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Ausgabe:

Dezember/2018

Spalte:

1267–1269

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Breytenbach, Cilliers, and Christiane Zimmermann

Titel/Untertitel:

Early Christianity in Lycaonia and Adjacent Areas. From Paul to Amphilochius of Iconium.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2017. 977 S. = Ancient Judaism and Early Christianity, 101; Early Christanity in Asia Minor, 2. Geb. EUR 299,00. ISBN 978-90-04-35155-4.

Rezensent:

Peter Herz

Es ist keine übliche wissenschaftliche Studie, die Cilliers Breytenbach und Christiane Zimmermann hier vorlegen, sondern ein handbuchähnliches Werk, das in systematischer Manier das ge­samte bisher erarbeitete Wissen zur Entwicklung des Christentums in einer kleineren kleinasiatischen Landschaft zusammenträgt. Lycaonien ist ganz im Gegensatz etwa zu den römischen Provinzen Asia oder Bithynia-Pontus nie ein Zentrum der kulturellen Entwicklung in Kleinasien gewesen, was sicherlich die systematische Aufarbeitung erleichtert hat, da man sonst wohl in der Masse des Materials erstickt wäre. Die Systematik eines Handbuchs be­stimmt auch die weitere Gliederung dieser Arbeit.
Nach einer guten Einführung in die Quellensituation und die methodischen Möglichkeiten, diese Quellen zu datieren, folgt ein solider Überblick zur historischen Entwicklung dieses Gebietes unter der römischen Herrschaft (33–59). Die unterschiedlichen organisatorischen Kontexte, in die Lycaonien im Verlauf seiner »römischen« Geschichte eingebunden war, machen deutlich, dass diese Landschaft zu allen Zeiten ein Übergangsgebiet gewesen ist, das sowohl als Durchzugsraum von Anatolien nach Syrien diente als auch als Anhängsel an größere territoriale Einheiten fungierte. Zur gleichen Zeit war es aber auch ein Raum, auf den unterschiedliche Entwicklungen einwirken konnten, wobei die Einflüsse aus dem syrisch-kilikischen Raum offenbar am stärksten waren.
Dies wird auch durch die Missionsreise des Paulus unterstrichen (60–126), der von Syrien kommend diese Region bereiste. Die Apostelgeschichte liefert dann auch zusammen mit einigen späteren Schriftquellen die materielle Grundlage, um das allmähliche Erstarken des Christentums in dieser Region zu dokumentieren. Wichtig ist hierbei, dass das Christentum in einem Gebiet ohne ausgeprägte städtische Kultur vergleichsweise schnell in den ländlichen Regionen Lycaoniens Fuß fassen konnte. Die einzelnen Stufen der Christianisierung werden u. a. an der Häufigkeit christ-licher Personennamen festgemacht, eine methodisch durchaus legitime Vorgehensweise. Ob es bestimmte Rahmenbedingungen gab (etwa vorchristliche Kulttraditionen), die die Etablierung des Christentums gefördert haben könnten, muss wohl unentschieden bleiben.
Mit Kapitel 4 (127–394) haben wir nicht nur hinsichtlich des Umfangs eindeutig das Herzstück des gesamten Bandes vor uns. Die Autoren präsentieren hier in einigen streng regional orientierten Partien praktisch jedes bekannte Quellenstück, das sich mit mehr oder weniger Sicherheit mit Christen in Verbindung bringen lässt. Dass sie dabei en passant auch noch eine Art von Landeskunde Lycaoniens erstellt haben, sei ausdrücklich als positives Nebenergebnis ihrer Arbeit angemerkt. Ebenso wohltuend ist die wissenschaftliche Redlichkeit der Autoren, die ihre Einordnungen in fast allen Fällen für den Nutzer gut nachvollziehbar gemacht haben, da sie in vielen Fällen die kompletten Texte der von ihnen ausgewerteten griechischen Inschriften samt einer verlässlichen Übersetzung in den Fußnoten beigefügt haben.
Die Kommentierung der Inschriften ist durchwegs solide ausgefallen. Lediglich bei einem Text (328 mit Anm. 1437 zu ICG 20) haben sie m. E. den Sinn nicht korrekt erfasst. Ein ordinarius ist in dieser Zeit ein centurio, während die lancearii, bei denen er gedient hat, wahrscheinlich mit der Eliteeinheit der lancearii zu identifizieren sind, die im spätrömischen Heer bei den legiones palatinae auftaucht (seniores: Not. dig. or. 5.42, iuniores: Not. dig. or. 6.47). Es ist also eine Gardeeinheit. Was die in der Inschrift erwähnten Personen allerdings nach Lycaonien geführt hatte, bleibt wohl unbekannt.
