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Ausgabe:

Dezember/2018

Spalte:

1324–1326

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Fendler, Folkert, Binder, Christian, u. Hilmar Gattwinkel [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Handbuch Gottesdienstqualität. Hrsg. im Auftrag des Zentrums für Qualitätsentwicklung im Gottesdienst.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2017. 343 S. = Kirche im Aufbruch, 22. Kart. EUR 34,00. ISBN 978-3-374-05084-0.

Rezensent:

Katrin Kusmierz

Wer sich mit Fragen von Qualität, Qualitätsbestimmung und -sicherung auseinandersetzt und diese auf kirchliche Handlungsfelder zu beziehen sucht, stellt sich keiner leichten Aufgabe. Die möglichen Einwände und Vorbehalte sind wohl nach wie vor groß und dies entgegen der Tatsache, dass die Qualitätsdiskussion schon seit einigen Jahrzehnten auch in den Kirchen geführt wird: Lassen sich in ihrem Ursprung marktwirtschaftliche Instrumente, welche Effizienz, Kundenzufriedenheit, Funktionalität bestimmen, auf den Gottesdienst übertragen? Sind kirchliche Handlungen überhaupt vergleichbar mit »Produkten«? Ist die Wahrnehmung von Gottesdiensten nicht sehr individuell geprägt? Inwiefern kann die Qualität eines Ereignisses gemessen werden, bei dem ein wesentlicher Anteil seiner Wirksamkeit von einem unfassbaren externen Akteur erhofft wird?
Dass über die Qualität von Gottesdiensten zu sprechen jedoch ein lohnenswertes Unterfangen darstellt, ist die Überzeugung der Herausgeber, Autoren und Autorinnen des »Handbuchs Gottesdienstqualität«. Mit der Publikation dieses Bandes, der die Arbeit des Zentrums für Qualitätsentwicklung in Hildesheim seit 2009 bündelt, gelingt es ihnen denn auch zu zeigen, dass die aus den verschiedenen Ansätzen, Modellen und Beispielen gewonnenen Einsichten und Fragerichtungen wertvolle Impulse für die Gottesdienstgestaltung und -entwicklung geben können. Ein wesent-liches Ziel ist dabei, eine »Kultur des Gesprächs« über den Gottesdienst zu fördern.
Die in Teil A versammelten Beiträge von Folkert Fendler, Renate Fallbrügg, Christian Binder und Jochen Arnold definieren den Qualitätsbegriff, beschreiben dessen Aufkommen in kirchlichen Kontexten und schärfen ihn im Blick auf seine Verwendung in der Arbeit am Gottesdienst. Diese theoretische Grundlegung ist wichtig und erhellend, zumal sie in den eher modellorientierten früheren Publikationen des ZQG in dieser Ausführlichkeit fehlte. Dabei werden auch die oben genannten Anfragen, die sich an den Bezug ökonomischer Sichtweisen, Methoden und Instrumente auf kirchliche Kontexte stellen lassen, benannt und diskutiert, wenn es auch nicht in jeder Hinsicht gelingt, sie zu entkräften. Wahrscheinlich würde jedoch eine ausführliche Behandlung dieser Problematik den Rahmen des Buches bzw. der teilweise relativ knapp bemessenen Beiträge sprengen, zumal in einem detaillierten Verzeichnis auf die weitläufige Literatur verwiesen wird.
In Teil B werden nun die vom ZQG entwickelten Qualitätsmodelle skizziert, die alle an unterschiedlichen Punkten ansetzen und so verschiedene Perspektiven auf den Gottesdienst eröffnen: die Qualitätsdimensionen nach Avedis Donabedian dienen den Gottesdienstverantwortlichen dazu, nach der Qualität von Konzept (Theologie des Gottesdienstes) und Prozess (Vorbereitung) sowie nach der Qualität der strukturellen Rahmenbedingungen und des Ergebnisses zu fragen; das Kano-Modell setzt bei den Gottesdienstfeiernden und ihren Erwartungen ein; die Wirkfelder des Gottesdienstes fragen nach intendierten und erlebten Wirkungen, und Gottesdienste in 3G sind ein Modell, das die theologische Grundintention des Gottesdienstes zu erschließen hilft.
In Teil C werden diese Modelle sodann auf grundlegende Elemente des Gottesdienstes hin angewendet: auf die Musik – strikt an den Modellen orientiert – durch Jochen Kaiser und grundlegender zur Funktion und Wirkung von Musik durch den Arbeitskreis Musik Hildesheim (aufgezeichnet durch Folkert Fendler). Kathrin Oxen fragt sehr aufschlussreich danach, anhand welcher Kriterien die Qualität von Predigten bemessen werden kann, und Hans-Jürgen Kutzner sucht zu bestimmen, welche Wirkungen Kirchenbauten verschiedener Epochen auf die Gottesdienstgestaltung und das Gottesdiensterleben haben.
