie, in: ThPr 9 (1974), 85-96.

60) S. K.-F. Daiber: Grundriß der Praktischen Theologie als Handlungswissenschaft. Kritik und Erneuerung der Kirche als Aufgabe, München 1977, 23.

61) Ebd. 142.

62) N. Luhmann: Funktion der Religion, Frankfurt 21990, 232.

63) M. Haspel: Kontextuelle Theologie, organisierte Religion und gesellschaftlicher Wandel. Die evangelischen Kirchen in der DDR und die schwarzen Kirchen in den USA als Beispiele, in: Fechtner/Haspel: Religion 192.

64) Das Brandenburger Unterrichtsfach "Lebensgestaltung - Ethik - Religionskunde" (LER) ist wohl das gegenwärtig eindrücklichste Beispiel hierfür.

65) S. die knappe Zusammenfassung der entsprechenden Diskurse in Grethlein: Religionspädagogik, 270-276.

66) H.-G. Ziebertz: Religion, Christentum und Moderne. Veränderte Religionspräsenz als Herausforderung, Stuttgart 1995, 11.

67) Ein gutes Beispiel für die nach wie vor unverzichtbare Bedeutung quantitativer Forschung ist im religions- und kirchenrelevanten Bereich die Familienforschung. Während qualitativ ausgerichtete Studien sehr schnell den Eindruck erwecken können, dass Familie eine weithin überholte Institution ist, zeigen statistische Daten ein deutlich anderes Bild (s. z. B. R. Nave-Herz: Familie heute. Wandel der Familienstrukturen und Folgen für die Erziehung, Darmstadt 1994).

68) Ein Beispiel hierfür ist z. B. die Klärung des Gottesdienstbegriffs. Wenn - wie weithin üblich (und theologisch unreflektiert) - Gottesdienst mit der liturgischen Veranstaltung am Sonntagvormittag gleichgesetzt wird, ist ein empirisch negativer Befund schon im Ansatz inkludiert ("Die Kirchen werden immer leerer"). Ein theologisch reflektiertes, etwa an Röm 12,1 f. orientiertes Gottesdienstverständnis, das auch sog. Sondergottesdienste wie den Weihnachtsgottesdienst oder die sog. Kasualien berücksichtigt, kann eine viel differenziertere empirische Forschung initiieren.

69) S. aber W. Engemann: Die Erlebnisgesellschaft vor der Offenbarung - ein ästhetisches Problem? Überlegungen zum Ort und zur Aufgabe der Praktischen Theologie heute, in: A. Grözinger, J. Lott [Hrsg.]: Gelebte Religion. Im Brennpunkt praktisch-theologischen Denkens und Handelns, FS G. Otto, Rheinbach 1997, 329-351.

70) S. P. L. Berger: Der Zwang zur Häresie. Religion in der pluralistischen Gesellschaft, Frankfurt 1980.

71) S. Ziebertz: Religion, 46; zur Frage des ja innerhalb der dialektischen Theologie kontrovers diskutierten sog. "Anknüpfungspunktes" s. aus religionspädagogischer Sicht H. B. Kaufmann: Zum Verhältnis pädagogischen und theologischen Denkens, in: E. Goßmann, H. B. Kaufmann [Hrsg.]: Forum Gemeindepädagogik. Eine Zwischenbilanz, Münster 1987, 17-21.

72) S. Ziebertz: Religion, 53.

73) S. P. L. Berger, Th. Luckmann: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie, Frankfurt 1980, 75.

74) Soll dies gelingen, muss es zur engen Kooperation der einzelnen praktisch-theologischen Disziplinen, vor allem Religionspädagogik und Liturgik kommen.

75) Vgl. in religionspädagogischer Zuspitzung meine entsprechenden Versuche in: Religionspädagogik, 260-270 bzw. 279-287; vgl. die auch unter praktisch-theologischer Perspektive hochinteressanten Überlegungen in: J. Audretsch, H. Weder, Kosmologie und Kreativität. Theologie und Naturwissenschaft im Dialog, Leipzig 1999.

76) Vgl. aber zum ökumenischen Horizont H.-M. Barth: Einander Priester sein. Allgemeines Priestertum in ökumenischer Perspektive, Göttingen 1990.

77) S. z. B. explizit unter Bezug auf Niebergall Failing: Lebenswelt, 150, und auf Drews und Niebergall Schwab: Religion, 17.

78) S. z. B. F. Niebergall: Praktische Theologie. Lehre von der kirchlichen Gemeindeerziehung auf religionswissenschaftlicher Grundlage. Bd.1, Tübingen 1918, 2.

79) Vgl. ähnlich Meyer-Blanck: Entwürfe 203.

80) S. Niebergall: Theologie 34 f.

81) Dies gilt aber auch für die Anwendung qualitativer Methodik, insofern das Subjektsein der Befragten bzw. Untersuchten respektiert wird.

82) Vgl. hierzu meine Hinweise, die auch - wenigstens andeutungsweise - die in den Bilderstreitigkeiten gewonnenen Erkenntnisse christlicher Theologen zu den Medien aufzunehmen versuchen, in: Grethlein: Religionspädagogik 347-385.

83) Angesichts der Ausblendung katholischer Religion und Kirche auch in den stark religionswissenschaftlichen Beiträgen des Marburger Kollegs drängt sich die - zugegebenermaßen spöttische - Frage auf, ob die Praktische Theologie hier in eine "evangelische" Religionswissenschaft überführt werden soll.

84) Am deutlichsten kommt dies m. E. gegenwärtig in den Beiträgen katholischer Liturgiewissenschaftler zur "Ökumenischen Liturgiewissenschaft" zum Ausdruck (s. exemplarisch F. Lurz: Die Feier des Abendmahls nach der Kurpfälzischen Kirchenordnung von 1563, Stuttgart 1998, vor allem 17-47).