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Ausgabe:

Dezember/2018

Spalte:

1293–1295

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Lindenmeyer, Christoph

Titel/Untertitel:

Rebeller, Opfer, Siedler. Die Vertreibung der Salzburger Protestanten.

Verlag:

Salzburg: Verlag Anton Pustet 2015. 336 S. Geb. EUR 24,00. ISBN 978-3-7025-0786-2.

Rezensent:

Daniel Bohnert

Die Geschichte der Vertreibung der Salzburger Protestanten, die aufgrund des sogenannten Ausweisungserlasses von 1731 das Fürsterzbistum Salzburg verlassen mussten, ist immer wieder Gegenstand der historischen Migrationsforschung gewesen – auch und insbesondere in den vergangenen Jahrzehnten (die grundlegende Studie von Walker 1997). Das Gros der Vertriebenen wurde durch das Königreich Preußen aufgenommen, rund 300 Emigranten wagten die Überfahrt nach Nordamerika, um dort ein neues Leben zu beginnen (zu diesen zuletzt grundlegend Haver 2011). Nordwestlich der Stadt Savannah (Georgia) gründeten diese Salzburger Protestanten unter schwierigen Bedingungen und vielfältigen Herausforderungen die Siedlung Eben-Ezer, die auch Schauplatz der vorliegenden Darstellung ist.
Sowohl die Emigration von Salzburg nach Preußen als auch die Siedlungsgründung in Eben-Ezer beschreibt Christoph Lindenmeyer in seinem nicht im engeren Sinne wissenschaftlichen Buch zur Geschichte der Salzburger Exulanten. Es enthält weder Arbeitsprogramm und Methodenrechenschaft noch Einordnung in den Forschungsdiskurs oder Anmerkungsapparat, auch kein Inhaltsverzeichnis. Es beginnt in medias res. Dies zu monieren freilich erübrigt sich angesichts der Intention, die sich aus dem knappen Anhang zu der Darstellung herausliest, aber auch angesichts der Gestalt des Buches, die sich als historische Roman beschreiben lässt. Gleichwohl ist dieser historischer Roman auch von wissenschaftlichem Wert, hält sich L. doch eng an eine – obzwar überschaubare, aber doch einschlägige – Auswahl an Originalquellen, die am Ende auch bibliographiert ist. Nicht klar wird daraus, ob L. noch weitere Quellen verwendet hat (vgl. 335). Allein bei der Auswahl der Literatur kann inzwischen auf neuere Beiträge hingewiesen werden, die L. unberücksichtigt lässt.
Der eigentliche Wert dieses historischen Romans besteht nun in der geschickt geleisteten Vermittlung des doppelten Schicksals der Salzburger Exulanten durch L. Denn diese waren ja nicht nur mit der Verfolgung, sondern auch mit dem Neuanfang in Nordame-rika konfrontiert. Literarisch schafft dies L. durch gekonnte Szenenwechsel zwischen der Perspektive der Repression, Verfolgung und Ausweisung der Protestanten aus Salzburg nach Preußen, wo sie durch König Friedrich Wilhelm I. aufgenommen werden sollten, einerseits und den Herausforderungen, Aufgaben und Sorgen der Emigranten in ihrer neuen Heimat andererseits. Der Perspektivenwechsel ist zugleich Gliederungsprinzip seiner Darstellung (Georgia – Salzburg – America – Salzburg – Eben-Ezer – Savannah – Salzburg – Georgia – Salzburg – Eben-Ezer usw.).
L. verweist auf die zeitgenössische publizistische Tätigkeit, ge­trieben von dem Be­dürfnis, gleichsam aller Welt von dem den Salzburger Protestanten geschehenen Unrecht zu berichten, handelte es sich dabei doch um eine eklatante Missachtung des Westfä-lischen Friedens (1648), welcher drei Konfessionen anerkannte. Durch die Auswahl und geschickte Präsentation der Quellen erreicht L. eine den Leser fesselnde Nähe zum Geschehen. Beispielsweise referiert er gestützt auf die Tagebücher des ersten lutherischen Pfarrers in Georgia Johann Martin Boltzius (1703–1765), bisweilen auch geführt von dessen Gehilfen, die schwierigen Bedingungen des Aufbaus der Salzburger Kolonie Eben-Ezer (die englische Krone war es, die die Ausweisungen nach Georgia ermöglicht hatte).
