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Ausgabe:

Dezember/2018

Spalte:

1347–1348

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Vondey, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Pentecostal Theology. Living the Full Gospel.

Verlag:

London u. a.: Bloomsbury T & T Clark 2017. 320 S. = T & T Clark Systematic Pentecostal and Charismatic Theology. Geb. £ 85,00. ISBN 978-0-567-27539-4.

Rezensent:

Dirk Puder

»Pfingstliche Theologie entsteht aus Erfahrung.« Diesem Satz würden wohl die meisten Pfingstler zustimmen. Wolfgang Vondeys Buch »Pentecostal Theology« entfaltet diesen Satz sorgfältig und fundiert aus eigener Beobachtung, aus dem Dialog mit einer jüngeren Theologengeneration, die die pfingstliche Erfahrung an­schlussfähig an den theologischen Mainstream gemacht hat, und mit Hilfe der Topoi klassischer systematischer Theologie. Die Betonung liegt dabei auf dem »Er-leben« des Evangeliums.
V.s Ziel ist es, einen Entwurf vorzulegen, der die pentekostale liturgische Tradition als eigenständigen Entdeckungszusammenhang theologischer Aussagen etabliert und auf Augenhöhe mit der römisch-katholischen, der protestantischen und der orthodoxen Tradition steht. Denn pfingstliche Erfahrung, so V., entstehe aus einer fast mystischen Gottesbegegnung am Altar. Die Metapher »Altar« umfasst dabei einerseits ganz real das Herausgerufenwerden und Nach-Vorne-Kommen im Gottesdienst, das Verweilen am Altar als Verweilen in der Nähe Gottes, das transformierende Geschehen in der Taufe mit dem Heiligen Geist und das Zurückkehren in die Welt der Gemeinde und des eigenen Lebens. Andererseits weitet sich das Raumbild der transformierenden Gottesbegegnung bis dahin, dass er von der Schöpfung als kosmischem Altar sprechen kann, der auf die endgültige Transformation wartet. Nun ist Erfahrung einerseits Widerfahrnis und andererseits Reflexion darüber und die pfingstliche Erfahrung der verändernden Gottesbegegnung liegt kommunizierbar nur vermittelt durch individuelle Zeugnisse ( testimonies) vor, gespiegelt auf Affekte, Verhalten, Sichtweisen und Praktiken. In der pentekostalen Religionsformation habe sich daraus ein Narrativ gebildet, welches als »Full Gospel« bezeichnet werden kann und aus den Schritten »Rettung«, »Heiligung«, »Taufe mit dem Heiligen Geist«, »Göttliche Heilung« und »kommendes Reich« besteht, die den christologischen Titeln Jesu als Retter, Heiligender, Täufer mit dem Heiligen Geist, Heiler und kommendem König nachempfunden sind. V. entfaltet diese Schritte im Sprachspiel seiner Altarhermeneutik als gedeutete Erfahrungen eines Veränderungsprozesses des Einzelnen und seines Welterlebens ( embodiment, empowerment) im ersten Teil seines Buches.
Das Kernereignis besteht dabei in der sakramentalen Zueignung der Gaben des Geistes (Spirit baptism), die zu einer Partizipation an der einladenden Gnade Gottes führt und damit zu einer Mitwirkung an Heilung und Erlösung der Welt. Pfingstliche Theologie, so der Direktor des renommierten »Centres for Pentecostal and Charismatic Studies« an der Universität von Birmingham, kommt aus dem Gotteslob und führt in das Gotteslob.
Im zweiten Teil des Buches zeigt V., dass es in pfingstlicher Theologie um mehr geht als nur um eine »Wiederentdeckung« des Heiligen Geistes. Das Pfingstereignis ist, genau wie das Altargeschehen, mehr als nur der Moment der Geistausgießung. Es ist eine komplexe Matrix zur Deutung der Geschichte Gottes mit seiner Schöpfung. Ging es im ersten Teil um eine Ausweitung von der Altarerfahrung zur Welt, so zentrieren sich jetzt Schöpfung, Menschheit, Gesellschaft, Kirche und Gott wieder am Altar. Um diesen »Mehrwert« zu entfalten und zu verankern, greift er auf eine Vielzahl von Studien aus dem jüngeren pfingstlich-theoretischen Bereich zurück, wie die zahlreichen Anmerkungen und Verweise auf Yong, Kärkkäinen, Volf, Macchia und viele andere belegen, und nutzt als qualifizierter Systematiker auch Bezüge zu Moltmann, Mühlen, Jüngel, Tillich und anderen aus dem bisherigen Mainstream theologischen Denkens.
