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Ausgabe:

Dezember/2018

Spalte:

1272–1273

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Coutts, Joshua J. F.

Titel/Untertitel:

The Divine Name in the Gospel of John. Significance and Impetus.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2017. XVI, 259 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 447. Kart. EUR 79,00. ISBN 978-3-16-155188-8.

Rezensent:

Jan Heilmann

Bei dieser Studie handelt es sich um die Doktorarbeit von Joshua J. F. Coutts, die er 2016 an der School of Divinity an der University of Edinburgh eingereicht hat. Die von Larry Hurtado betreute Arbeit hat sich das Ziel gesetzt, die Wichtigkeit der Kategorie des göttlichen Namens, die bisher in der Forschung häufig vernachlässigt worden sei, für das Verständnis des Johannesevangeliums zu un­tersuchen.
Der Vf. geht von der Beobachtung aus, dass im Johannesevangelium im Vergleich zu anderen frühchristlichen Texten ein starkes Interesse für den göttlichen Namen zu erkennen ist, und formuliert als Leitfragen für seine Untersuchung: »Why has John seized upon and so emphasized the divine name category beyond that which occurs in earlier Christian tradition? What is it about the divine name that attracted his attention?« (7) In Bezug auf die Johannesforschung formuliert er als Desiderat, dass die Bedeutung der johanneischen name language für die Ich-bin-Aussagen und das Herrlichkeitsmotiv nicht genügend herausgearbeitet worden sei. Ein Grund für dieses Desiderat sieht er darin, dass traditionsgeschichtliche Untersuchungen auf der einen und synchrone Analysen des johanneischen Konzepts des göttlichen Namens auf der anderen Seite bisher weitgehend isoliert voneinander durchgeführt und deren Ergebnisse nicht synthetisch aufeinander bezogen worden seien. Der Vf. selbst setzt hier methodologisch an und untersucht das Konzept des göttlichen Namens im Johannesevangelium vor seinem traditionsgeschichtlichen Hintergrund. Dabei geht er von der These aus, dass der Autor des Johannesevangeliums sein Interesse für den göttlichen Namen aus der Lektüre des Jesajabuches gewonnen hat und sein Namenskonzept maßgeblich aus diesem übernommen und in sein Erzählkonzept integriert hat. Als zentrale Untersuchungskategorien führt der Vf. neben dem Begriff referent die Unterscheidung zwischen function, meaning und sig-nificance des griechischen Substantivs ὄνομα ein, welche jeweils kontextuell und getrennt voneinander erschlossen werden sollten.
Die Untersuchung selbst gliedert sich in fünf Kapitel. Kapitel 1 widmet sich eröffnend der Signifikanz des Jesajabuches für das johanneische Konzept des göttlichen Namens, wobei der Vf. zu­nächst die hohe Bedeutung des Jesajabuches für den vierten Evangelisten herausstellt und den Zusammenhang zwischen den johanneischen Ich-bin-Worten und dem johanneischen Herrlichkeitsmotiv einerseits und den Prätexten im Buch Jesaja andererseits darstellt. Anschließend untersucht er das Konzept des gött-lichen Namens im Buch Jesaja und kommt zu dem Ergebnis, »that the name and glory language serves as a locus for the association of God with a distinguishable ›Servant‹ figure. Glory and name have an ›associative‹ significance« (48 [Hervorhebung im Original]), was auch durch die Rezeptionsgeschichte bestätigt werde.
Die Kapitel 2–4 stellen die eigentliche Analyse des Konzepts des göttlichen Namens im Johannesevangelium dar, wobei – geordnet nach thematischen Gesichtspunkten – Joh 12,28; 17,6.26 (»Name Glorification and Revelation«), Joh 17,11 f. (»Kept in Shared Name«) und Joh 5,43; 10,25 (»In My Father’s Name«) nacheinander untersucht werden. Die Untergliederung der Darstellung der analytischen Textarbeit in diesen Kapiteln orientiert sich maßgeblich an den genannten Unterscheidungen meaning, function und significance. Darauf folgt jeweils eine traditionsgeschichtliche Analyse, die gleichsam als Ausschlussverfahren von Abhängigkeiten konzipiert ist und jeweils zu dem Ergebnis führt, dass das spezifisch johanneische Namenskonzept von Jesaja abhängig ist.
Zuletzt folgt in Kapitel 5 die Erklärung des johanneischen Na­menskonzepts vor dem sozio-historischen Hintergrund der Gebets-praxis im Rahmen einer »well-established Christian devotional practice« (186) und der Auseinandersetzung mit jüdischen Kreisen, welche die in der johanneischen Gemeinde vertretene Ansicht der Einheit von Vater und Sohn als Angriff auf die Einheit Gottes verstanden hätten. Dabei reagiere das Johannesevangelium auf die argumentative Verwendung einzelner Passagen im Jesajabuch (Jes 41,4; 42,8; 44,6), welche – wie später im rabbinischen Judentum – den frühen Christen und ihrer Theologie vorgehalten worden seien. Ein weiterer sozio-historischer Hintergrund liege im pastoralen Impetus, der mit der Vaterbezeichnung verbunden sei. Angesichts des Synagogenausschlusses habe die Assoziation des Namens mit Vater und Sohn eine besondere gemeinschaftsbildende Funktion gehabt.
Angesichts der unüberschaubaren Forschungsliteratur zu Themen der Johannesforschung, die der Untersuchungsgegenstand berührt, ist es eine Leistung, die Untersuchung auf wenig mehr als 200 Seiten zu beschränken. Positiv hervorzuheben sind die vielen leserlenkenden Elemente, die allerdings an manchen Stellen eine gewisse Redundanz erzeugen. Hilfreich sind zudem die tabellarischen Darstellungen der Analyseergebnisse. Einige kritische Bemerkungen sind zuletzt anzuführen: 1) Die textkritischen Auffälligkeiten an den untersuchten Stellen im Johannesevangelium werden zwar berücksichtigt, bleiben aber hinter dem Stand der modernen textkritischen Forschung zurück. Statt kurzer Hinweise in Fußnoten wäre hier eine etwas ausführlichere Thematisierung im Fließtext wünschenswert gewesen. 2) Eine Schwäche besitzt die Studie an den Punkten, an denen sie sich auf die griechisch-römische Welt bezieht (23 f.142–149). Die Auswahl der wenigen zitierten Quellen erscheint recht zufällig, teilweise völlig unzureichend, einschlägige Hilfsmittel und Fachliteratur der altertumswissenschaftlichen Forschung wurden nicht rezipiert. 3) Die Rekonstruktion des sozio-historischen Hintergrundes ist mit dem Problem behaftet, dass Thesen über die sozio-historische Wirklichkeit angesichts der dünnen Quellenlage hochgradig hypothetisch bleiben. So sind Aussagen z. B. über eine »well-established Christian devotional practice« (186) für eine frühe Zeit liturgiegeschichtlich nicht haltbar. Bezüglich der Rekonstruktion in Kapitel 5 fehlt es der Studie diesbezüglich an einem methodologischen Problembewusstsein.
Diese Kritikpunkte beziehen sich nicht auf die Gesamtanlage der Studie, sondern betreffen erkennbarerweise nur vereinzelte Aspekte. Insgesamt hat der Vf. eine lesenswerte und gut lesbare Studie zu einem zentralen Thema des Johannesevangeliums vorgelegt, an der die zukünftige Forschung zum göttlichen Namen im Johannesevangelium und im frühen Christentum nicht vorbeikommt.