Teil D stellt schließlich verschiedene Instrumente vor, die zur Qualitätsentwicklung im Gottesdienst eingesetzt werden können, darunter: Gottesdienstfeedbacks in verschiedenen Formen, deren Problematiken und Möglichkeiten von Christian Binder differenziert vorgestellt werden, Visitationen (Hilmar Gattwinkel), Gottesdienstberatung und -coaching (Christine Tergau-Harms), Predigtcoaching (Kathrin Oxen) oder die Kindergottesdienst-Card (Dirk Schliephake). Lars Hillebold nimmt eine erhellende Analyse der verschiedenen Predigtpreise im deutschsprachigen Raum vor und befragt sie u. a. auf deren Qualitätskriterien hin. Im Zuge dieser Darstellung der verschiedenen Qualitätsinstrumente wird deutlich, welchen Nutzen die Qualitätsdiskussion für die Arbeit mit und am Gottesdienst austrägt – sofern sie umsichtig geführt und an die spezifische Situation dieses Handlungsfeldes angepasst wird.
Die vorgestellten Instrumente und Modelle dienen vor allem dazu, die Wahrnehmungs- und Reflexionsfähigkeit von Gottesdienstgestaltenden und -feiernden zu schulen. Die unterschiedlichen Perspektiven auf den Gottesdienst führen zu jeweils anderen Fragestellungen, die verschiedene Aspekte des Feierns erhellen. Sie fokussieren nicht nur auf die liturgischen Akteure, sondern auch auf die Erwartungen und Wahrnehmungen der Gottesdienstfeiernden (der »Kunden« sozusagen) wie auch auf die Entstehungsbedingungen. Dabei ist es weniger das Ziel, zwischen richtig und falsch zu unterscheiden. Qualität ist zunächst einmal »bewusstes Handeln« (Fendler, 107), also die Reflexion des eigenen liturgischen Handelns und seiner Wirkung. Die Modelle dienen dabei nicht nur der Rückschau auf Gottesdienste, sondern können und sollen auch bei der Vorbereitung eingesetzt werden. Daraus entsteht ein fortwährender Zyklus zwischen Planung, Durchführung, Rückschau und Veränderung. Die Qualität liturgischer Gestaltung wird dabei nicht primär an allgemeinen Kriterien und »von außen« gemessen, sondern vor allem an den Intentionen und Vorentscheidungen, die einem konkreten Gottesdienst zugrunde gelegt wurden, was u. a. mit dem in den Beiträgen vielfach genannten Stichwort »Stimmigkeit« (für einen bestimmten Ort, eine konkrete Gemeinde) zum Ausdruck gebracht wird.
Wünschenswert wäre zusätzlich zu dieser Profilierung des Qualitätsbegriffes eine grundlegende Klärung der Unterschiede zwischen den verschiedenen Instrumenten der Qualitätsentwicklung und ihren Kontexten: Ob es sich um einen internen Prozess der Selbstreflexion, um Coaching/Beratung, Feedback oder um eine qualifizierende Ausbildungssituation handelt, hat unterschiedliche Auswirkungen auf Vorgehen, Akteure und Beteiligte. Die Differenzierung der verschiedenen Ansätze und damit verbunden der notwendigen Voraussetzungen für gelingende Prozesse in der Qualitätsentwicklung wäre jedoch im Rahmen eines Handbuches wichtig. Dies vor dem Hintergrund, dass viele Liturgiegestaltende schon ungute und abschreckende Erfahrungen in Rückmeldesituationen gemacht haben.
Es ist ein Gewinn, dass neben den Früchten der Arbeit des Zentrums für Qualitätsentwicklung ein Netzwerk an Initiativen, Projekten und Institutionen vorgestellt wird, das sich denselben Fragen widmet (Teil E). Dieses letzte Kapitel bietet einen großen Ideenfundus, der zur Nachahmung und Vernetzung anregt. Die breit gefächerte Zusammenstellung bildet zudem ab, dass in den letzten Jahrzehnten auf verschiedenster Ebene und an verschiedenen Orten dem Gottesdienst und der Predigt erfreulicherweise (wieder) viel Aufmerksamkeit geschenkt wird.
Das Handbuch bietet insgesamt eine sehr empfehlenswerte und anregende Lektüre für alle, die gemeinsam Gottesdienste reflektieren und weiterentwickeln wollen – für alle beteiligten Berufsgruppen, für Gottesdienstverantwortliche in Leitungsstrukturen, wie auch für Aus- und Weiterbildende.