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Ausgabe:

Dezember/2018

Spalte:

1281–1283

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Gemeinhardt, Peter

Titel/Untertitel:

Die Kirche und ihre Heiligen. Studien zu Ekklesiologie und Hagiographie in der Spätantike.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2014. VIII, 416 S. = Studien und Texte zu Antike und Christentum, 90. Kart. EUR 89,00. ISBN 978-3-16-152717-3.

Rezensent:

Heinrich Holze

Der Band versammelt Vorträge und Aufsätze, die der Göttinger Patristiker Peter Gemeinhardt zum Themenkreis Kirche, Märtyrer und Heilige zwischen 2008 und 2013 verfasst hat. Mit einer Ausnahme wurden alle Texte bereits veröffentlicht und liegen in Zeitschriften oder in von ihm selbst herausgegebenen Sammelbänden vor. Sie werden in dem vorliegenden Band nun erneut abgedruckt. G. begründet das in seinem einleitenden Text mit einem thematischen Zusammenhang, den er anknüpfend an Manfred Josuttis in die Aussage münden lässt: »Volkskirche und Gemeinde der Heiligen bedingten einander – und sollten dies auch im 21. Jahrhundert tun.« (2) Mit dieser Mahnung wird die Relevanz der vorliegenden patristischen Studien für die aktuellen ekklesiologischen Diskurse hervorgehoben. Freilich werden diese Diskurse in den abgedruckten Texten nicht weiter entfaltet. Auch mag man fragen, ob der Begriff »Volkskirche«, der erst im 19. Jh. aufkam, geeignet ist, die Lebensgestalt der Kirche in der Spätantike zu erfassen. G. begründet seine Entscheidung damit, dass der Begriff »die Vielfalt von Lebensstilen und Partizipationskulturen im spätantiken Christentum« (7) beschreibe. Außerdem sei er der frühchristlichen Rede von der communio sanctorum vergleichbar, die sich nicht nur auf Asketen und Heilige bezogen, sondern »die dynamische Beziehung zwischen allen Christen und ihren Leitbildern« (8) im Bewusstsein gehalten habe.
Die Aufsätze werden in vier Themenbereiche gegliedert, die um Kirche, Märtyrer, Bildung und Hagiographie kreisen. Die Zuordnung der Beiträge überzeugt nicht immer, was damit zu tun hat, dass sie ursprünglich für sich standen und erst später in den Zusammenhang des vorliegenden Buches gestellt worden sind. Den Auftakt zum ersten Themenbereich »Die christliche Kirche in der Spätantike« bildet G.s Göttinger Antrittsvorlesung, die unter dem Titel »Staatsreligion, Volkskirche oder Gemeinschaft der Heiligen« eine Standortbestimmung des Christentums in der Spätantike bietet. G. nimmt darin Themen auf, die in den Beiträgen des Aufsatzbandes vertieft werden, gibt also gewissermaßen einen Ausblick auf die anderen Untersuchungen, vor allem aber stellt er sie in einen Deutungsrahmen, der sich für ihn aus »der gegenwärtig in der evangelischen Kirche in Deutschland zu beobachtenden O rientierungsverunsicherung« (46) ergibt. Worauf er sich dabei bezieht, wird leider nicht ausgeführt. Das gilt auch für ähnliche Hinweise in den anderen Beiträgen des Bandes, etwa wenn die Beobachtungen zu den Übergängen zwischen Heiligen, Halbchris-ten und Heiden im spätantiken Christentum »als deutungsoffen für die Gegenwart« (69) bezeichnet werden. Oder wenn Athanasius von Alexandrien attestiert wird, »ein ekklesiologisches Erfolgsmodell« entworfen zu haben, durch das die christliche Kirche zu einer »integrationsfähigen ›Volkskirche‹« (109) geworden sei. Das klingt anregend, wäre aber weiterer Überlegungen zur historischen Hermeneutik wert gewesen. Der letzte Beitrag dieses Kapitels beleuchtet die Entwicklungen und die Konflikte des spätantiken Christentums »auf dem Weg in die Nähe der politischen Macht« (111–128) und verbindet damit einen vergleichenden Ausblick auf die im Mittelalter übliche »Verwobenheit von Geistlichen in Machtzusammenhänge« (128).
