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Ausgabe:

Dezember/2018

Spalte:

1331–1333

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Uhlhorn, Frank Albrecht

Titel/Untertitel:

Kirchliche Kommunikation kalkulieren. Systemtheoretische Perspektiven für die Lutherdekade 2017.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2015. IX, 420 S. = Praktische Theologie im Wissenschaftsdiskurs, 18. Geb. EUR 99,95. ISBN 978-3-11-040512-5.

Rezensent:

Daniel Meier

Die Alliteration im Titel macht den kirchlichen Medienpraktiker neugierig: Wie geht das: Kommunikation kalkulieren, noch dazu im kirchlichen Kontext? Finden sich im Buch Hinweise, wie das vergleichsweise schmale Budget der Öffentlichkeitsarbeit einer Landeskirche am effektivsten eingesetzt werden kann, um mit dem Ergebnis sowohl die Kirchenleitung, die kirchlich Engagierten wie externere Zielgruppen zufriedenzustellen? Der Untertitel stellt zunächst klar, dass die Handreichung nicht aus der Sicht eines kirchlichen Marketingexperten verfasst wurde, der Theologie und Ökonomie miteinander zu verknüpfen sucht. Auch geht es nicht darum, praktische Anleitungen zur Kommunikation des Reformationsjubiläums zu geben. Im Nachwort räumt U. ein, dass er seinen Beitrag zur Analyse der Lutherdekade 2017 letztendlich darin sieht, »eine Leerstelle, ein Kenogramm, eine Imagination für die Lösung eines Problems zu bieten« (390).
Frank Albrecht Uhlhorn eröffnet die Analyse mit einem knappen Gang durch die »Medien beim Werden der Kirche« (Kapitel 1) anhand der neutestamentlichen Tradition. Er spannt den Bogen von der Face-to-face-Kommunikation im Jerusalemer »Obergemach« (Apg 1,13) über die öffentliche Kommunikation des Evangeliums auf dem antiken Marktplatz bis zur »Reglementierung von religiöser Praxis« (16) durch das Medium Brief. Er zeigt, dass die in der Gegenwart immer noch beliebte Gegenüberstellung einer mutmaßlich guten, persönlichen und einer vermeintlich defizitären, medial vermittelten Kommunikation bereits für das Urchris-tentum wenig Sinn macht. Der Forschungsüberblick zum theologischen Umgang mit modernen Massenmedien greift diese vermeintliche Dichotomie in Kapitel 2 auf. Medientheoretische Klärungen schließen sich in Kapitel 3 und 4 an und münden in Kapitel 5 in eine konstruktivistische Definition von Medium, Medienwirkung und Öffentlichkeit.
An dieser Stelle kommt die Systemtheorie Niklas Luhmanns und seines Schülers Dirk Baecker ins Spiel der Reflexion, wonach die Kommunikation soziale Realität generiere (nicht abbilde) und die Öffentlichkeit keine Sphäre, sondern ein Medium zur gesellschaftlichen Reflexion darstelle. Für eine realistische Einschätzung der Wirkung kirchlicher Kampagnen hilfreich ist der Ansatz, Kommunikation weniger im kausalen Sinne von der Intention der Kommunizierenden her zu begreifen, sondern ihre Eigendynamik in den Mittelpunkt zu stellen. Können aber das »Übertragungsmodell« von Sender, Kanal, Inhalt und Empfänger und die einhergehende Frage einer angemessenen Medienauswahl gänzlich aufgegeben werden? Bei der zentralen Frage nach den »Selektoren des Systems der Massenmedien« (Kapitel 7) wäre zudem ein empirischer Zugang anhand einer ausführlicheren Beschäftigung mit der Nachrichtenwerttheorie hilfreich gewesen. Insgesamt dominiert in den ersten zwei Dritteln der Arbeit die systemtheoretische Reflexion per se, die Lutherdekade wird nur punktuell hinzugezogen.
