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Ausgabe:

Januar/2000

Spalte:

112 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Mottu, Henry

Titel/Untertitel:

Le geste prophétique. Pour une pratique protestante des sacrements.

Verlag:

Genève: Labor et Fides 1998. 285 S. gr.8 = Pratiques, 17. ISBN 2-8309-0885-6.

Rezensent:

Dagmar Heller

Wie der Titel dieses Buches bereits andeutet, geht es Henry Mottu (Professor für Praktische Theologie an der Theologischen Fakultät der Universität Genf) um die Praxis der Sakramente im protestantischen Bereich. Er beobachtet in den protestantischen Kirchen ein Defizit auf liturgischem Gebiet: durch eine Überbetonung des rationalen Aspekts und damit des Wortes, ist der körperliche Aspekt der Liturgie, die Beachtung der Gestik, verlorengegangen. Um die Zusammengehörigkeit und Gleichwertigkeit beider Aspekte wiederzugewinnen, setzt M. bei der prophetischen Dimension von Gesten ein. Seiner Ansicht nach gehen die Sakramente im Christentum auf prophetische Handlungen zurück, die es nun neu zu entdecken gilt, um die Riten von innen zu verwandeln und ihre Wahrheit und ihre Wirkung wiederzufinden. Er will damit die protestantische Sakramententheologie wieder "im biblischen Gelände einwurzeln, das sie nie hätte verlassen dürfen".

Nach M. sind Sakramente "messianische symbolische Handlungen", die in der Kraft des Heiligen Geistes verwirklicht werden (94). In dieser Perspektive ist "Christus allein in seiner Menschheit das grundlegende Sakrament des Heils". Die Kirche wird zu einem sakramentalen Zeichen. Die Sakramente sind weniger auf ein Einsetzungswort gegründet als auf die Gesamtheit des Lebens und Tuns Jesu.

Auf diesem Hintergrund wird die Liturgie als prophetische Handlung untersucht. Es geht um die Bedingungen, unter denen die Liturgie zu einer tatsächlichen Wiederholung der Handlungen und Gesten Christi wird. M. arbeitet daher die Bedeutung der Gestik als Trägerin von Sinn und als Vermittlerin einer Absicht heraus. Er will das Sakrament entmythologisieren, um den prophetischen Kern darin zu finden (163). Dies führt dann dahin, dass es im eigentlichen Sinn keine Sakramente mehr gibt, sondern nur symbolische Gesten, die zwar rituell durchgeführt werden, aber eigentlich prophetisch sind. Dabei handelt es sich um Gebet, Taufe, Eucharistie, Krankensalbung, Handauflegung, Trost für Geprüfte, Solidarität zwischen den Kirchen, Handeln gegen das Böse. Für M. muss das Sakrament in unserer Wirklichkeit verankert sein. Daher ruft er dazu auf, für die Zukunft über die Sakramente und ihre Verankerung in einer säkularisierten Welt nachzudenken.

Die Beobachtungen M.s im Hinblick auf die Sakramentenpraxis in seiner eigenen Kirche sind sicher richtig, und er ist nicht der erste, der hier Kritik anbringt. Sein Ansatz, vom prophetischen Aspekt her ein neues Bewusstsein für die liturgische Praxis zu gewinnen, ist interessant und herausfordernd, denn er kann die Sakramente in eine fruchtbare Spannung zwischen Wiederholbarkeit und einzigartigem Anlass stellen. - Allerdings sollte für eine Erneuerung der Liturgie und damit des Ritus nicht außer Acht gelassen werden, dass die Sakramente, die sich im Christentum herausgebildet haben, auch Urspünge in alttestamentlichen Riten haben.

Leider wird letztlich auch nicht ganz einsichtig, was die detaillierte Untersuchung der alttestamentlichen Stellen für die letztlich liturgischen Fragen austrägt. Die Problematik, die darin besteht, dass der prophetische Aspekt und damit die "Prägnanz" auf die M. immer wieder hinauswill, nicht liturgisch ,machbar’ ist, wird nicht diskutiert.

Da am Ende des Buches das ökumenische Anliegen betont wird, muss sich der Autor auch die Frage stellen lassen, warum die Untersuchung methodisch so stark von der reformierten bzw. reformatorischen Theologie geprägt bleibt. Könnte im Hinblick auf die Gestik nicht auch von anderen Traditionen gelernt werden? Von daher würde auch die Methode, nur auf Altes und Neues Testament zurückzugreifen, ohne die 2000-jährige Entwicklung mit in Betracht zu ziehen, die nicht einfach als Fehlentwicklung abgetan werden kann, zu hinterfragen sein. Ein umfassenderer Ansatz in dieser Richtung könnte auch mehr Klarheit bei der Verwendung des Begriffs "Sakrament" schaffen, wo bei M. eine gewisse Inkohärenz festzustellen ist, die es Lesern stellenweise nicht ganz leicht macht, dem Gedankengang zu folgen. Letztlich geht es um hermeneutische Grundfragen, die ungeklärt bleiben.

Nachdenkenswert bleibt allerdings die Aufforderung, über die Sakramente in einer säkularen Welt nachzudenken. Hier tut sich ein weites Arbeitsfeld auf, das aber nur ökumenisch, zusammen mit anderen theologischen Traditionen, angegangen werden kann, wenn es einen Sinn haben soll in einer Welt, in der für den säkularisierten Menschen die Trennung der Kirchen nicht mehr einsichtig ist.