Dass V. auch weiterge­hende kulturwissenschaftliche Ansätze zur Beschreibung der pfingstlichen Erfahrung verarbeitet, wird gelegentlich an seiner Sprachwahl deutlich. Man findet, etwa beim Verweilen in der Gottesnähe (tarrying), Hinweise auf Performanz- und Raumforschung (liminales Erleben, 209; Performanz des Rituals, 281), oder auch in der lokalen Metapher »betwixt and between« als Bezeichnung des transformativen »dritten« Raumes, Stichworte, die in den Kulturwissenschaften zurzeit oft analytisch verwendet werden. Vor allem in den Prolegomena und in der Conclusio gibt er Hinweise zur Semiotik und zu seiner poststrukturalistischen Vorgehensweise (281). Für die pfingstliche Leserschaft intendiert V. dreierlei:
a) Er möchte einen durch und durch pfingstlichen Theologieentwurf schaffen, in dem sich die je partikulare Gruppierung der weltweiten pentekostalen Religionsformation wiederfinden kann. Damit soll einer gewissen Theoriescheu mancher pfingstlichen Anschauungen gewehrt werden.
b) Er möchte innerpfingstliche Diskussionen überbrücken und einen Lösungsweg vorschlagen, z. B. im schon lange währenden so­teriologischen Diskurs zwischen individueller Heilszueignung und Heilung der Welt in all ihren Dimensionen, oder auch im in­nerpfingstlichen Konflikt zwischen Oneness-Befürwortern und Verfechtern eines trinitarischen Ansatzes im Gottesbild. Diese Kontroverse könne, beispielsweise, im christologisch verankerten ge­meinsamen Gotteslob vor dem Altar, so V., überwunden werden (258).
c) Er möchte manche dogmatischen Loci, die bisher noch nicht ausführlich bedacht wurden, pfingstlich-theologisch nutzbar machen, was jetzt leider nicht ausführlich erörtert werden kann. Kurz erwähnt sei nur aus der Anthropologie der Entwurf einer Imago Spiritus im Menschen, der sozusagen die reale, empirische Seite der Imago Dei sei, die über eine verkörperte (embodied) Imago Christi (wahrer Mensch und wahrer Gott) vermittelt werde (181).
Dem nichtpentekostalen Leser eröffnet besonders der erste Teil des Buches zusätzlich einen phänomenologischen Überblick über die Mannigfaltigkeit (aber auch das Grundmuster) pentekostaler li-turgischer Bezüge. Im Zusammenspiel mit dem zweiten Teil liegt also ein mit zahlreichen konstruktiven Anregungen versehener pentekostaler sys­tematischer Entwurf vor, der den Diskurs zwischen Pfingstlern und Nichtpfingstlern über das Thema »Erfahrung« und »Heiliger Geist« positiv voran bringen kann. Zwei An­merkungen seien dazu erlaubt:
a) V. spricht von einer eschatologischen Intensivierung (eschatological inten-sification) und einer apokalyptischen Dringlichkeit (apocalyptic urgency) als pfingstliches Alleinstellungsmerkmal im soteriologischen Zusammenhang von Schöpfung, Kirche und Welt. Dazu nutzt er auch die dualistische Schablone des »Spiritual Warfare« (gute vs. böse Kräfte). Wie kann das Erste für nichtpfingstliche Formationen nutzbar gemacht werden, ohne die Komplexität von Wirklichkeit zu schnell aufzulösen, wie es im Zweiten oft ge­schieht?
b) Das Zitat »not all elements of the cosmos participate in the divine pres-ence with the same intensity« (165) steht beispielhaft für einige Stellen im Buch, die eine empirisch-graduelle Unterschiedlichkeit in Glaubenssachverhalten, hier in der Gegenwart des Geistes, zu postulieren scheinen. Das weiter auszubuchstabieren, ohne in manche Fallstricke zu geraten, könnte spannend werden und trifft vermutlich den Kern des Gespräches zwischen Pfingstlern und Nicht-Pfingstlern.
V.s Buch zeigt anregend konstruktiv, dass die pfingstliche Theologie mehr ist als eine Wiederentdeckung der Pneumatologie. Er entfaltet ein Konzept zur Transformation der Welt hin zur erlösten Schöpfung Gottes als Werk des Heiligen Geistes, antizipiert im gottesdienstlichen Geschehen als Empowerment und Embodiment: Die Erfahrung des Glaubens aus dem Gotteslob.