Das Material aus www.luther2017.de, Veranstaltungen und Ak­tionen, einzelne Beiträge von Kirchenvertretern und Theologen sowie Reaktionen aus Politik und Journalismus werden schließlich in den Kapiteln 8 bis 11 in systemtheoretischer Perspektive analysiert. Wohltuend ist es, dass U. vor unrealistischen Erwartungen warnt, etwa hinsichtlich einer Steigerung der Mitgliedszahlen durch Kampagnen zum Reformationsjubiläum. Auch verfällt er keinem Kulturpessimismus, z. B. beim Blick auf die Unterhaltung in Gestalt von Luther-Filmen oder die ökonomische Vermarktung im System der Touristik. Vielmehr zeige die Luther-Dekade, »wie eine strukturelle Kopplung zwischen dem Wirtschaftssystem und dem Religionssystem in der Ausprägung des Protestantismus funktionieren kann« (298). Der systemtheoretischen Maxime »Triff eine Unterscheidung« (321, Zitate im Folgenden ebd.) folgend, zieht U. hilfreiche Grenzen zwischen »Luther als Person und Reformation als Bewegung«, »urprotestantisch und ökumenisch«, »Wittenberg und weltweit«, »Politik und Religion« sowie zwischen »wissenschaftlich verantwortet und populär vermarktet«. Diese Grenzen »spezifizieren das Kommunikationsobjekt« (323); würden sie nicht vorgenommen, so sinke die Wahrscheinlichkeit kommunikativer Anschlüsse.
Als konkrete Maßnahmen zur Lutherdekade werden schließlich der Auftakt 2008 in Wittenberg, die acht »Themenjahre«, verschiedene Werbeaktionen, die Luther-Installationen Ottmar Hörls, der EKD-Flashmob »Segensflieger« sowie die Dachmarkenkampagne »Am Anfang war das Wort« evaluiert. Insgesamt überwiegen bei U. die Problemanzeigen, z. B. hinsichtlich strategischer Planung, exakter Zielgruppenbeschreibung, Strukturen von Planungsstäben sowie der finanziellen Mittel, um etwa im Werbebereich mit professioneller Werbung konkurrieren zu können. Als berechtigter Schwachpunkt der Dachmarke wird benannt, dass diese die aktuelle Bedeutung der Reformation nicht erkläre und zu wenig mit anderen Aktionen kombinierbar sei. Sehr steil sind die abschließenden Dichotomien zwischen gängigen PR-Konzepten und »grundlegend anderer Auffassung von Konzeption eines Kommunikationsobjektes« (366), von »Konstruktion statt Milieustudien« (366) sowie von »Leitdifferenz statt Leitbild« (368). Für die Lutherdekade schlägt U. abschließend den binären Code »Protest – Nichtprotest« (378) vor, um jedoch zugleich einzuräumen, dass die Begründung für diese Auswahl »kontingent« (378) sei. Im Ergebnis möchte U. dazu anleiten, wie Luther 2017 sich »als abgrenzbares Kommunikationssystem selber erzeugen und ausdifferenzieren könnte« (387).
Im allerletzten Satz der Dissertation kehrt U. quasi als Resümee zur Ausgangsfrage zurück: »Welche soziokulturellen Bedingungen, Medien, Konzepte, Modelle und Theorien soll oder kann oder darf die Kirche Jesu Christi adaptieren, um ihrem Auftrag der Kommunikation des Evangeliums gerecht werden zu können?« Eben auf diese spannende Frage wären dann doch handlungsleitende Antworten zu erwarten gewesen und weniger ein »Flug über den Wolken« (5) im Sinne Niklas Luhmanns. Zumal U. einleitend ankündigt, dass er »den hohen Abstraktionsgrad einer Theorie in eine unmittelbare Praxis überführen will« (7) und biographisch in der Öffentlichkeitsarbeit der hannoverschen Landeskirche verankert ist. Der Ertrag der Arbeit ist eher im theoriegeleiteten Kontext der Reihe »Praktische Theologie im Wissenschaftsdiskurs« zu verorten. Die Stärke liegt in der erhellenden Analyse kirchlicher Kommunikation, nicht nur beim Untersuchungsgegenstand »Lutherd ekade 2017«, sowie im systemtheoretisch geschulten Blick auf kirchliche Kommunikation, über die Öffentlichkeitsarbeit hinausgehend. Wenngleich nicht unmittelbar anwendungsorientiert, so bietet U. doch mittelbar wertvolle Reflexionen der Frage, »wie die evangelische Kirche unter den Bedingungen der Dominanz von Massenmedien […] Kommunikation konzipieren und strategisch ausrichten kann« (2).