Das zweite Kapitel versammelt Beiträge zum Thema »Märtyrer und Martyriumsdeutungen«. Darin geht es zunächst um die sich verändernden Kontexte und Deutungen, in denen das »Blut- und Lebenszeugnis in der Alten Kirche« (131) aufgefasst wurde. G. zeigt, dass nicht der Tod als solcher, sondern die durch ihn vertretene Sache entscheidend war, und erarbeitet als Grundidee des Martyriums, dass ein Mensch »nicht aus eigener Macht, sondern nur von Christus her in der Lage ist, ein Nachahmer Christi zu sein« (148). Der Beitrag »Blutzeugen und ihre Auferstehung« untersucht die eschatologischen Bezüge in der frühchristlichen Märtyrerliteratur und resümiert, dass in der »Rezeption und Transformation der biblischen Auferstehungshoffnung in den frühen Märtyrerakten in nuce der Inkulturationsprozess des Christentums« (218) greifbar wurde. Der letzte Aufsatz in diesem Kapitel weitet den Blick auf die Rezeption des Martyriumsgedankens in Mittelalter und Reformation und zeigt, dass es den Verfassern der Märtyrerschriften immer auch »um die Bewältigung des Lebens in der Welt« (191) gegangen ist.
Dem dritten Kapitel sind Beiträge zum Thema »Bildung« zugeordnet. Der erste Beitrag untersucht die Rolle der antiken Bildung für frühchristliche Biographien, in denen sich die innerchristlichen Auseinandersetzungen über das Verhältnis der Christen zur paganen Kultur spiegeln. In zwei weiteren Beiträgen wird die Frage behandelt, welche Rolle der Bildung in hagiographischen Texten der lateinischen Spätantike zugewiesen wurde und inwiefern Heiligenviten beitrugen, »die griechisch-römische Schulbildung christlicherseits zu rezipieren und in ein geistliches Bildungsideal zu integrieren« (257). Der vierte Beitrag schließlich lenkt den Blick auf die spätantike Hagiographie, indem der unscharfe, durchaus aber auch erschließende Begriff »Volksfrömmigkeit« aufgegriffen und dessen »Potential und Grenzen« ausgeleuchtet werden.
Das vierte Kapitel versammelt »Studien zur Vita Antonii und ihrem Verfasser« (289), die als Detailstudien zu der wenig später von G. veröffentlichten monographischen Darstellung »Antonius – Der erste Mönch. Leben – Lehre – Legende« (Beck 2013) verstanden werden können. Die erste Studie richtet den Blick auf die »hagiographische Plausibilität« (307) als ein wesentliches Merkmal der Ab-fassung einer Hagiographie. Der zweite Beitrag »Christian Ha-giography and Narratology« untersucht die Möglichkeiten eines narratologischen Zugangs, hält aber daran fest, »that Christian hagiography is first and foremost a religious affair, not a literary one.« (326) Der dritte Beitrag »Vita Antonii oder Passio Antonii« erklärt den Erfolg der Vita damit, dass sie beides zugleich gewesen sei und damit »die Brücke von den Märtyrern zu den Asketen – und von beiden zu den ›normalen‹ Christen« (360) geschlagen habe. Der letzte Beitrag ist »Athanasius von Alexandrien: Bischof, Theologe, Kirchenpolitiker« gewidmet.
Der Aufsatzsammlung ist eine Einführung vorangestellt, in der G. an eine kritische Analyse der Volkskirche durch den Göttinger Praktischen Theologen Manfred Josuttis anknüpft. Dieser aktualisierende Einstieg wäre nicht nötig gewesen. Die Beiträge können sehr gut für sich stehen und informieren zuverlässig über wichtige Themen des antiken hagiographischen und martyrologischen Schrifttums. Register erschließen inhaltliche und thematische Zusammenhänge. Die Ersterscheinungsorte werden zu Beginn der Beiträge vermerkt, eine Gesamtaufstellung aber fehlt.