Ein ganz eigenes Problem ergibt sich durch die Datierung der Zeugnisse, wobei man durchwegs mit Erfolg versucht hat, mit der römischen Nomenklatur (Verwendung von Kaisergentilizien) zu arbeiten. Dabei ist allerdings etwas Vorsicht geboten. Natürlich hat die constitutio Antoniniana von 212 zu einem verstärkten Auftreten des Aurelier-Namens geführt (Marcus Aurelius …), doch man sollte berücksichtigen, dass Kaiser Marcus Aurelius (161–180) bereits seit Dezember 147 Mitregent war und daher wie sein Sohn Commodus (177–192) natürlich auch die Nomenklatur von Neubürgern beeinflusst hat.
Kapitel 5 »Christianity within Lycaonian Culture« (395–533) löst sich von der topographischen Ordnung des Vorgängerkapitels und untersucht und erschließt in einer genauen Analyse, die alle er­denklichen Themen wie Namengebung, Familienstruktur, Wirtschaft, christlicher Einfluss in der Textgestaltung von Inschriften usw. anspricht, das bereits vorgestellte Material. Natürlich gibt es hier die Gefahr einer gewissen Redundanz, da die meisten hier behandelten Zeugnisse bereits in Kapitel 5 genauer vorgestellt wurden, doch dies ist zu vernachlässigen, da die Zahl der potentiellen Leser, die das gesamte Buch intensiv studieren, wohl eher gering sein dürfte. Die meisten Leser dürften diese Sammlung wohl eher selektiv nutzen.
Bei der Frage nach den kaiserlichen Doppelgentilizien (414) scheint etwas Vorsicht angeraten. Natürlich ist die kaiserzeitliche Nomenklatur flexibel und kann mit einer solchen Nomenklatur auch die Abstammung von Seiten der Mutter betonen, die sonst untergehen könnte. Es gibt allerdings auch genügend Beispiele, wo etwa die Annahme des Aurelier-Namens als Zeichen der besonderen politischen Loyalität gegenüber Kaiser Caracalla verstanden werden muss.
Wenn es hier eine Gefahr gibt, dann, dass durch die Konzentration auf das lycaonische Material manchmal der Blick auf die übrigen Regionen Kleinasiens (und des Imperium Romanum) zu sehr in den Hintergrund treten kann. Um dies an einem Beispiel zu verdeutlichen, Lycaonien war sicherlich eine etwas abgelegene Region, doch dürfte das Gebiet gerade in Kriegszeiten als Durchmarschgebiet, Versorgungsraum für die Truppen an der parthisch-persischen Grenze und Rekrutierungsgebiet (isaurische Soldaten) stark belastet worden sein.
Zu Recht wird die besondere Rolle (448 ff.) hervorgehoben, die offensichtlich lycaonische Frauen in wirtschaftlichen Belangen spielen konnten. Man sollte vielleicht berücksichtigen, dass seit der constitutio Antoniniana mit dem allgemeinen Bürgerrecht das rö­mische Recht auch in dieser Region seinen vollen Einfluss erhielt, und dort gab es das ius trium liberorum, das einer Frau mit mindes-tens drei Kindern einen deutlich größeren Spielraum bei der Verwaltung ihres Vermögens gab. Wie sich dies im Detail auswirkte, wäre noch zu prüfen. Die rechtliche Seite, die bei manchen Zeugnissen zu berücksichtigen wäre, bleibt leider in der Regel etwas unscharf.
Gab es eine spezifisch lycaonische Variante des Christentums? Dies wird am ehesten deutlich in Kapitel 6.7 (Ascetic Christians: 724–787), wo die unterschiedlichen Formen des asketischen Lebens in Lycaonien vorgestellt werden. Natürlich prägte die asketische Grundeinstellung der damaligen Gesamtkirche auch diese Chris-ten, doch extremere Erscheinungsformen wie die Styliten oder die »nie schlafenden« Mönche scheinen in dieser Landschaft zu fehlen. Auch in den kircheninternen Kontroversen ist Lycaonien niemals besonders als innovativ oder trendsetzend aufgefallen. Die mehrfach angesprochenen kappadokischen Väter entstammen einem anderen sozialen und politischen Milieu.
Das von den beiden Autoren vorbildlich zusammengetragene und erschlossene Material wird durch eine sehr ausführliche Bi­bliographie (865–924), eine Inschriftenkonkordanz (925–945), sowie drei Indizes für antike Quellen in Auswahl (946–966), Personennamen in griechischer Fassung (967–974) und antike und neuzeitliche Ortsnamen (975–977) nutzbar gemacht.
Es ist insgesamt eine grundsolide Sammlung von wichtigem Material, die nicht den Versuch unternommen hat, dem Benutzer eine bestimmte Sicht der Dinge aufzuzwingen, sondern es wird ihm vielmehr durch die zuverlässige Präsentation der Quellen und der relevanten Sekundärliteratur ermöglicht, zu seiner eigenen Bewertung der Situation zu gelangen. Unter diesem Aspekt eine sehr ehrliche Sammlung, die lediglich die berechtige Frage aufwirft, wie man unter diesen Prämissen und in derselben Intensität die wesentlich umfangreichere Quellenbestände etwa der Provinz Asia für die Forschung aufbereiten könnte. Hier wird man wohl nur mit kleineren regionalen Sammlungen etwa für Karien oder Ionien arbeiten können.