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Ausgabe:

Dezember/2018

Spalte:

1333–1335

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Domsgen, Michael, u. Emilia Handke [Hrsg]

Titel/Untertitel:

Lebensübergänge begleiten. Was sich von Religiösen Jugendfeiern lernen lässt. Mit DVD zur Segensfeier an der Evangelischen Sekundarschule in Haldensleben.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2016. 252 S. Geb. EUR 38,00. ISBN 978-3-374-04534-1.

Rezensent:

Frank M. Lütze

Auch wenn die Konfirmandenarbeit zu den stabilsten Formaten der Volkskirche gehört: Der wachsende Anteil konfessionsloser Jugendlicher wirft nicht nur in Ostdeutschland die Frage nach alternativen Angeboten für jene auf, für die eine Konfirmation nicht in Frage kommt. Im mitteldeutschen Raum wurden dafür in den letzten Jahren unterschiedliche Formate entwickelt, die in der vorliegenden Publikation als »Religiöse Jugendfeiern« beschrieben sowie aus ganz unterschiedlichen – religionspädagogischen, religionspsychologischen, liturgiewissenschaftlichen, praktisch-theologischen sowie schultheoretischen – Perspektiven beleuchtet werden. Der Band geht im Kern auf eine Tagung an der Hallenser Forschungsstelle »Religiöse Kommunikations- und Lernprozesse« im Jahr 2015 zurück. In der vorliegenden Gestalt geht er jedoch dankenswerterweise über eine Tagungspublikation hinaus, vielmehr handelt es sich um ein anregendes Lesebuch zu einem spannenden, vergleichsweise neuen Phänomen.
Einen anschaulichen ersten Zugang zur Thematik vermittelt die beiliegende DVD mit einem sechsminütigen Kurzfilm, der kommentierte Ausschnitte aus einer Segensfeier in Haldensleben zeigt und exemplarisch Jugendliche und ihre Eltern zu Wort kommen lässt. Auf diesen Film nehmen die Beiträge des Buches wiederholt Bezug.
Das Buch wird eröffnet durch einen einführenden Artikel von Emilia Handke. Dabei wird gut nachvollziehbar, wieso die Initiativen für Religiöse Jugendfeiern primär aus den katholischen Bistümern Ostdeutschlands hervorgingen, während die Landeskirchen zögerlich reagierten mit Blick auf eine mögliche Konkurrenzsituation zur Konfirmation. Hagen Kühne zeigt am Beispiel des (inzwischen leider eingestellten) proJekt E aus Eberswalde, wie ein kirchliches Jugendangebot mit gezielten Bezügen zu lokalen Jugendweihetraditionen erfolgreich gestaltet werden kann. Dabei liegt der Schwerpunkt anders als bei den meisten »Religiösen Jugendfeiern« nicht auf einer Segenshandlung (die bewusst Konfirmation bzw. Firmung vorbehalten werden soll), sondern auf der Stärkung der Selbstreflexion der Jugendlichen.
Was haben nicht-religiös geprägte Jugendliche von einer Teilnahme an bzw. dem privaten Vollzug von Ritualen? Der religionspsychologische Beitrag von Sarah Demmrich geht, vor dem Hintergrund ihrer eigenen Studien zu gebetsartigen Handlungen konfessionsloser Jugendlicher, möglichen Motiven sowie psychischen Nutzeffekten der (partiellen) Offenheit für Religion nach. Dabei weist sie mit Recht darauf hin, dass bei der Entstehung persönlicher Rituale wie bei der Entscheidung für eine religiöse Jugendfeier die Elterngeneration eine bedeutende Rolle spielt. In einer luziden liturgiewissenschaftlichen Analyse macht Benedikt Kranemann auf das Innovationspotential kirchlicher Rituale für Nichtkonfessionelle aufmerksam. Dabei zeigen sich unterschiedliche Momente, die zum Teil miteinander in Spannung stehen: So bringe etwa die Einmaligkeit der Rituale eine weitgehende Passivität der Feiernden mit sich; zugleich könnten sie für eine lern- und hörbereite Kirche ein Ort der Begegnung mit »Zeuge[n] des verborgenen Gottes« (87) sein. Der Beitrag von Werner Helsper sensibilisiert eindrücklich für die Ambivalenzen von – Religiösen wie nichtreligiösen – Feiern im schulischen Kontext. Er weist anhand von zwei Beispielen darauf hin, wie dünn die Trennwand zwischen symbolischer Vermittlung von Ambivalenzen und Vereinnahmung bei schulischen Feiern werden kann.