Boltzius hatte an der 1697 gegründeten Universität Halle ein Theologiestudium absolviert und war als Inspektor in den Fran-ckeschen Stiftungen tätig gewesen. Er hat sich – vom halleschen Pietismus geprägt – geistlich, aber auch wirtschaftlich und politisch für die Salzburger Exulanten engagiert und stand in engem Briefkontakt zu den europäischen Verwaltern der Kolonie (die ca. 1.100 Briefe sowie die Tagebücher sind erhalten, eine Auswahl dieser Briefe wurde im Rahmen eines Forschungsprojektes, angesiedelt an den Franckeschen Anstalten, ediert: The letters of Johann Martin Boltzius, Lutheran Pastor in Ebenezer, Georgia. German pietist in colonial America, 1733–1765. Ed. and transl. by Russel C. Kleckley in collaboration with Jürgen Gröschl. Lewiston u. a. 2009). Boltzius organisierte Spenden, Medikamenten- und Büchersendungen. L. schildert den Alltag in Eben-Ezer in anschaulichen Bildern, wie nachfolgender Auszug illustrieren mag:
»In der letzten Nacht gab es ein aufgeregtes Geschrei. Ein Sklave hat einen anderen mit dem Messer verletzt. Sieben Wunden werden am Bein gezählt. […] Ein paar neue Siedler treffen ein, sie stammen nicht aus Salzburg, wollen aber hier in Eben-Ezer wohnen. London muss jeden Zuzug genehmigen, bis dahin gilt die Vereinbarung: Wer sich hier ansiedelt muss mindestens ein Jahr bleiben. Huber ist gestorben. Seine Familie ist bei der Beerdigung sehr gefasst. Gott wird wissen, weshalb der Mann nicht mehr leben darf. Leid haben alle bisher genug erfahren. Da sind neue Siedler nicht unwillkommen.«
Neben diesem dicht am Geschehen befindlichen Erzähler lässt L. zahlreiche längere Zitate aus den angegebenen Quellen sprechen, die zur besseren Übersichtlichkeit kursiv gesetzt sind. Im Zusammenspiel von Erzählung und Zitaten entsteht ein anschauliches Bild der in der Heimat erlebten Verfolgungen sowie der ersten Monate der Salzburger Protestanten in der Salzburger Siedlung in Georgia. Die Themen sind die Themen des Alltags. L. schildert etwa die Beobachtungen des Wetters durch Boltzius, die Wahrnehmung der neuen Nahrungsmittel, das Entdecken bislang unbekannter Tiere und Vegetation sowie die damit verbundenen Gefahren und Herausforderungen. Neue Heilmittel müssen her bei Krankheiten und Verletzungen. Einen weiteren Schwerpunkt bildet der Aufbau der neuen Siedlung. Es bedarf der Viehzucht und des Aufbaus einer nutzbaren Infrastruktur als Grundlage für Landwirtschaft und Handel (z. B. mit Indianern). Auch der Umgang mit dem Sklaven handel wird eindrucksvoll beschrieben – so, dass den Salzburgern zunächst Sklaven zur Verfügung gestellt worden waren, was diese allerdings ablehnten (92).
Obgleich die Darstellung keine neuen Quellen und auch keine neuen Daten zur Geschichte der Salzburger Protestanten in der Heimat und im Exil aufbietet, so ist sie gleichwohl auch für die historische Forschung von Wert. Ihr Wert besteht in der professionell geleisteten Vermittlung der historischen Ereignisse, und sie schafft das durch eine überzeugende Nähe zum Geschehen. Der Wert für die kirchen- und theologiegeschichtliche Forschung dürfte weniger in den durch kirchenpolitische Entscheidungen bedingten Ereignissen, sondern vielmehr in den erkennbar werdenden Wechselwirkungen von Theologie und Alltag im Exil zu suchen sein. Besonders empfohlen aber sei dieses Buch all denjenigen historisch Interessierten, die sich für das Thema interessieren und/oder sich in die Geschichte der Salzburger Exulanten einarbeiten möchten. Denn dazu eignet sich die Darstellung von L. wohl in besonderem Maße.