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Ausgabe:

Dezember/2018

Spalte:

1345–1347

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Söding, Thomas, u. Bernd Oberdorfer [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Kontroverse Freiheit. Die Impulse der Ökumene.

Verlag:

Freiburg i. Br.: Verlag Herder 2017. 384 S. = Quaestiones disputatae, 284. Kart. EUR 38,00. ISBN 978-3-451-02284-5.

Rezensent:

Walter Dietz

Der Sammelband vereint systematisch-theologische und exegetische Beiträge in ökumenischer Perspektive und geht auf eine Ta­gung des Deutschen Ökumenischen Studienausschusses (DÖSTA) aus dem Jahr 2016 zurück. Der Fülle und Inhomogenität der Beiträge wegen können die meisten nur kurz genannt werden, die ersten ökumenisch orientierten Beiträge aber eröffnen in durchaus spannender Weise das Feld der Kontroversen.
Elisabeth Gräb-Schmidt thematisiert Freiheit in anthropologischer Perspektive und stellt mit Luther Sünde als Gegenbegriff heraus, dessen Freiheitsideal mit dem neuzeitlichen Konstrukt einer absoluten Selbstbestimmung als »Kreativität aus dem Nichts« (26) unvereinbar sei. Die neurophysiologische Kritik des Idealismus (Gerhard Roth u.a.) müsse nicht zu einer völligen Bestreitung der Willensfreiheit führen, sondern nur zu der Erkenntnis, dass der Wille stets auf »etwas Vorgegebenes reagiert« (27 Anm.). Das Entscheidende liege im Gebrauch der Freiheit und reformatorisch in ihrer Öffnung für das eigene Schuldbekenntnis, das Freiheit ermögliche (Joh 8,32; 18 ff.). Eberhard Schockenhoff hingegen will (33–54) deutlich machen, dass das Konzept des Erasmus einer »vermittelten Unmittelbarkeit« dem Luthers einer »unmittelbaren Unmittelbarkeit« vorzuziehen ist (in letzterer Beschreibung findet sich der Luther Schleiermachers wieder). Er liest aus Luthers Freiheitsschrift (1520) einen »polemischen Unterton« heraus, der sich gegen kirchliche Vermittlungsinstanzen des Heils richte, insbesondere »gegen den Gedanken einer kirchlichen Sakramentenverwaltung« (38). Andrea Strübind kritisiert die Selbstgewissheit, mit der sich die EKD angesichts der Lutherdekade als »Kirche der Freiheit« chiffriert habe. Die Freiheitsgeschichte der nonkonformistischen Protestanten (Täufer u. a.) passe nicht zur »offiziellen Jubelprosa« und sei unterdrückt worden (57). Mit Thomas Kaufmann geht sie von einer »modernisierungstheoretische[n] Lebenslüge« der EKD (2006/2008) aus (57 f.). Der Beitrag von Daniel Munteanu schließt sich an Rahners transzendentalen Freiheitsbegriff an, der Gnade und Freiheit zusammendenkt. Rahner wird dabei im Horizont der Mystik interpretiert (90 ff.), besonders im Horizont der Mystik Gregor von Nyssas. Die Dimension von Unfreiheit und Sünde wird weithin ausgeblendet, da der Vf. von der »Sakralität des Menschseins« ausgeht (83.99).
Im exegetisch ausgerichteten Teil des Bandes untersucht Barbara Schmitz den Freiheitsbegriff in 3Makk, wobei es um eine Wiederaufnahme von Exodusmotiven geht, die jedoch nicht in das Gelobte Land, sondern in die alexandrinische Diaspora führen: Freiheit wird somit zum Ideal, das sich auch in der Fremde realisieren lässt (117). Robert Vorholt geht in seinem sehr materialreichen Beitrag auf das paulinische Freiheitsverständnis ein. Paulus stelle heraus, »dass Freiheit nicht die Potenzierung des Individuellen meint, sondern in einer christusähnlichen Praxis der Agape Form und Gestalt gewinnt« (140). Um festzustellen, ob der in Christus gründende Befreiungsprozess aus der Macht der Sünde (Röm 6) eine weltliche Analogie im Prozess der manumissio hat, begibt sich Petra von Gemünden (Augsburg) auf das mittlerweile gut erforschte Gebiet der antiken Sklaverei. Sie zeigt, dass jene Freilassung nicht einen radikalen Bruch und Herrschaftswechsel implizierte, so dass die von A. Deissmann u. a. (vgl. 150–157) aufgezeigte Analogie nicht stimmig ist. Denn der freigelassene Sklave war dem vormaligen Herrn als Patron auch noch nach der manumissio mental, moralisch und sozial verpflichtet, u. U. konnte diese sogar revidiert werden. All dies passe nicht zu dem Bild eines Neuwerdens und radikalen Freiwerdens von der Macht der Sünde, das Paulus in Röm 6,16 ff. voraussetzt. Hier ist es Christus, der »den Sklaven freikauft« (156), nicht dieser sich selbst (Anm. 49). Der Beitrag von Thomas Söding bringt geleitet vom johanneischen Wahrheitsbegriff (Joh 8,32.36; 14,6; 18,37 ff.) die »ökumenischen Brennpunkte« (175) der Freiheitsdiskussion mit wünschenswerter Prägnanz und Klarheit auf den Punkt: 1. Wie schenkt Gott die Freiheit? Und wie verhält sich 2. die individuelle Freiheit zur Freiheit der Kirche (175)? Gemeinsam sei allen Konfessionen die Herausforderung durch den modern-säkularen Freiheitsbegriff. Hier solle man nicht in Antithetik und Abwehr verharren, sondern klären, wie der theologische Freiheitsbegriff vermittelt werden kann mit den Freiheitskonzepten, »die individuell auf Selbstverwirklichung, politisch auf Partizipation, kulturell auf Kreativität und sozial auf Solidarität aus sind« (176).
Im historischen Teil (190–291) untersucht Werner Klän Luthers Freiheitsverständnis. Im Anschluss an Luthers Christologie wird verdeutlicht, dass Christus keine politisch-äußerliche, sondern geistliche Freiheit vermittelt (WA 40/II, 3,21 cf.204). Bernd Oberdorfer plädiert dafür, die »Freiheit von …« nicht sogleich in eine »Freiheit zu …« zu überführen (220 ff.234). Freiheit realisiere sich in der »Verschränkung von Selbstdisziplinierung und selbstlosem Dienst […]« (232). Luthers Freiheitsbegriff lasse sich nicht zur Selbstaffirmation des Selbstverwirklichungsstrebens gebrauchen – verbunden mit einem reduktionistischen Evangelium: »Gott liebt dich, so wie du bist!« (234) –, aber auch nicht in neo-puritanischen Verantwortungsglobalismus ummünzen, nachdem man sich vom einstmaligen »Kernbereich« der Sexualethik zurückgezogen hat (236). Im Beitrag von Ulrike Schuler (Reutlingen) wird anhand von Biographie und gesellschaftlichem Wirken aufgezeigt, wie der angelsächsische Methodismus (John Wesley, George Loveless) ein Konzept von Freiheit und Gerechtigkeit verfolgt, das universale und ökumenische Implikationen habe (265), d. h. nicht auf Glaubensgenossen beschränkt bleibt. Freiheit (liberty) werde hier zur sozialpolitisch wirksamen Leitparole gegen eine Kirche, die mit den Mächtigen alliiert ist. Burkhard Neumann erinnert in seinem Beitrag an die Hegel-Kritik des katholischen Tübinger Theologen F. A. Staudenmaier (1800–1856). Dieser moniert Hegels »ungenügende Verhältnisbestimmung zwischen der Freiheit Gottes und der Freiheit des Menschen« (274).
Nach diesen ökumenisch, biblisch und historisch orientierten Beiträgen folgt die systematische Sparte. Zunächst präsentiert Uwe Swarat eine luzide Auseinandersetzung mit dem Konzept hirnphysiologischer Determiniertheit, in der folgenden Auseinandersetzung mit Luthers (Un-)Freiheitskonzept jedoch verfehlt er Luthers Pointe. Statt die Allmacht und Allwirksamkeit auf das biblische (Dtjes, insbesondere Jes 45) Konzept des deus absconditus zu beziehen, fasst er ihn abstrakt philosophisch. Schärfer noch als Thomas und Erasmus votiert Swarat für ein »freies Ja« zu Gottes Heilsangebot (319). Marianus Bieber (OSB) befasst sich mit Thomas Manns »pluriformer Freiheitskonzeption« in seinem Josephsroman (321 ff.); Freiheit werde hier im Gegenüber »zu den Mächten der Unterwelt«, den Trieben und unbewussten Schichten des Menschen, dargestellt (330 f.). Sie erweise sich bei Joseph als Offenheit auf Zukunft hin (333). Thomas Mann entwickle hier eine Freiheitskonzeption in Abgrenzung zum »Monopol eines dogmatisch exklusiven Sinnsystems« (335). Der Beitrag Michael Weinrichs (reformiert) thematisiert die Realisierung der Freiheit im Horizont von Selbstverwirklichung, homo-homini-lupus-Sein (Hobbes), moralisch begrenzter Freiheit (Kant) und Freiheit im Miteinander, die am Du zu sich selber kommt (M. Buber) (338 ff.). Theologisch werde Freiheit nur im Horizont des Bundes Gottes mit dem Menschen angemessen begriffen, und zwar als eine Freiheit, die mich vom Zwang zur Selbstverwirklichung entlastet. Zum Schluss bearbeitet Dorothea Sattler die ökumenische Problematik von Prädestination und Freiheit, aber auch von Rechtfertigung und Freiheit. Die GER 1999 schließe eine Freiheit gegenüber Gott und seinem Heilswirken ganz aus, votiere jedoch zugleich für das »volle personale Beteiligtsein« des Menschen.
Insgesamt liegt ein facettenreicher Band mit vielen wertvollen Einzelbeiträgen vor, die allerdings gedanklich auf keine systematische Einheit zusteuern. Der im Covertext avisierte Anspruch, den theologisch gefassten Freiheitsbegriff auf »die Herausforderung der Moderne« zu beziehen, ist allerdings sehr schön eingelöst.