Die folgenden drei Beiträge wenden sich der – vermeintlichen oder tatsächlichen – Konkurrenzsituation von Konfirmation und Religiöser Jugendfeier zu. Michael Meyer-Blanck macht eindrücklich deutlich, welchen Beitrag Religiöse Jugendfeiern gerade in ihrer Eigenständigkeit zur Profilierung der Konfirmation leisten können, deren Proprium insbesondere in ihrem Bekenntnischarakter liegt. Michael Domsgen zeigt, wie in der Konfirmation verschiedene, kirchliche und familiäre Logiken ineinandergreifen, und weist vor dem Hintergrund aktueller empirischer Studien auf notwendige Nachjustierungen in der Konfirmandenarbeit hin. Zu der Hoffnung, nicht religiös sozialisierte Jugendliche mit der Konfirmation ansprechen zu können, geben allerdings die vorliegenden Daten wenig Anlass. Birgit Sendler-Koschel unterscheidet, vor dem Hintergrund bisheriger kirchlicher Stellungnahmen, drei strategische Ansätze für die künftige Profilierung von Konfirmation sowie von Religiösen Jugendfeiern.
In einem auf den Religionsunterricht bezogenen Beitrag ma­chen Emilia Handke und Ulrike Witten darauf aufmerksam, welche Lernchancen eine Thematisierung der unterschiedlichen Ju­gendfeiern im Religions- und Ethikunterricht bietet. Wer Nichtgetauften die Konfirmation verständlich machen möchte, wird am schulischen Unterricht nicht vorbeikommen.
Im letzten Teil des Buches wird noch einmal der Blick geweitet. Dass die Frage nach religiösen Alternativen zur Konfirmation zu­nehmend eine gesamtdeutsche Frage ist, wird im Beitrag von Sönke von Stemm deutlich, der ein kirchliches Projekt an Ganztagsschulen in Bremerhaven vorstellt und daraus wichtige Schlüsse zieht im Blick auf die Erreichbarkeit bildungsbenachteiligter Jugendlicher. Eine Kasualie der besonderen Art, nämlich ein ge­meinsames, in der Kirche begangenes Goldenes Konfirmations- und Jugendweihejubiläum, stellt Martin Kumlehn vor – ein Weg, der fruchtbar begangen werden kann, wenn Kirche bereit ist, in das Zentrum der Kasualien nicht in die institutionelle Bildung, sondern ein spezifisches Angebot an Lebensdeutung zu stellen. Ausgehend von Handwerksfeiern in Kirchgebäuden beleuchtet schließlich Axel Noack das Verhältnis von Kirche und Berufsgruppen, in dem er noch uneingelöste Gestaltungsaufgaben sieht.
Die Zusammenfassung von Michael Domsgen und Emilia Handke zieht aus den vorliegenden Beiträgen erste Schlussfolgerungen. Dabei wird eindrücklich deutlich, dass es bei Religiösen Jugendfeiern um weit mehr als eine bloße Repertoireerweiterung kirchlichen Handelns geht. Sie sind vielmehr geeignet, ein primär an institutionellen Interessen ausgerichtetes Kirchenverständnis grundlegend in Frage zu stellen – und halten damit nicht nur für Konfessionslose, sondern auch für die Kirche ihrerseits produktive Lernchancen bereit. Wer sich wissenschaftlich grundlegend mit Religiösen Jugendfeiern beschäftigen möchte, kommt um die inzwischen vorliegende Dissertation von Emilia Handke (Religiöse Jugendfeiern »zwischen Kirche und anderer Welt«, Leipzig 2016) nicht herum. Aber wer die mit ihnen aufgeworfenen vielfältigen Fragen entdecken möchte, findet in dem besprochenen Aufsatzband reichlich Stoff zum Nachdenken.